„Und dann können wir in Nepal ja noch ein paar Tage in den Dschungel“, sagt mein Freund.
Hä, Dschungel im Himalaya? Vor meinem geistigen Auge tanzt eine Giraffe in Schneeschuhen auf dem Everest.
Nach etwas Recherche wird mir klar, dass ich trotz vieler Reisejahre mal wieder volle Möhre in ein Landesklischee gelatscht bin. Shame on me, die immer darüber lacht, dass Amerikaner denken, Deutschland wäre Bayern. Nepal hat tatsächlich nicht nur Achttausender und Himalaya-Trekking, sondern auch eine Klimazone, in der subtropischer Monsun herrscht – mit Temperaturen von bis zu 43 Grad im Sommer. Da würde Reinhold Messner die Eis-Axt aus der Hand glitschen.
Genau in dieser Zone liegt der Chitwan Nationalpark. Und was wohnt da? Nashörner, Affen,
Krokodile und Tiger. Nix wie hin!
Als mein Freund dann noch eine Übernachtung in einem Holzturm mitten im Dschungel auftut, bin ich endgültig aufgeregt. Wir waren schon mal fünf Tage im Regenwald in Ecuador und ich mag es, ganz nah an und in der Natur zu sein.
Zu meinem Glück habe ich sämtliche Erinnerungen an entsetzliche Hitze, Luftfeuchtigkeit und Stechviecher aus meinem Gedächtnis gelöscht – und so jodeln wir fröhlich in einem halsbrecherischen Überlandbus von Nepals Hauptstadt Kathmandu in den sechs Fahrstunden entfernten Chitwan Nationalpark. Zu hungrig-grinsenden Krokodilen, nächtlichen Nashörnern und dem überraschend großen und positiven Einfluss, den wir als Touristen mit kleinsten Entscheidungen haben können.
Dramatische, violette Wolken mit orange leuchtenden Flecken ziehen über den gemächlich dahinfließenden, breiten Strom im Dschungel. Wir sitzen am Abend nach der Ankunft am Chitwan National Park am Ufer des Rapti River und beobachten den Sonnenuntergang. Während ich versuche, ein Foto von einem Fischreiher zu machen, versucht eine Reisegruppe aus China, Fotos von uns zu machen. Ich überlege, hektisch mit Visitenkarten zu werfen und zu behaupten, ich wäre Queen Eichhorn von Sachsen-Anhalt.
Doch dann laufen wir einfach nur unerkannt durch wunderschön im Abendlicht strahlende,
hellgrüne Reisfelder zurück zur Unterkunft.
Für drei Tage sind wir in der Safari Adventure Lodge einquartiert, wo es fantastisches, nepalesisches Essen und einen kleinen Garten mit Schmetterlingen, Pavillons und Hütten gibt. Später sehe ich eine erstaunlich lange Schlange und stolpere fast über einen grünen Frosch vor der Eingangshalle. „This means good luck!“, sagt eine der Angestellten überschwänglich. Ein Glücksfrosch, das gefällt mir!
Der Nationalpark beginnt gleich hinter der Lodge, ist aber mit Stacheldraht und hoher Mauer versehen. Huh?
Der Chitwan Nationalpark ist 932 km² groß und die Tiere können sich frei darin bewegen. „Wenn wir hier aber keine Mauer zwischen dem Park und dem Dorf gezogen hätten, würden nachts die Tiger kommen“, erklärt einer der Guides. Das wäre gefährlich für die Bauern, die teils in minimalistischen Hütten mit Ziegen und Hühnern leben.
Am nächsten Tag machen wir eine Kanufahrt auf dem Fluss in einem Boot, das aus einem einzigen, großen Baumstamm geschnitzt ist. Neben Eisvögeln sehen wir einen Pfau und ein Krokodil, das mich mit scharfen Zähnen angrinst. Als wir auf Augenhöhe an ihm vorbeifahren, habe ich das Gefühl, es blickt mir hinterher, so wie die Figuren in den düsteren Ölgemälden von Rembrandt. Eigentlich wollte ich gerade mit der Hand die Wassertemperatur testen, aber seltsamerweise überlege ich es mir spontan anders.
