Abgekackt in Monteverde: Mit Starkregen und Caramba ins Hinterland.

5. September 2021

Mietwagen Costa Rica, Straßenverhältnisse Costa Rica
Mit Caramba in den Matsch - Endstation, erstmal

Zwei Wochen Roadtrip durch Costa Rica. Und noch immer hat niemand nachts unsere Reifen geklaut und nach Nicaragua verscherbelt. Noch immer hat kein Schlagloch unsere Achse zerlegt und noch immer hat uns kein Krokodil den Seitenspiegel abgenagt.

Wir brausen gut gelaunt auf der fein ausgebauten Interamericana im besten Sonnenschein von Liberia, in der Provinz Guanacaste, nach Monteverde.

Bis der Routenplaner uns links abbiegen lässt auf eine etwas weniger kultivierte Erdstraße. Ist ja nicht schlimm, unasphaltierte Straßen kennen wir aus Wyoming. Schüttelt einem die Nebenniere raus, staubt und verpestet die Politur des Porsches hinter einem, ist aber sonst kein großes Ding.

Mein Freund rattert auf dem Feldweg entlang und ich fotografiere einen Motorradfahrer, der mit einem halben Kilo Bananen unter dem Arm an uns vorbeizimmert.

Langsam aber stetig verdunkelt sich der Himmel. „Guck mal die fantastischen Wolkenformationen da drüben in den Bergen“, rufe ich aufgeregt, während ich versuche, ein Foto davon zu schießen und die Kamera während der unebenen Fahrt nicht gleichzeitig volles Rohr ins Seitenfenster zu rammen.

 

Wenig später sind wir in genau in diesen Bergen. Ein Starkregen, der in fünf Minuten Noahs Arche versenkt hätte, bricht über uns herein. Wir sollen nochmals links abbiegen und blicken plötzlich in ein Tal mit einer Piste aus faustgroßen Steinen, über die sich Bäche aus braunem Regenwasser ergießen. In den Fahrrinnen im Tal stehen Pfützen so groß wie der Bodensee.

Los geht’s, anschnallen für eine Geschichte über tropische Sintflut, die Letzten Autofahrer, die besten Ticos (Costa Ricanische Einheimische), die kreativsten Abschleppwagen und die seltsamen Wege des Universums.

„Mach keinen Scheiß, wir haben kein Signal!“

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Die Straßen sind nicht im allerbesten Zustand - das Wetter auch nicht

Ich starre immer noch auf die mehrfache Ausführung des Bodensees, nur etwa 500 Meter von uns entfernt. „Was meinst du, wie tief das Wasser ist?“, frage ich.

Mein Freund blickt auf die brackige Brühe und ich merke, dass ich ihn auch hätte fragen können, wie viele Federn ein Pinguin gerade am Südpol verloren hat.

Ich ziehe mir die Schuhe aus und greife nach dem Türknauf. „Ich gehe da jetzt hin, laufe da durch und dann wissen wir es!“, erkläre ich meine wissenschaftlichen Bestrebungen.

Mein Freund schaut mich an, als hätte ich einige Federn und zusätzlich meinen Verstand verloren. Der Regen donnert waagerecht an die Fenster und irgendwo donnert es.

 

Wir beschließen, erstmal zu warten. Dazu parken wir mehr oder weniger mitten auf dem Weg, denn außer uns Deppen ist eh niemand auf der Straße des Todes im Wetter des Todes unterwegs. Wir sind die Letzten Autofahrer. Was für ein Buchtitel! Als ich den Regenradar googlen will, stelle ich fest, dass wir kein Signal haben.

 

Nach einigen Minuten bilden wir uns ein, dass der Regen weniger geworden wäre. Mein Freund hat inzwischen einen Plan geschmiedet, mit dem er das Auto um die Bodenseen manövrieren will. „Mach keinen Scheiß, wir haben kein Signal“, sage ich. Zum Glück macht er keinen Scheiß, weil er einer der erfahrensten Autofahrer ist, denen ich je begegnet bin.

„Wie lange ist die Straße noch so beschissen und wann biegen wir wieder ab?“, fragt er mich.

Ich starre aufs Navi. „Nur noch zwei Kilometer“, sage ich. Halleluja!

Mit dem Mars-Rover kopfüber in den Schlamm

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Die "Straße" wird nicht gerade besser...

Nach zwei Kilometern endet die Gammelpiste. Und mündet in etwas, das unter keinen Umständen mit irgendetwas anderem als dem Mars-Rover befahren werden kann. Wir blicken auf die Geröllhalde mit den Schlammlöchern vor uns.

„Wie viele Kilometer?“, fragt mein Freund bloß. Ich blicke auf den Routenplaner und sage nichts.

„Wie viele Kilometer, Sarah?“

„Sieben“, piepse ich. „Wir könnten auch umdrehen und zurückfahren. Dann sind es in die andere Richtung… auch sieben Kilometer.“

Wir blicken auf den schroffen Abhang neben uns, der sich im immer noch feuernden Regen langsam in Pudding auflöst. Wir beschließen spontan, hier nicht zu wenden.

 

Stattdessen fahren wir weiter. Mehr seitwärts als geradeaus. Immer um die Krater und Felsbrocken herum. Im Tempo einer hundert Jahre alten Schildkröte. Immerhin haben wir ein Auto mit großer Bodenfreiheit gemietet. Leider allerdings ohne Allrad-Antrieb.

 

Genau das wird der finale Killah nur zwei Kilometer und siebeneinhalb Jahre später. Ein langgezogener Hang liegt vor uns. Mit jeder Menge Modder. Nach wenigen Metern geht nichts mehr. Die Räder drehen durch. Wir versuchen verschiedene Methoden, verschiedene Richtungen. Mit Caramba und gutem Zureden. Ich steige aus. Seltsamerweise hat es aufgehört, zu regnen. Vielleicht kann ich irgendwas unter die Reifen legen, um dem Fahrzeug mehr Grip zu geben. Falls ich etwas finden kann, das nicht aus Modder besteht.

