Der blaue Himmel von Düsseldorf verflüchtigt sich und ein grauer Pudding aus Wolken schiebt sich in mein Blickfeld. Ich starre aus dem zerkratzten Flugzeugfenster. Lass mal vor dem deutschen Herbst flüchten und nach Italien verschwinden! Aha. Kurz vor Mailand dann der totale Absturz. Also echt jetzt! Der Flieger schwankt, der Wind tost – und plötzlich sacken wir mal eben ein paar flockige Meter ab. Ein hyänenartiges Raunen schießt durch die Kabine. Ich klammere mich mit beiden Händen an die Armlehnen. Das Paar neben mir fragt, ob ich Flugangst habe. Ich frage mich, ob sie blind sind oder ich noch nicht grün genug im Gesicht bin.
Meine beste Freundin Dani, die eine Stunde später mit ihrem Flieger aus Hamburg kommt, kann gar nicht erst landen, denn der Regen hat sich mittlerweile zum Gewitter ausgewachsen. Ein stürmischer Start für unseren zweiwöchigen Road-Railtrip durch Italien, dem noch mehr Regen, waghalsige Ausblicke auf die Cinque Terre und die Wanderung des Todes folgen.
Wir sitzen in unserer gemütlichen Ferienwohnung in La Spezia. Auf dem Herd brodelt Kaffee und ich hole noch schnell den Schal dazu. „Wir könnten Plätzchen backen“, sage ich sarkastisch. Dann starren wir auf die Karte, um herauszufinden, welche der fünf Dörfer – Cinque Terre – wir uns morgen ansehen wollen. Die kleinen Städte sind auf einem etwa zwölf Kilometer langen Streifen entlang der ligurischen Küste verteilt und in die schroffen Berghänge gebaut, was sie unheimlich malerisch und auch ein bisschen geheimnisvoll macht. Außerdem ist das gesamte Gebiet als Nationalpark ausgegeben und seit 1997 UNESCO-Weltkulturerbe.
Ein Geheimtipp ist Cinque Terre allerdings mal so gar nicht. Gerade im Sommer strömen viele Touristen dorthin, worüber sich schon zahlreiche Blogger und Autoren negativ ausgelassen haben. Wir sind nun Ende September hier und das Aufkommen von Besuchern hält sich absolut im Rahmen. Vielleicht auch, weil es in Strömen pisst und keiner Lust hat, aus dem Haus zu gehen. Die fünf Dörfer heißen Riomaggiore, Manarola, Corniglia, Vernazza und Monterosso al Mare. Natürlich könnt ihr versuchen, in den verwinkelten Gassen der Dörfer selbst eine bezahlbare Unterkunft zu bekommen, aber genauso gut könntet ihr versuchen, an diesem Tag ohne Schirm rauszugehen, ohne nass zu werden. Deshalb bietet sich La Spezia als nächstgrößere Stadt an. Dort gibt es auch einen zentralen Bahnhof, von dem aus es bloß wenige Minuten bis zum ersten Dorf, Riomaggiore, sind.
Eine Einzelfahrt kostet 4 Euro. Egal, ob ihr von La Spezia ins letzte oder erste Dorf fahrt. Sobald ihr aussteigt, werden für die nächste Verbindung (auch zwischen den einzelnen Dörfern) wieder 4 Euro fällig. Macht keinen Sinn, weil man ja immer unterschiedlich lange fährt, aber das interessiert keinen. Es ist also wichtig, sich vorher zu überlegen, in welcher Reihenfolge man welches Dorf sehen will – und was man zu Fuß erledigen kann. Denn die fünf Städtchen sind mit Wanderwegen verbunden. Die netten Pfade, die meist um die 1 bis 2,5 Kilometer lang und recht eben sind, kosten Eintritt. Pro Tag seid ihr mit 7,50 Euro für die Nutzung sämtlicher Wanderwege dabei.
Möchtet ihr zusätzlich die Züge beliebig oft nutzen, kostet das Gesamtpaket 16 Euro am Tag. Das kann man jetzt scheiße finden, aber die Nationalparks in den USA oder Kanada sind auch nicht umsonst. Geschützte Gebiete brauchen Pflege – gerade wenn dort viele Leute unterwegs sind und die Berghänge so oft abstürzen und ganze Wege verschütten, wie in Cinque Terre. Und das kostet halt Geld. Apropos – ja, es sind immer mal wieder Wanderwege nicht begehbar und auch das ist blöd. Aber das ist Natur und wenn sie beschließt, in sich zusammenzustürzen, dann nützt auch großes Genöle nichts. Natur ist nicht dazu da, um uns zu bespaßen. Wir dürfen froh sein, wenn wir ihr manchmal so nahe kommen können, wie möglich.
