Ich krieche auf dem kleinen Balkon von unserem Airbnb Seattle herum, um die Zeltplanen reinzuholen, die wir über Nacht zum Trocknen ausgelegt hatten. Auf einmal steht mein Freund im Zimmer und guckt, als hätte jemand gerade die Main Street weggesprengt. „Wir stecken richtig in der Scheiße“, liefert er den passenden Untertitel zu seinem Gesicht. „Die Zeltstangen sind nicht im Auto.“
Ich lausche seinen Worten wie dem Tröpfeln einer kaputten Klospülung. Die Zeltstangen? Nicht? Im Auto? Langsam wandern meine Gedanken zurück zum gestrigen Vormittag, an dem wir unseren Krempel miesepetrig im Dauerregen auf einer Wiese eingepackt haben. 600 Kilometer und acht Fahrstunden von hier. Ich sehe auch die Zeltstangen vor meinem geistigen Auge. Auf einem Picknicktisch liegen.
„Ich dachte, du hättest…“, fange ich an, erkenne aber die Sinnlosigkeit meiner Ausführungen im Keim. Es ist scheißegal, wer irgendwas hat, denn offenbar haben wir nicht. Während mein Freund zurück zum Auto geht, um so zu tun, als gäbe es noch irgendeine Art von Hoffnung, zerknülle ich die nun völlig nutzlose Zeltplane und werfe sie gegen die Wand. „Aaaargh, ich hasse Camping!“, rufe ich.
Camping – ins besondere Zelten – ist Liebe und Hass. Sonnenuntergang und Starkregen. Freiheit und Vorhölle. Kommt mit zu den schönsten und schrecklichsten Momenten beim Campen und lacht mit uns – denn das tun wir früher oder später selbst immer.
Nachdem wir keinen 1.200 Kilometer langen Umweg gefahren sind, nur um herauszufinden, dass eventuell schon jemand die scheiß Zeltstangen von dem Picknicktisch geklaut hat, haben wir den Vormittag nicht im Mount Rainier National Park, sondern bei einem Outdoor-Store verbracht. Um ein neues Zelt zu kaufen. Mit Stangen. Jetzt haben wir einen Half-Dome. Und das Teil sieht echt aus wie eine kleine Kuppel, in der jemand Test-Gemüse für eine Auswanderungsmission zum Mars anbaut.
Der Aufbau ist easy, auch wenn mein Freund daraus gern eine wissenschaftliche Abhandlung formuliert („Sarah, die Zeltplane ist just not right!“).
Was ein Zelt tut, ist recht simpel: Es hält Regen und Wind ab. Punkt. Eine Heizung hat es nicht. Draußen zwei Grad, drinnen zwei Grad. Putin voll angepisst. Als wir in den Rocky Mountains zelten, erfahre ich auch, was das Zelt nicht abhält: Bären. Die halbe Nacht liege ich wach, weil ich mir einbilde, zu hören, wie ein Bär näherkommt und mit seinen Klauen die Plane zerfetzt. Am nächsten Morgen ist natürlich nix. Nur Elche.
Irre nervig ist beim Zelten, wenn man das nasse Moppet zusammenpacken und ins Auto oder den Rucksack stopfen muss. Das ist so, wie wenn man Sauerkraut fallen lässt und dann noch jemand durchlatscht.
Irre toll ist, morgens den Reißverschluss aufzuziehen und den Sonnenaufgang zu sehen und zu fühlen. Die Luft im Wald, das Rauschen vom Bach. Sein „Haus“ immer dabei zu haben. Wenig Geld oder manchmal überhaupt kein Geld für eine Übernachtung auszugeben. Eins zu sein mit der Natur, ohne Wände, Fenster und Schnickschnack.
Camping-Essen kann den Tag so richtig romantisch ausklingen lassen – oder versauen. Vom knisternden Lagerfeuer bis zum tapetenkleisterigen Nudelmatsch. Besonders hart kommt es, wenn man Backpacking macht. Wandern in der Wildnis mit 15-Kilo-Rucksäcken.
