Völlig banane entere ich nach 12 Stunden Direktflug aus Frankfurt die Grenzkontrolle in San José, Costa Rica. Natürlich lag beim Landeanflug ein Gewitter über der Stadt und so hatte ich gleich einen Freefall Tower for free inklusive schreienden Passagieren und immensen Schweißausbrüchen.
Ich sehe meinen Freund, der von den USA aus nach Costa Rica gekommen ist, schon hinter dem Grenzhäuschen auf mich warten, muss aber erstmal ganz grenzdebil für den Grenzbeamten die Adresse meiner Unterkunft richtig aufsagen. Was nach den Vorkommnissen während des Landeanflugs ungefähr so einfach ist, wie eine Doktorarbeit in Quantenphysik zu schreiben. Dann wird mein Pass für 16 Tage gestempelt – was sehr wichtig ist für meine spätere Weiterreise in die USA – und ich renne wie ein Ampelmännchen in die Arme meines Freundes.
Zwei ganze Wochen werden wir gemeinsam Costa Rica bereisen. Mit einem Mietwagen durchs Land roadtrippen, im Dschungel wandern, Vulkane erkunden und ziplinen. Von der Karibikküste zur Pazifikküste.
Die ersten Tage verbringen wir nicht nur im blauen Verkehrsdunst der Vorhölle von San José, sondern vor allem im abgelegenen Tortuguero National Park, den man nur mit einer einstündigen Bootsfahrt erreichen kann. Wo nachts die Affen brüllen, die Tukane im Dschungel leuchten und die Eidechsen deinen Kuchen fressen.
Für mich ist der Trip nach Costa Rica nicht bloß Urlaub, sondern auch notwendig, damit ich anschließend mit meinem Freund zu ihm in die USA fliegen darf. Bescheuerte Corona-Einreiseregelung für Europäer. Seit März 2020 muss man sich erst 14 volle Tage in einem Drittstaat aufgehalten haben, bevor man in die Vereinigten Staaten einreisen kann. Da ich das aber schon letztes Jahr über Aruba gemacht habe, bin ich inzwischen ein Pro.
Kurz nachdem wir den Flughafen verlassen haben, sitzen wir schon in unserem Mietwagen und schieben uns durch den irren Stadtverkehr von San José. Wieso ist denn die Lüftung zu? wundere ich mich. Ich öffne sie. Wenige Sekunden später bin ich betäubt von den blauen Gasen, die hier aus dröhnenden Bussen und halb abgewrackten Autos strömen. Ich schließe die Lüftung mit den Kräften meines letzten Atemzugs wieder.
Auch am nächsten Tag, als wir San José um 6 Uhr morgens zu Fuß erkunden, weil ich Jetlag habe und seit 3 Uhr wach bin, hat die Großstadt mit ihren 340.000 Einwohnern nicht gerade an Charme gewonnen. Am Straßenrand liegen Obdachlose mit Pappkartons auf den Köpfen, monströse Motoren von Lastwagen übertönen jeden Raketenstart in Cape Canaveral und an Laternenpfählen hängen Kabel so dick und zahllos, dass ein Kurzschluss vermutlich den Mond sprengen würde. Ich reise allerdings auch nicht, um was Schönes zu sehen, sondern die Welt, so wie sie ist. Nicht im klimatisierten Pauschalbus.
Wir streifen durch die Innenstadt, finden interessante Street Art, quatschen und lachen in einem Park und gönnen uns am Ende noch einen fetten Smoothie.
Damit hat man San José dann aber auch gesehen.
Und so düsen wir am nächsten Tag los zur Karibikküste Costa Ricas. Richtung Tortuguero. Wobei düsen es nicht so ganz trifft. So etwas wie deutsche Autobahnen gibt es hier nicht. Die meisten Straßen sind Überlandstraßen, wo man wahlweise 40, 60 oder 80 Stundenkilometer fahren kann. Die Geschwindigkeitslimits sind auf den Asphalt gepinselt und teils so verwaschen, dass man nicht immer weiß, was vor sich geht. Wichtig ist aber vor allem: Motorräder haben Vorfahrt. Immer, links und rechts, mit Bananen oder Palmen beladen, mit Frauen in Flipflops auf dem Sozius und Kindern unterm Arm.
An sich sind die meisten Hauptverbindungsstraßen im Land sehr gut in Schuss. Geteert und mit wenigen Schlaglöchern. Wenn man davon absieht, dass die Regenrinnen neben der Fahrbahn drei Meter tief ins Nichts abfallen und es keine Leitplanken gibt. Nachts ohne Straßenbeleuchtung ist das nicht so der Hit. Ansonsten ist das Autofahren in Costa Rica wie auch das gesamte Land nicht sehr gefährlich. Costa Rica gilt als eines der fortschrittlichsten Länder in Mittel- und Südamerika und es gibt absolut keinen Grund, sich hier unsicher zu fühlen. Wenn man gleichzeitig normalen Menschenverstand benutzt.
Gegen Mittag kommen wir in La Pavona an, wo man seine Karre auf einem großen Parkplatz für $10 die Nacht abstellen kann. Denn dort, wo wir hinwollen, sind keine Autos erlaubt oder möglich. Nur Boote.
Eine Stunde lang düst (jetzt aber wirklich!) das Motorboot auf dem bräunlichen Wasser der Flüsse des Regenwaldes bis nach Tortuguero. Es ist die einzige Anbindung des Örtchens Tortuguero an den Rest Costa Ricas. Während die Einheimischen auf der Fahrt auf ihre Handys starren, blicke ich in das Wimmelbild aus Schlingpflanzen, Palmen, Lianen und moosbedeckten Pflanzen, die entlang des Flusses zu einem riesigen und undurchdringlichen Urwald ausufern. Ich bin das erste Mal in den Tropen. Mein Freund lächelt und legt seinen Arm um mich. Er war schon in Peru und Ecuador, erinnert sich aber gut an seine allerersten wundersamen Eindrücke vom Regenwald dort.