Und dann sind da noch die langen und anstrengenden Wanderwege durch die Berge. Ihre Distanzen betragen zwischen 3 und 7 Kilometer und sie führen teils über 400 Meter hoch in die Hänge. Sie sind kostenfrei und wer einen davon gelaufen ist, weiß auch warum. Man bezahlt mit seinen Knochen. Aber man bekommt auch was: eine atemberaubende Sicht auf das Meer, die Klippen, die bunten Häuser, riesige Kakteen und wunderschöne Weinberge.
An unserem ersten Tag möchten wir Manarola und Corniglia in Angriff nehmen. Zu Fuß. Kostenlos. Ich sag’s nur schon mal vorab.
Nachdem wir eine halbe Stunde in einem dubiosen Hauseingang in Manarola gefroren haben, ist der Regen endlich vorbei und wir machen uns auf den Weg. Vor uns liegen 1.200 Stufen. Wir fluchen und schwitzen, denn die Luftfeuchtigkeit in den bewaldeten Hängen liegt knapp über der einer finnischen Sauna. Doch immer wieder müssen wir aufhören, uns aufzuregen, weil der Blick nach unten einfach nur fantastisch ist.
Das dunkelblaue Meer schwappt wie ein Teppich an die grauen Felsen. Manarola wirkt von hier aus, als hätte jemand eine Packung Smarties auf die Klippen gekippt. Neben uns leuchten hellgrüne Weinreben im milchigen Licht und ganz weit weg sehen wir sogar schon einen Schatten von Corniglia. Der wird allerdings auch in den kommenden zwei Stunden nicht größer. An manchen Ecken schickt Dani mich vor, da sie an Höhenangst leidet und es einfach mal so gar kein Geländer gibt. Gefährlich ist es nicht – aber saumäßig anstrengend.
Als wir nach einigen Pausen, Schnappatmung und wackeligen Knien gegen Abend und etwa dreieinhalb Stunden später in Corniglia ankommen, beschließen wir, morgen entweder für die einfacheren und kürzeren Wege zu zahlen, komplett den Zug zu nehmen oder einfach tot umzufallen. Der Abend in Corniglia ist jedoch wunderbar. Die Sonne bricht hervor und taucht die Gässchen in warmes Licht. Die bunten Fassaden ergeben sich dem orangefarbenen Farbspektakel am Himmel und strahlen wie rechteckige Laternen. Auf einmal erscheint zwischen den Wolken ein kleiner Fleck, der wie ein punktueller Regenbogen aussieht. Ich eskaliere kurzerhand mit der Kamera und vergesse, dass meine Beine nur noch aus Krampfadern bestehen, während Dani beinahe eine Straßenkatze adoptiert.
Ach ja, schon Anfang September kann es in Cinque Terre nach Sonnenuntergang so kühl werden, dass ihr einen Pullover mitnehmen solltet!
An unserem zweiten Tag kriechen wir über den Fußboden, sind aber neugierig auf die anderen drei Dörfer. Die Neugier hält auch noch bis etwa 15 Uhr an, denn vorher kommen wir wegen Gewitter und sintflutartigen Regenfällen einfach nicht aus dem Haus. Schöne Scheiße, zumal wir durch unsere Rundreise quer durch das Land keinen Tag dranhängen können. Wir recherchieren mit doppeltem Espresso und Flauschesocken, welches Dorf wir uns klemmen können, denn aufgrund der Dunkelheit ab 19.30 Uhr werden wir absehbar nur noch zwei Dörfer schaffen – selbst mit dem Zug. Am Ende fliegt Monterosso al Mare raus, da es zum einen nicht spektakulär auf Klippen liegt und zum anderen sehr touristisch wirkt mit einem Strand, der mit Liegen und Schirmen zugeknallt ist. Also donnern wir mit der Bahn nach Riomaggiore. Düstere Wolken lachen feist über den Bergen aber nachdem wir die steile Straße zum Hafen hinuntergeschlendert sind, können wir uns sogar auf den Felsen im Meer ein bisschen in die Sonne setzen.