Danach geht es zu Fuß mit Guide in den Dschungel. Unterwegs sehen wir, wie eine Reisegruppe für
einen Ausritt auf die Rücken von Elefanten geladen wird.
Was wie ein romantischer Ausflug wirkt, hat einen Hintergrund, der jeden empathischen Menschen berührt: Damit man Elefanten reiten kann, muss ihren Willen brechen, wenn sie zwei oder drei Jahre alt und noch Kinder sind. Dazu werden zum Teil Mahouts genutzt – spitze Metallhaken, mit denen die Tiere geschlagen und in ihre empfindlichsten Körperstellen gestochen werden. Die Elefantenkinder werden dazu von ihren Müttern getrennt und schreien oft wochenlang nach ihnen. Damit sie nicht zu ihnen können, werden sie an den Füßen angekettet. Wenn die Tortur vorbei ist, erkennen sich Kinder und Mütter manchmal nicht mehr wieder.
Stell dir ein kleines Kind vor, das du kennst. Deine eigenen Kinder, das Nachbarskind, Kinder von Freunden und Verwandten, Enkelkinder. Kannst du dir vorstellen, dass eine überlegene Spezies diesen Kindern so etwas antun würde, nur um daraus eine Touristenattraktion zu machen?
Wir haben extra eine Tour gebucht, die Elefantenreiten aus dem Programm genommen hat. Das ist diese Tour von Welcome Nepal Treks. Vor Ort deutet unser Guide auf die Reisegruppe, die gerade auf die Rücken der Elefanten steigt. „Sowas haben wir früher auch gemacht, aber dann haben sich vor allem Europäer bei uns beschwert, wie grausam das ist und dass sie dagegen sind und so etwas nicht mehr buchen möchten. Daraufhin haben wir das Reiten aus unserem Programm genommen.“
Ich bin überrascht. Oft denkt man, dass eine Beschwerde, eine Meinungsäußerung, eine Bewertung im Internet eh nichts bringt.
Hier hat es das. Mein Freund und ich sowie drei Skandinavier bekräftigen die Entscheidung des Tourenanbieters und loben das Umdenken.
Sag was. Eine einzige Stimme ist besser als keine. Vielleicht muss irgendwann kein kleiner Elefant mehr leiden, weil du etwas gesagt hast. Weil dein Wort etwas angestoßen hat.
Eine der Nächte im Chitwan Nationalpark verbringen wir in einem dreistöckigen Holzturm mitten im Wald. Es gibt ein Bett mit Moskitonetz, eine Toilette mit Regenwasser und affengeile Aussicht. Vom Balkon im obersten Stockwerk aus sehen wir über dichte, grüne Büsche am Boden, eine Ebene mit afrikanisch aussehenden Bäumen und hören ein fabelhaftes Konzert von Zikaden, Affen und Fröschen. Eine Klimaanlage gibt es nicht. Ich werfe erstmal meine Wanderschuhe in die Ecke und wische mir mit den nassen Handflächen die nassen Arme ab. Es ist so heiß, als würde mein Kopf in einem Backofen stecken, aber zugleich auch in einem Springbrunnen aus Schweißwasser. Alles klebt. So widerlich und schön zugleich ist nur der Dschungel. Ich versuche an unseren Wintertrip nach Nord-Alaska zu denken. Als mir mein Handschuh auf den Boden gefallen ist und meine Hand vom Eiswind in den drei Sekunden taub wurde, die es gedauert hat, den Handschuh wieder aufzuheben. Die Vorstellung ist völlig absurd.
Aber hey, vielleicht sehen wir einen Tiger. Durch Wilderei hat die Zahl der Tiger stark abgenommen. Bis 1973 der Chitwan Nationalpark gegründet wurde. Seitdem hat sich die Population erholen können. Trotzdem passiert es sehr selten, dass man einen Tiger sieht und auch wir haben in dieser Nacht leider kein Glück.