Als wir anlegen, stolpern wir in ein winziges, buntes Dorf, das im Grunde nur aus einer Straße besteht. Links sieht man den Fluss, rechts zwischen den Häusern schon das donnernde, karibische Meer. Tortuguero befindet sich auf einem extrem schmalen Stück Land. Und wir haben ein kleines Holzhaus direkt neben dem Nationalpark zwischen hohen Bäumen, riesigen Blumen und Büschen.
Alle Pflanzen hier sind monumental groß, verglichen mit Europa. Es ist extrem warm und luftfeucht, was offenbar den winzigen Farn, der zu Hause bei mir im Wald wächst, hier in einen überdimensionalen, meterhohen Baum mit massivem Stamm mutieren lässt.
Am nächsten Morgen machen wir zusammen mit unserem Gastgeber eine Sonnenaufgangstour mit dem Kanu in den Regenwald. Ich bin müde und aufgeregt. Genau wie das Wetter, denn es schüttet und zugleich scheint die Sonne. Unter einem fantastischen Regenbogen legen wir ab in die morgendliche Stille des Regenwaldes.
Leise gleitet das Boot über die glatte Wasseroberfläche in das Gewusel der tropischen Pflanzen. Lautlos deutet unser Guide auf einen braunen Vogel mit sehr langem Schnabel. Ich fuchtele möglichst lautlos und unauffällig mit meiner Kamera herum. Dann erklärt er etwas über die Brutzeit, Naturschutz und die Gewässer. Kurz darauf blickt er durch sein Fernglas weit nach oben: „Tukane“, sagt er dann. Ich raste aus! Wenn ich ein Tier unbedingt sehen wollte, dann einen Papagei oder einen Tukan.
Und da sitzen sie. Gleich drei auf einmal. Bunter als der Regenbogen. Wunderschön. Kurz darauf kreischt ein Schwarm grüner Papageien über uns hinweg. Als fänden sie es unverschämt, dass ich nur die Tukane fotografiere und nicht auch sie.
Als wir auf der dreistündigen Fahrt immer tiefer in immer kleinere Kanäle abbiegen und uns unter Palmen und Ästen hinwegducken müssen, werden auch die Geräusche immer intensiver. Hunderte von Vögeln singen, piepsen, krächzen, flöten. Und ich meine jetzt nicht wie die nervige Hu-huu-hu-Taube auf der Kölner Domplatte.
Dann wird unser Guide plötzlich aufgeregt. Aus dem Wasser schauen zwei Augen zu uns hinauf. Ein Kaiman. In Wartestellung. Ich bin hin und weg, aber zum Glück nicht aufgefressen. Nach etlichen neongrünen Eidechsen, einer Gruppe Kaiman-Babys und einem Fischreiher entdeckt unser Gastgeber schließlich noch eine Horde Affen für uns. Sie randalieren wild in den Ästen über uns und als wir für eine kurze Beobachtung anhalten, werfen sie eine dicke Kokosnuss direkt neben unser Boot. Wenn das mal nicht ein eindeutiges Verpisst euch! war.
In den folgenden Tagen durchwandern wir zu Fuß den Dschungel des Tortuguero National Parks, rennen über heißen Sand in tosendes Meer, das mit badewannenwarmer Gischt sprüht und essen im Sonnenuntergang Lasagne mit Palmherz. Klingt irgendwie nach fieser Notoperation, ist aber sehr lecker.
In einer Nacht regnet es stark. Unser Holzhaus hat, wie viele Häuser hier, keine Glasscheiben. Nur Fliegengitter. Weil es immer warm ist in Costa Rica. Die Häuser sind so konzipiert, dass es trotzdem nicht reinregnet. Ich liege wach neben meinem Freund, den nicht mal die Detonation von zwölf Elefanten aufwecken könnte, und lausche dem rauschenden Regen auf dem Dach in der Dunkelheit. Es ist magisch. Dann zieht das Unwetter langsam ab. Ich versuche, zu schlafen. Doch auf einmal scheinen tosende Windböen ums Haus zu fegen. Es heult und braust. Ich schaue hinaus. Die Pflanzen vor dem Fenster bewegen sich kein Stück. Seltsam. Irgendwie unheimlich.
Geister?
Ach was.
Am nächsten Tag frühstücken wir Orangenkuchen, den wir aus der lokalen Bäckerei geholt haben. Ich lasse gerade ungeschickt einige Krümel fallen, als unser Gastgeber klopft. Aufgeregt zeigt er uns Affen in einem Baum gleich neben der Hütte. Dann erklärt er, dass nachts oft Brüllaffen kämen und richtig Radau machen würden. Ich peile, dass der unheimliche Wind letzte Nacht kein Wind und kein Geist war, sondern das heisere Brüllen der Affen. Wow.
Als wir wieder reingehen, sind plötzlich meine ganzen Kuchenkrümel verschwunden.
Zwei winzige Eidechsen flitzen vom Tatort weg und zwischen einer Holzspalte hindurch.
„Na dann brauchen wir das zumindest nicht wegfegen“, erklärt mein Freund pragmatisch. Tortuguero – was für ein unheimlich tropischer Traum.
Mehr über den zweiten Teil unseres Trips erfahrt ihr hier: Ziplining, secret Waterfalls and the Gate Mafia - Road Trip Costa Rica II.