Rettende Helfer – Ticos

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Ein Pick-up Truck kommt uns im Nebel zu Hilfe

Gerade, als ich echt keinen Bock mehr habe und mich am Straßenrand hinhocken will, um zu pinkeln, kommt plötzlich ein Mann über die Kuppe des Hügels gerannt. Ich springe auf und tue so, als würde ich die Reifen inspizieren.

 

Es ist ein Tico, ein einheimischer Costa Ricaner. Er spricht nur Spanisch. Wir sprechen nur Englisch. Läuft. Zum Glück läuft auch die Zeichensprache. Er wühlt erst in unserem Kofferraum nach Werkzeug herum und tut dann eine versteckte Öse in der Front unseres Autos auf. Er zeigt uns seinen hochgestreckten Daumen und bedeutet uns, zu warten.

 

Als ich vor über zehn Jahren angefangen habe, viel zu reisen, waren mir solche Situationen suspekt. Was, wenn der Typ all meine Reifen abmontiert und sie nach Nicaragua verscherbelt, nachdem er mir Formaldehyd in die Augen geschüttet hat?

Bullshit. Wer viel reist, lernt unter anderem eines: Vertraue und du bekommst Vertrauen zurück. Sei offen und freundlich und du bekommst mehr Freundlichkeit zurück, als du je zu träumen gewagt hast.

 

Nach einigen Minuten kommt der Tico wieder. Mit einem betagten Pick-Up Truck mit seltsamem Aufbau, einem Abschleppseil – und seiner Frau und zwei Hunden. Ich bekomme die Idee, dass sie das nicht zum ersten Mal machen. El tourista estupido und so.

Ein Mann isst einen Apfel und totaler Stromausfall

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Nichts wie raus aus dem Modder

Nach einigen Anläufen und weiterem Geschlinger im Matsch schafft es das Ehepaar tatsächlich, uns aus dem Sumpf des Grauens zu ziehen. Der Mann sitzt im Pick-Up, mein Freund in unserem Mietwagen und ich stehe mit der Frau daneben. Gern würde ich irgendwas Dankbares und Witziges sagen. Aber das Einzige, was mir gerade auf Spanisch einfällt, ist El hombre come una manzana. Der Mann isst einen Apfel. Danke, Duolingo, für diese Sätze, die in einer Notsituation kein Schwein braucht.

 

Um sicher zu gehen, dass wir nicht nochmal abkacken, fährt der Pick-Up-Mann den gesamten Hügel vor unserem Wagen her und hält uns weiter am Abschleppseil. Ich laufe mit seiner Frau hinter dem Konvoi her. Auf einmal scheint die verdammte Sonne und das Sintflutwasser um uns herum beginnt, als heißer Nebel zu verdunsten. Ich würde mich am liebsten neben einem Pinguin ins Südpolarmeer stürzen.

 

Irgendwann sind wir oben. Wir geben den beiden Trinkgeld und ich sage Namaste oder sowas auf Spanisch. Keine Ahnung, woher sie wussten, dass wir am Arsch waren, aber es ist auch egal. Gute Menschen in einer schlechten Situation. Das ist alles, was zählt. Danke, Universum!

 

Wenig später sehen wir etwas Unglaubliches: Asphalt. Ein Hund springt irre über die Straße, als wollte er uns zurück in der Zivilisation begrüßen.

Als wir irgendwann in Monteverde ankommen, will ich unsere humorige Geschichte mit der Weltbevölkerung teilen. Als ich gerade das W-Lan-Passwort in der Unterkunft gefunden habe, gehen die Lichter aus. Stromausfall wegen Starkregen. In der ganzen Region.

Ich schaue meinen Freund an. Dann lachen wir laut. Solange man noch lachen kann, ist nichts wirklich schlimm im Leben.

 

Mehr über unseren Roadtrip durch Costa Rica findet ihr im Bericht Wilde Karibik, bunte Tukane und Brüllaffen bei Nacht – Roadtrip Costa Rica I, mit einer Kanutour durch den Regenwald, und im Artikel Ziplining, geheime Wasserfälle und die Schranken-Mafia – Roadtrip Costa Rica II, mit einer langen Wanderung bei Tropenhitze und einem Superman-Flug durch den Dschungel.

 

Kommentare: 2
  • #2

    SquirrelSarah (Mittwoch, 29 November 2023 21:51)

    Hi Michaela,

    freut mich mega, dass dich mein Bericht erheitern konnte. Am Ende kann man oft lachen, vor allem wenn nichts Schlimmeres passiert ist. :) Generell ist es immer gut, Probleme auf Reisen (oder im Leben) mit Humor zu nehmen, solange es geht.
    Ich musste über "El tigre come el elefante" lachen. Wer weiß - irgendwann offenbart sich uns bestimmt ein tieferer Sinn dahinter... hoffentlich nicht, wenn es brenzlig ist.

    Liebe Grüße und Danke fürs Lesen!
    Sarah

  • #1

    Michaela (Dienstag, 28 November 2023 22:37)

    Herrlich geschrieben.

    Insbesondere der Abschnitt: "Aber das Einzige, was mir gerade auf Spanisch einfällt, ist El hombre come una manzana. ..." Das erinnert mich so sehr an meine Duolingo Erfahrungen. �
    Ich hab mich auch schon gefragt, wie wertvoll der Satz "El tigre come el elefante" ist. �
    ��

    Vielen Dank fürs Teilen dieser Erfahrung!

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