Doch um den Sonnenuntergang herum raschelt und schnaubt es plötzlich in den dichten Büschen unter uns. Mehrere dicke, graue Nashörner bahnen sich ihren Weg durch die Blätter! Majestätisch bleiben sie stehen, schauen sich um, kauen, schnauben erneut. Wir sitzen still auf unserem Holzturm und spähen hinunter. Es ist wundervoll! Über der Ebene breiten sich weiße Wolken und bläuliches Abendlicht aus. Ein paar Rehe erscheinen. Es ist wie ein Theaterstück. Die Zikaden packen ihre Geigen aus und irgendwo ruft ein Vogel im Takt dazu. Dann passieren die Nashörner langsam und friedlich die Herde von Rehen.
Natürlich muss ich ausgerechnet nachts um 3 aufs Klo, das eine Etage tiefer liegt. Ich packe meine Taschenlampe ein, denn die Nacht ist bis auf etwas Mondschein komplett dunkel. Keine Straßenbeleuchtung, keinen Autos, keine Häuser. Dafür gibt es irgendwelche Stechviecher, die es auf mich abgesehen haben. Alter, können die nicht auch mal schlafen gehen?
Unten schnaubt es wieder. Ich halte meine Taschenlampe in den Dschungel. Eines der Nashörner
schaut mich an. Fast so, als würde es sagen „Ey, mach das Licht aus!“ Ich muss lachen und schalte die Lampe wieder aus.
Ein Trip in den Chitwan Nationalpark ist eine Reise in einen Teil Nepals, der nichts mit Schnee
und Bergsteigen zu tun hat. Ein Ort, an dem Tierschutz „in the making“ ist, man den Einsatz der Menschen sieht und sich mit seinen Entscheidungen und Worten – nicht herablassend westlich,
sondern auf Augenhöhe – im kleinen Rahmen daran beteiligen kann, dass sich die Situation für die Natur dort weiter verbessert.
Hier geht es zu unseren anderen Abenteuern auf unserer Reise mit dem Bus durch Nepal:
Kasia Oberdorf (Montag, 05 Februar 2024 16:28)
Sehr cool, in diesem Holzturm habe ich damals in Chitwan auch übernachtet. Bin unten fast von einer Nashornmutter zertrampelt worden, hörte nachts Tigern bei der Jagd zu (eine Herde Rehe hatte es sich ausgerechnet auf der Lichtung unter dem Turm gemütlich gemacht...) und wurde im Turm selbst trotz geschlossener Türen und Gittern vor den Fensterlücken von irgendwelchen kleinen Tieren der Reste meines Abendessens beraubt... Ach, und heiß war es auch. Sehr heiß. Beeindruckend und einmalig schön.
Die Elefanten in Chitwan benötigen eine dauerhafte Lösung. Wild lebende Elefanten kommen sich mit Dorfbewohnern ins Gehege, weil sie Felder plündern und die Ernte zerstören. Dafür wurden sie früher einfach mal getötet. Momentan verdient man mit ihnen Geld, unter anderem durch die Reitausflüge. Wir (die Gruppe, der ich mich kurzzeitig angeschlossen hatte) haben die Anlage besucht, die Schautafeln dort vermitteln einen ziemlich genauen, ungeschönten Eindruck von der Prozedur der "Zähmung". Mir schwebt als Lösung eine Art "geschütztes, besuchbares Refugium für Elefanten" vor, wo man die Tiere als Tourist besuchen kann und wo sie von den Feldern der Anwohner ferngehalten werden können. Da das Elefantenreiten in dem Land eine lange Tradition hat, wird es ein langer Weg - zudem das Bewusstsein vieler Besucher noch nicht für das Thema sensibilisiert wurde. Aber du hast Recht: wenn Touristen ihre Nachfrage nach dem Angebot "Elefantenreiten" entziehen, wird man sich Alternativen überlegen müssen. Ich hoffe, es werden solche sein, die gut für die Tiere und für die Menschen sind.