Ihr ahnt es schon: wo es auf jedes Gramm ankommt. Dann geht nicht viel mehr als ultraleichter, gefriergetrockneter Shit, der bei Berührung mit Wasser in etwas aufquillt, das mit viel Einbildung als gewürzter Pappkarton durchgeht. Google-Bewertung: ein Stern, „das Essen war stets bemüht“.
Besser läuft es, wenn man ein Auto oder einen Van dabei hat. Dann kann man Gaskocher, Briketts oder sogar einen Dutch Oven mitbringen und richtig was zaubern.
Ein Dutch Oven – hä? Was ist das denn? Nein, da drin backt man kein holländisches Käserad (wobei, wäre das nicht der Kracher?!). Es ist auch kein Ofen im klassischen Sinne, sondern ein ziemlich schwerer, gusseiserner Topf mit Deckel, mit dem man dem Bären eins auf die Zwölf geben könnte, wenn er einen in der Zwischenzeit nicht schon gefressen hätte. Den Dutch Oven stellt man auf Lagerfeuer-Glut, wo er die Hitze gleichmäßig annimmt.
Wir kochen normalerweise mit Gas. Die für mich noch neue Idee mit dem Dutch Oven habe ich von Anja vom Magazin und Blog „Die Frau am Grill“. „Kochen im Dutch Oven ist unglaublich lecker“, erklärt sie. „Der Geschmack ist ganz einzigartig. Wenn du das noch nie ausprobiert hast, musst du es unbedingt mal machen!“
Vielleicht nicht auf unserem nächsten Ultraleicht-Rucksack-Trip, aber bestimmt am nächsten Lagerfeuer neben dem Auto oder Van. Rezepte hat Anja auch am Start.
Übrigens: Nie werde ich vergessen, wie mein Freund aus Versehen über eine riesige Bodenwelle gedonnert ist, woraufhin sich zischend ein mörderischer Gasgeruch im Auto ausgebreitet hat und ich panisch aus der Tür gesprungen bin, weil ich dachte, gleich fliegt alles Bruce-Willis-alike in die Luft. War Quatsch. Aber Gaskartuschen mögen einfach keine Erschütterungen.
Egal wie gut das Zelt oder das Essen ist – wenn das Wetter scheiße ist, macht Camping wenig Bock. Das beschließe ich endgültig, als wir im Juni bei Schneeregen und Höchsttemperaturen um vier Grad am Crater Lake National Park in Oregon sitzen.
„Gehst du schon wieder aufs Klo?“, fragt mein Freund verwundert.
Ich nicke ausweichend.
Zwar ist das Klohäuschen am Eingang zum Campingplatz auch nicht beheizt, aber immerhin kann ich dort im Trockenen aufrecht stehen. Im Zelt gehen bloß Sitzen oder Liegen und außerhalb des Half-Domes nieselt es gemixt mit Schneeflocken.
Am Nachmittag schaue ich mir sogar zwanzig Minuten lang die krasse Auswahl von drei Postkarten im warmen Besucherzentrum im Nationalpark an. Ich denke darüber nach, das Zelt abzufackeln. Wäre die Temperatur wenigstens kurz angenehm.
Dann wiederum gibt es Momente, in denen Worte nicht ausreichen, um das Gefühl von Freiheit, Glück und Zufriedenheit beim Zelten in Worte zu fassen. Der Nachmittag, an dem wir in einem abgeschiedenen Fels-Tal campen, 50 Kilometer bis zur nächsten Stadt, kein Handyempfang und mit den Vibes von Ureinwohnern, die hier vor tausenden Jahren Botschaften und Kunst in die Steinwände geritzt haben. Der Abend, an dem wir bei über 20 Grad am Lake Powell sitzen, mit Vanillepudding, Kakao und der Milchstraße glühend weiß am dunkelblauen Nachthimmel direkt über uns. Der Morgen, an dem ich in den Great Sand Dunes in Colorado aus dem Zelt sprinte und eine riesige Düne hochrenne, während mir die Strahlen der aufgehenden Sonne entgegenkommen.
Ob man Bock auf Zelten und Camping hat, lässt sich selten nach einer einzigen Erfahrung sagen. Wahrscheinlich lässt es sich nie genau sagen. Denn da ist immer Liebe und Hass. Und auf gar keinen Fall Langeweile.
Mehr zu diversen Camping-Abenteuern von uns findet ihr hier: