Wir stehen in einer Landschaft voller Krater und zylindrischer, weißer Felstürme. Über dem Horizont steht gold-orange die Abendsonne, die sich von Sekunde zu Sekunde verdunkelt. Mit blauen Wolkenscheiben, die uns wie die überdimensionalen Raumschiffe in „Independence Day“ von allen Seiten langsam, aber mächtig einschließen.
Wie auf einer Insel stehen wir neben unserem kleinen rot-weißen Zelt, dessen Plane bereits im aufziehenden Wind zittert wie trockenes Laub. Wir sind mitten in der Bisti/De-Na-Zin Wilderness, einem der abgelegensten Orte von New Mexico. Keine Häuser, kein fließendes Wasser, kein Strom, kein Handyempfang.
Dann hastet eine Frau mit einem Wanderrucksack an uns vorbei zu ihrem Auto. In der Ferne wabert erstes Wetterleuchten durch den Äther. „Seid ihr sicher, dass euer Zelt da nicht weggeschwemmt wird?“, fragt sie. Hier draußen in der Lehm- und Steinwüste können sich trockene, kaum erkennbare Vertiefungen bei Regen in reißende Ströme verwandeln. Im selben Moment schießt ein lila Blitz über den Himmel.
Endzeit im Nirgendwo. Und wir mittendrin.
Im zweiten Teil meines Reiseberichts über unseren einmonatigen Road- und Campingtrip durch den Südwesten der USA nehme ich euch mit zu wilden Wettergewalten, einem bedeutungsvollen Klo am Grand Canyon und einem der größten Ballon-Festivals der Welt.
Unruhig blicke ich in die baumlose Wüstenlandschaft mit den Gräsern. Wir sind seit Stunden unterwegs und ich müsste langsam mal aufs Klo. Nur: Da ist keins. In den USA sind Raststätten ungefähr so rar wie gehaltvolle Kommentare auf Facebook. Drei stille Örtchen haben wir außerdem bereits passiert. Eines war wegen einer Baustelle geschlossen, das andere wegen Corona und das dritte lag in einem privaten Park, für den man zehn Euro Eintritt zahlen sollte. Hallo? Noch nicht mal in St. Moritz habe ich 10 Euro fürs Pinkeln bezahlt!
Plötzlich sehen wir ein Schild. Grand Canyon, 20 Meilen. Der stand eigentlich gar nicht auf unserer Reiseliste.
Mein Freund ist erstaunt: „Och, ich wusste gar nicht, dass der so nah ist!“
Ich bin erfreut: „Da gibt’s bestimmt ein Klo!“
Und ich behalte Recht. Während der Mainstream vom Parkplatz an den Rand des Canyons strömt, stürze ich auf die Latrine. Endlich.
Als das erledigt ist, laufen auch wir natürlich einmal zum großen Abgrund. Wie eine blaue Spagetti liegt der mächtige Colorado River in der gähnenden, 1.800 Meter tiefen Schlucht, die rot, steinern und 450 Kilometer lang (!) in der Erde klafft. Wir beschließen, dass wir spontan eine Nacht bleiben und stellen unser Zelt im Campground des Nationalparks auf. Dann wandern wir ein Stück in den Canyon hinunter. Es wird ein kleiner Testlauf, denn in unseren Köpfen spukt die Idee, im nächsten Jahr auf einer mehrtägigen Tour bis ganz hinunter zum Grund zu wandern.
Einige Tage später fahren wir unter bleiernen Wolken durch eine menschenleere Landschaft aus Lehmformationen und Staub. Wir haben die Grenze zu New Mexico passiert und sind auf dem Weg zu einem Ort mit dem mysteriösen Namen Bisti/De-Na-Zin Wilderness. Die Bezeichnung stammt von den Navajos und bedeutet Weites Gebiet mit Schieferhügeln und Kranichen. Die seltsamen, weißen Formationen in der endlosen Ebene sehen aus wie irgendwas zwischen Mondkrater und Michelangelo auf Koks. Kraniche sehen wir nicht. Häuser oder Menschen auch nicht. Zwei Tage wollen wir in der Wilderness bleiben. Handyempfang ist nicht vorhanden, Trinkwasser bringen wir in einem 30-Liter-Container mit, Strom kommt von unseren Solarpaneelen.
Als wir gegen Abend ankommen und unser Zelt aufbauen, schließt uns ein Ring aus dunkelblauen Gewitterwolken ein. Nachdem uns eine Wanderin vor Sturzfluten gewarnt hat, bauen wir unser Zelt noch einmal an einer höheren Stelle auf. Dann schüttet und blitzt es.
„Meinst du, das war eine gute Idee mit dem Zelt auf der Anhöhe?“, frage ich meinen Freund vorsichtig. Wir sitzen unter einem winzigen Wellblechunterstand und essen Kartoffelpüree, das binnen Sekunden die Temperatur von Eiswürfeln annimmt, während der Wein wie beim Regen-Sketch von Rudi Carrell vom Wind aus unserem Glas gepustet wird.
Mein Freund zuckt mit den Schultern und deutet auf die Sturzbäche, die urplötzlich durch die tieferen Ebenen der Landschaft schießen. Ich überlege, ob ich lieber ertrinken oder vom Blitz erschlagen werden möchte. Dann hole ich meine Kamera und versuche, das Gewitter zu fotografieren. Für Sekunden leuchtet der pechschwarze Himmel violett elektrisiert auf. Es kracht. Es gießt. Und wir sind mittendrin. Mit einem kleinen Zelt in der Wildnis. Wow.
Am nächsten Morgen weht ein kühler Wind über das karge Land. Der Regen ist weg, der Weg vom Zelt zum Auto ist Wacken. Lehm, aufgeweicht von der Sintflut, klebt nach wenigen Schritten zentimeterhoch unter unseren Schuhen. „Ich habe High Heels!“, rufe ich, bevor ich mich beinahe auf die Fresse lege.
„Immerhin sind wir endlich mal nicht so klein“, erwidert mein Freund, bevor er einen Hügel hinunterschlittert.
Nach Spiegeleiern mit Speck – wir sind eigentlich keine großen Fleischesser, aber nach letzter Nacht war so ein Scheiß-drauf-Morgen – wandern wir in die Wildnis. Gekennzeichnete Wege sind nicht vorhanden, dafür aber Koordinaten zu spannenden Formationen. Mit einer Offline-Karte navigieren wir meilenweit zu Fuß über gelbe, rote und graue Steinbrocken. Wir fühlen uns ein bisschen wie bei „Insel der 1000 Gefahren“. Dann sehen wir einen Steinhaufen, der aussieht wie die Orgel eines verrückten Oktopusses, aufgesprungene Bälle, die auf der Karte als „Cracked Eggs“ bezeichnet sind, und schließlich noch versteinerte Baumstämme, die wirken wie Holz, aber eben aus Stein bestehen. Dazwischen zylindrische Felssäulen mit Steinscheiben auf der Spitze und pilzförmige, kleine Knubbel. Es ist eine unwirkliche Welt.
Als wir zurückkommen, begegnen wir zwei Wanderern, die ebenfalls in der Bisti-Wilderness übernachtet haben – allerdings in einem Wohnmobil von der Größe eines Kreuzfahrtschiffs.
„Irgendwie roch es heute Morgen so nach Bacon“, sagen sie und schnüffeln mit hungrigem Blick in die Luft. Ich zucke mit den Schultern und grinse.
Der eigentliche Grund, weshalb wir überhaupt auf diesem 4.000 Kilometer langen, einmonatigen Roadtrip durch den Südwesten der USA sind, ist allerdings ein großes Event: die Albuquerque International Balloon Fiesta. Eines der größten Heißluftballon-Festivals der Welt. Ein Ort, an den ich schon seit Jahren will, denn ein Punkt auf meiner Bucket List ist: ganz viele Heißluftballons auf einmal am Himmel sehen.
Es ist einfach mal 3:20 Uhr am Morgen, als der Wecker geht. In manischer Vorfreude habe ich vor einigen Wochen Tickets für die Sunrise Session bestellt. Dabei habe ich die Anfahrtszeit zum Festivalgelände und die feste Einlasszeit um 4:30 Uhr geschickt verdrängt. Mit einem halboffenen Auge sitze ich neben meinem Freund in einem bretternden Shuttlebus, während draußen noch tiefste Nacht ist.
Dann sind wir auf dem Gelände. Die Wiese ist nass, die Luft kalt. Ich habe mir einen blöden Kakao für 5 Dollar gekauft, weil mir sonst die Hände abgefroren wären. Mein Freund ist ein früher Vogel (und ein komischer Vogel) und springt aufgeregt zwischen den Souvenirständen herum. Langsam fahren immer mehr Trucks auf das weite Feld. Auf ihren Anhängern und Ladeflächen stehen viereckige Körbe. Wir schlendern zwischen den Autos hindurch und beobachten von ganz nah, wie die ersten Teams ihre riesigen, bunten Ballonhüllen auf dem Boden ausbreiten. Ich hätte nicht gedacht, dass man so direkt ans Geschehen ran darf. Ich bin fast so aufgeregt wie an Heiligabend und vergesse kurz, dass immer noch fucking fünf Uhr morgens ist.
Auf einmal faucht eine riesige Flamme direkt neben uns. Und noch eine. Während es langsam dämmert, blasen sich die ersten, regenbogenfarbenen, gigantischen Heißluftballonhüllen um uns herum auf. In diesem Jahr sind rund 600 Ballons dabei, in Nicht-Corona-Nerv-Jahren sogar über 1000. Als der allererste Ballon nach langer Wartezeit und Kälte endlich leuchtend in den orangenen Morgenhimmel aufsteigt und die Menschenmenge um uns herum jubelt, ist Gänsehaut angesagt. Ein Ballon nach dem anderen hebt ab. Oft auch mehrere gleichzeitig. Einer hat ein kunstvolles, orientalisches Muster, ein anderer den Slogan vom Bundesstaat Montana, einer sieht aus wie Yoda und dann heben drei Pinguine ab.
Wir stehen mittendrin und sehen zu, wie der Himmel blauer und zugleich bunter wird. Es ist, als würde man in einer Wolke aus Seifenblasen stehen. Ein kindlich-magischer Moment für die Ewigkeit.
„Ich wollte schon immer mal ganz viele Heißluftballons auf einmal am Himmel sehen“, sage ich zu meinem Freund.
Er legt seinen Arm um mich: „Und genau deshalb sind wir jetzt hier“, erwidert er.
Die Albuquerque Balloon Fiesta findet jedes Jahr Anfang Oktober für mehrere Tage statt. Weitere Berichte und Inspirationen für wunderschöne Roadtrips und Sehenswürdigkeiten in New Mexico findet ihr hier: