Die prächtige Kathedrale reckt sich in den Himmel. Die helle Fassade strahlt vor dem blauen Himmel. Doch keine Chance. Sie ist und bleibt winzig zwischen den Glasfassaden, die sich direkt neben ihr emporranken. Die Fenster der Hochhäuser reflektieren auf der Kirchenfassade und lassen das Gotteshaus wirken, als stünde es in einem Goldfischglas unter Wasser. Einige Meter tiefer unter der Erde rumpelt die Metro, die einem 50er-Jahre-Krimi entsprungen zu sein scheint. Laut donnern und quietschen die Metallwagen durch die tropfenden Tunnel (ich fahre jeden Tag damit, und zwar zuverlässig!). Und dann sind da noch die lautlosen Wasserfälle des Ground Zero.
New Yorks Architektur scheint ein Legokasten, dessen Inhalt jemand ordentlich durchgeschüttelt und dann wieder sorgfältig im 90-Grad-Winkel aufgestellt hat. Gotik drängt sich dicht an Art Déco, Glas bricht sich mit Backstein. Außerhalb Manhattans findet man zudem viele viktorianische Häuser – zum Beispiel auch in Brooklyn, wo ich zurzeit wohne (allerdings in einem Backsteinhaus).
Der Verkehr auf der 5th Avenue braust. Autos hupen. Irgendjemand hält mir einen Flyer von Subway ins Gesicht. Entlang dieser Straße liegen viele bekannte Gebäude, die man sich unbedingt ansehen sollte – und zwar zu Fuß. Weder Metro noch Touri-Bus ersetzen das fabelhafte Gefühl, das sich in einem breitmacht, wenn man Manhattans tief eingeschnittene Straßen zu Fuß entdeckt! Ein guter Startpunkt ist die eingangs erwähnte Kathedrale – die St. Patrick’s Cathedral. Sie steckt zwischen den Hochhäusern, als hätte jemand hastig ein Buch weggestopft.
Nur weniger Meter entfernt liegt das Rockefeller Center im Art Déco Stil. Und weil es den Rockefellers zu langweilig war, einfach nur ein Haus zu bauen, entwarfen sie gleich einen ganzen Komplex, der sich über mehrere Straßenzüge und 89 m² erstreckt. Seit 1987 ist das Center eine Historic National Landmark. Besonders toll: Seit einigen Jahren ist die Aussichtsplattform „Top of the Rocks“ wieder zugänglich. Das habe ich gleich mal genutzt, um mir New York von oben anzusehen.
Schon tagsüber ist New York von oben eine Wucht. Die schieren Ausmaße des Central Parks werden einem erst hier bewusst und der Blick reicht bis an die Spitze Manhattans. Auch hier bietet das geordnete Gewirr von Wolkenkratzern, Kirchen und Wohnhäusern noch einmal ein spektakuläres Panorama. Noch besser wird es aber nachts. Wie ein Diamant glitzert die Stadt, die sich wie ein endloser Teppich aus Lichtern bis hinter den Horizont ergießt. Alles funkelt und vibriert. Der Lärm der Straßen ist nur noch mild zu hören. Sterne und Flugzeuge scheinen einen zu umschwirren.
Nicht zuletzt hat New York aber auch in der neusten Architekturgeschichte Gespür gezeigt. Am Ground Zero sind neben dem One World Trade Center noch einige andere große Gebäude entstanden. Ein paar sind immer noch im Bau. Wirklich atemberaubend sind aber die beiden riesigen schwarzen Wasserbecken, die zum Memorial gehören. Sie befinden sich exakt an der Stelle, an der die beiden Türme des World Trade Centers gestanden haben. Lautlos stürzen Wasserfälle vom Rand hinab. Das Wasser sammelt sich am Boden, um beinahe noch stiller in ein noch dunkleres Quadrat abzulaufen. Stiller als lautlos? Ja, das geht. Es ist ein Bauwerk, das einem das Gefühl gibt, als würde hier immer noch eine Wunde vor sich hinbluten. Als würden die Tränen einer ganzen Nation ins Nichts stürzen.
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