Mysteriöserweise sind auf einmal zwei Stunden vergangen und wir rasen schon weiter nach Vernazza. Dort ist irgendetwas anders. Das Dorf nimmt uns sofort gefangen – erst recht, als wir den wunderschönen Hafen erblicken. Boote schaukeln auf dem türkisfarbenen Wasser, der Stoff bunter Schirme auf dem offenen Platz flattert im Abendwind. Mehrere Burgen erheben sich auf den Hängen und das sanfte Licht tut sein Übriges. „Das ist es!“, sind wir uns einig. Das schönste Dorf von Cinque Terre! In der goldenen Stunde steigen wir die Klippen hinauf und die Sonne zaubert minütlich andere Schatten, Farben und Nuancen auf die Fassaden Vernazzas. Als wir oben angekommen sind, liegt schon ein violettes Blau in der Luft. Wenn ihr den Weg links vom Bahnhof hinaufgeht, habt ihr kurz hinter dem Ristorante Bar La Torre eine fabelhafte Möglichkeit, euch auf ein paar Steine zu setzen und poetisch über das Meer und die Stadt zu schauen. Dort oben sind kaum Menschen und die Stille mitsamt dem völlig freien Blick ist einfach unglaublich! Allerdings solltet ihr ein bisschen mehr Achtung vor den massiven Kakteen haben, als ich, weil ich mich fast in einen hineingesetzt hätte. Hust.
Zum Abschluss kommt nun noch meine persönliche Hitliste und Empfehlung an euch:
Monterosso al Mare: Hier war ich ja leider nicht und gebe daher auch keine persönliche Wertung ab. Anderen Berichten folgend ist diese Stadt besonders für Strandfreunde geeignet, auch wenn es auf dem kleinen Sandfleck überfüllt und teuer (ein guter Teil ist mit kostenpflichtigen Liegen zugestellt) sein kann.
Solltet ihr Cinque Terre gesehen haben? Auf jeden Fall! Massentourismus habe ich im September nicht erlebt (dafür solltet ihr vielleicht aber die Sommermonate meiden) und wenn euch aufgrund ein paar gesperrter Wanderwege nicht gleich die Zacken aus der Krone fallen, dann fahrt doch mal hin! Ich empfehle drei bis vier ganze Tage für einen stressfreien Besuch!
Nach Cinque Terre ging es für uns übrigens nach Florenz und Neapel. Was wir da Schönes und Haarsträubendes erlebt haben, erfahrt ihr in einem separaten, ironisch-komischen Reisebericht!
Silvia (Freitag, 28 September 2018 17:24)
Hallöchen! :)
Ich finde es richtig stark, dass ihr die Wanderung gemacht habt und die Bilder dazu sprechen ja eh für sich! Bei Monterosso al Mare habt ihr echt nichts verpasst, das war im Endeffekt ein Klischeehafter Badeort mit einem Handtuch neben dem nächsten. Wir waren in der letzten Juliwoche dort und das fand ich dann schon leicht zu stressig. Bei dir sieht das aber recht entspannt aus und ich kann mir gut vorstellen, dass es sich im September komplett anders anfühlt, als in den Sommermonaten!
Besonders toll finde ich auch die Wolken am Himmel, da kommt ja richtig Dramatik rein! :)
Und ich finde es auch voll schön, dass du ein aufregenderes Erlebnis dort hattest, dann ist die Magie doch noch nicht dahin :)
Liebe Grüße,
Silvia
lonelyroadlover (Montag, 24 September 2018 08:41)
Hallo liebe Roswitha!
Danke für den schönen Kommentar. Ja, ich habe so viele schlimme Dinge vorab gelesen, dass wir fast schon überlegt haben, nicht hinzufahren... das ist doch bekloppt! Wenn ein Ort bekannt und beliebt ist (und dann auch noch klein!), MUSS es ja irgendwann mal voll werden. Und ich kann nicht erwarten, dass ausgerechnet auf meiner Reise dann niemand sonst dort ist, damit ich einen Bilderbuch-Urlaub habe. That's Life.
Lieben Gruß,
Sarah
Roswitha von Bruder-auf-achse (Sonntag, 23 September 2018 20:27)
vielen Dank für euren schönen Beitrag. bin froh, dass auch mal was anderes über die Cinque Terra zu lesen gibt.denn die Schelte hat einfach Überhand genommen.