Seit 31 Stunden wach. 14 davon im Flugzeug. Mit Flugangst. In Schweiß gebadet, während eine Armee kleiner Bergarbeiter in meinem Kopf vor sich hinmeißelt. Auch der 20 Euro teure Kaffee am Moskauer Flughafen, wo wir umsteigen, reißt es nicht raus. Als wir endlich in Tokio an unserem kleinen Hotel ankommen, möchte ich am liebsten meinen Koffer aus dem vierten Stock werfen und sterben. So viel ist klar: Die Welt ist groß und man braucht verdammt lang, um hinzukommen.
Am nächsten Morgen ist der schwarze Kater erstaunlicherweise vergangen und die Sonne scheint. Ich brülle enthusiastisch „Wir sind in Japan!“ aus dem offenen Fenster
und Alex, mein bester Freund, neben dem ich schon in der Grundschule saß, fuchtelt mit dem Fahrplan der Metro. Dann falten wir die Karte dämlich zusammen und gehen erst einmal zu Fuß los. Wir
wohnen im Stadtteil Asakusa und gleich in der Nähe befindet sich der Senso-ji Schrein – der älteste Schrein Tokios.
Mit Starbucks-Kaffeebechern, auf die eine Angestellte mit Filzstift „Welcom to Asakusa“ und "Enjoy in Japan" gekritzelt hat, betreten wir die Nakamise-dori-Arkaden. Eine überdachte Einkaufspassage, in der es von kunstvollen Stempeln über Haarnadeln bis zu winkenden Katzen einfach alles gibt. Wir werden eingehend und zugleich distanziert betrachtet. Wie die Japaner das gleichzeitig hochprofessionell schaffen, ist uns noch nicht ganz klar. Über allem hängt eine würzige Wolke von Essen. Nudeln, Fleisch, Curry, Gewürze.
Der Senso-ji Schrein erhebt sich mächtig am Ende der Passage. Sein Rot strahlt vor dem blauen Himmel und wir bereuen unsere Entscheidung zu langen, schwarzen Hosen. Es ist Ende September und immer noch sehr warm in Tokio. Auch die Luftfeuchtigkeit ist recht hoch. Nachdem wir es geschafft haben, an einem Fass mit Räucherstäbchen vorbeizukommen, ohne zu ersticken, ziehen wir Zettel aus Holzschubladen, um unsere Zukunft zu bestimmen.
Als wir kurz Pause machen und uns setzen, rückt uns gleich die Regierung persönlich auf den Pelz, um uns eine Touristenumfrage in die Hand zu drücken. Alles nur, weil wir runde Augen und einen falsch gefalteten U-Bahn-Plan haben! Wir versuchen, das teils rätselhafte Englisch auf dem Formular mit deutscher Gründlichkeit auszufüllen und bekommen als Dank Katzen-Aufkleber. Unsere Politiker sollten dringend ihre Wahlkampftaktik überdenken.
Als abends der Mond schräg am Himmel liegt, fahren wir nach Shinjuku. Dort haben wir über tokyolocalized eine Night Walking Tour gebucht. Mit dieser Art von Stadterkundung mit einem Einheimischen als Guide habe ich bereits in den USA tolle Erfahrungen gemacht.
Treffpunkt ist der Bahnhof von Shinjuku. Er gleicht einem Bau, in dem Ameisen auf LSD zu Scooter feiern. 700.000 Pendler nutzen ihn täglich. Draußen ist es ähnlich. Musik, elektronische Neonreklame, Menschenmassen. Dagegen ist der Times Square in New York ein kleines Teelicht.
Wir ziehen los mit unserem Guide einer einer Gruppe anderer Reisender. Besonders sehenswert ist die winzige Gasse Omoide Yokocho. Restaurants mit teils nur fünf Plätzen quetschen sich aneinander; gelbe und orangefarbene Lampions wiegen sich in der würzigen Brise, die von den offenen Grills in die Luft geschleudert wird. Nach eine Tour entlang von etlichen Karaokebars, dem Rotlichtviertel, Love Hotels und dem Mafia-Headquarter pulsiert die Netzhaut. Wir klammern uns an unseren zerknitterten U-Bahn-Plan, um nicht von der Reizüberflutung weggeschwemmt zu werden. Welcom to Tokyo!
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