Live, cry, scream – die andere Seite des schönen Lebens.

4. November 2023

Live, cry, scream, Wahrheiten übers Bloggerleben, digitale Nomade, Weltenbummler
Jede Sonnenseite hat ihren Schatten - kein Leben ist immer nur perfekt

Ich bewundere, wie du deine Träume lebst, von unterwegs arbeitest und deiner Intuition folgst! Echt, ich freu mich immer über Komplimente. Besonders, wenn ich anderen Menschen Mut machen oder ihnen Ideen und Inspiration geben konnte. Aber ich glaube, ich muss mal aufräumen. Ich glaube, dass zu viele lustige Reiseberichte, Fotos in Jubelposen vor Berggipfeln, Schwärmereien von Freiheit und Mut dazu führen, dass der Buchstabensuppe der Wahrheit irgendwann wichtige Sätze fehlen.

Zum Beispiel „Ich konnte nicht mehr“, „Ich hab auf dem Sofa gelegen und geheult“, „Ich wusste nicht weiter“, „Ich hatte keinen Plan“, „Ich hatte Angst“.

 

Da ich grundsätzlich ein positives Eichhorn bin, versuche ich, das Positive rauszukehren. In einer Welt voller schlechter Nachrichten etwas Gutes zu sagen. Aus Angst Mut zu machen, aus Fehlern Wachstum, aus Problemen Herausforderungen. Dabei vergesse ich manchmal vor lauter Enthusiasmus, dass das den Eindruckt erweckt, als würde ich permanent auf einer rosa Wolke aus Kraft, Furchtlosigkeit, Kreativität und Glück floaten.

You can do it, live your best life, yolo. Bull. Shit.

 

Ich habe auch nach sechs Jahren Selbstständigkeit immer wieder Angst, plötzlich keine Kunden und kein Einkommen mehr zu haben. Ich habe Selbstzweifel und denke, niemand liest diesen bekloppten Blog. Ich habe Angst, dass meinen Freunden oder meiner Familie etwas passiert, während ich auf Reisen bin. Ich habe auf der Erde gelegen und stundenlang geheult, als mein Freund seine scheiß Diagnose bekommen hat.

Zeit, dass der Zimmermann kommt und den Boden der Tatsachen verlegt.

Was ist Schein, was ist Sein, was sind Glück und Erfolg?

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Overthinking, Sorgen und Hader - auch am schönsten Strand normal

Viele Leute wollen scheinen, etwas zu sein, was sie nicht sind. Super erfolgreich, immer stark, immer in Kontrolle, ewig jung, total witzig, mega spontan, oder irgendein anderer Kack, den man dauernd in der Werbung, in Filmen oder auf Dating-Apps vermittelt bekommt. Ich hab keinen Bock, zu scheinen. Vor allem nicht nachts, denn ich kann nicht schlafen, wenn es hell ist.

 

Ja, ich möchte Menschen ermutigen, rauszugehen, ihre Träume zu leben, etwas zu wagen, über den Tellerrand zu blicken, Schubladen zu zerstören, etwas anzupacken. Aber mindestens die Hälfte der Zeit hadere ich damit, genau das selbst zu tun. „Was ist, wenn…?“, unkt das Overthinking. „Hast du auch genug Aufträge, um schon die nächste Reise zu bezahlen?“, fragt der innere Finanzminister. „Wenn du jetzt krank wirst!“, ruft der Körper. Es klingelt an der Tür. „Hier ist die riesige Portion Scheiße, die Sie nicht bestellt haben“, sagt das Schicksal. „Heul doch.“

Mach ich dann auch.

 

Nur weil man gerade am weißen Sandstrand ist, von unterwegs arbeiten kann oder das perfekte Foto mit seinem Kind, seinem Haus, seinem Van oder ’nem mörderischen Sonnenuntergang auf Social Media teilt, heißt das nicht, dass das die ganze Wahrheit ist. Jeder noch so erfolgreich scheinende Coach oder Blogger, jeder Super-Papa und jede Super-Mama, jeder Business-Ambassador oder Star hat Ängste, Zusammenbrüche, Sorgen, Trauer, Muffensausen und grandioses Scheitern. Wie viele berühmte Menschen haben vor ihrer Berühmtheit von Straßenmusik und Sozialhilfe gelebt? Wie viele berühmte Menschen sind in Wahrheit total unglücklich, depressiv oder nehmen Drogen? Wie viele Menschen werden nie berühmt genug werden, dass wir ihre Geschichten von Angst, Unglück und Scheitern je hören?

Mal ehrlich: Wie ist es, selbstständig und mobil zu arbeiten?

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Von unterwegs arbeiten - paradiesisch, oder?

Ja, es ist toll, selbstständig und digitaler Nomade zu sein, von unterwegs auf Reisen Geld verdienen zu können, zu keiner bestimmten Uhrzeit in einem Büro sein zu müssen und keinen Chef zu haben.

 

Aber wie oft habe ich auf einen Auftrag (Geld) gehofft, der dann doch nicht zustande gekommen ist. Wie plötzlich ist manchmal eine langjährige Zusammenarbeit mit einem Kunden vorbei, weil das Personal gewechselt hat, der Auftrag aus Kostengründen jetzt in-house gemacht wird oder sich das Unternehmen thematisch anders ausrichtet – und auf einmal fehlen 500 oder 1000 Euro pro Monat.

 

Wie viel Zeit investiere ich auch nach Jahren in langwierige (Neu)kundenakquise, während sich andere Selbstständige scheinbar spielerisch ein Netzwerk und Kontakte aufbauen.

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Kein W-LAN in der Hütte

Vielleicht bin ich einfach eine planlose Ente? Selbstzweifel here we go.

 

Wie oft muss man dringend einen Auftrag fertigmachen, aber das WLAN im Airbnb ist scheiße. Wie oft bin ich um 2 Uhr nachts aufgestanden, um wegen Zeitverschiebungen an einer Zoom-Konferenz in Deutschland teilzunehmen. Wie oft nervt das Finanzamt mit Nachforderungen, wie krass hoch sind die Versicherungsbeiträge für Selbstständige und wieso ist ausgerechnet jetzt auch noch die teure Kamera kaputtgegangen?

 

Ich würde das alles aktuell nicht wieder gegen einen Angestellten-Job im Büro eintauschen, aber flimmernde Polarlichter über der offenen Heckklappe eines Vans mit Hashtag #digitalnomad sind echt weniger als die halbe Wahrheit.

Mal ehrlich: Wie ist so eine romantische Fernbeziehung?

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Mal wieder Vollkrise am Flughafen vor der Einreise

Dann ist da noch diese Fernbeziehung. Romantisch! Oh mein Gott, du bist mehrere Monate in den USA. Aufregend! Stimmt. Beides.

 

Aber wer aus irgendwelchen Gründen schon mal öfter in die USA einreisen musste und in einem dieser DDR-Verhöre an der Grenze war, weiß, dass das Land der unbegrenzten Freiheit, Melting Pots und Tellerwäscher-Tales auch ganz anders kann. Wusstet ihr, dass die Beamten vor Ort das Recht haben, dir dein Handy abzunehmen und sämtliche privaten Nachrichten auf WhatsApp, Social Media oder E-Mails durchzulesen? Wusstet ihr, dass du stundenlang in fensterlosen Verhörzimmer festgehalten werden kannst, ohne dass du jemanden kontaktieren darfst? Wusstet ihr, dass dein komplettes Gepäck durchwühlt werden kann und dass die Beamten dein Visum einfach als nichtig erklären und dir eine zehnjährige Einreisesperre aufdrücken können, ohne das alles überhaupt begründen zu müssen?

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Internationale Fernbeziehung - richtig schön, aber manchmal auch richtig stressig

Ich war schon drei Mal in so einer Situation (ohne Handy-Durchsuchung), habe nie was zu verbergen, nie etwas falsch gemacht und trotzdem jedes Mal vor der Einreise einen Stein im Magen, eine Panikattacke und overthinking oberdeluxe, nur weil ich meinen Freund sehen möchte.

 

Daneben fordert eine Fernbeziehung natürlich auch jede Menge Organisation, besonders jetzt, wo mein Freund erkrankt ist und regelmäßig Behandlungen in den USA braucht. Wer ist wann wo, hat noch wie viele Visumstage übrig, kann wann auf welchem Geburtstag dabei sein, verpasst irgendwo Weihnachten oder eine Hochzeit, schiebt noch schnell einen Job vor Ort in Deutschland ein, muss noch eben zum Arzt, den Balkon reparieren oder irgendeine Steuerjahresbescheinigung auf Papier fertigmachen und ausdrucken.

 

Hier kann ich sogar noch deutlicher als beim Job sagen: Ich würde meine Liebe mit nichts in der Welt tauschen wollen – aber auch hier ist ein idyllisches Pärchenfoto vor einem verschneiten Berg in Yellowstone weniger als die halbe Wahrheit.

Das Leben der anderen – nicht immer grüner

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Auf der anderen Seite sieht das Gras oft genauso aus

Das waren nur zwei Beispiele aus meinem ganz normalen Alltagswahnsinn. You can do it, live your best life, yolo? Ganz bestimmt nicht immer – und das ist auch okay.

 

Oft erscheint einem das Leben der anderen, als wäre es besser, einfacher, abenteuerlicher, sicherer oder erfüllter, als das eigene Leben. Das ist wie mit dem Gras auf der anderen Seite. Dabei ist es meist nicht grüner, sondern nur anders. Anders bekloppt, anders dramatisch, anders nervenaufreibend – und klar, auch anders schön. Mit Facetten, die man vielleicht noch nicht kannte, mit Ideen, die man selbst gern ausprobieren würde.

 

Am Ende sind wir alle nur Menschen, die versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Manchmal gelingt es, manchmal ist es zappenduster. Aber es ist niemals nur eins von beidem – egal wie es nach außen hin scheint.

Kommentare: 4
  • #4

    SquirrelSarah (Montag, 06 November 2023)

    Liebe Mad,
    vielen Dank für deinen lieben Kommentar! :) Freut mich sehr, deine Gedanken dazu zu hören. Ja, es ist tatsächlich auch öfter mal stressig und auch ich muss manchmal auf Reisen "Stopp!" sagen. Ich finde, jeder sollte generell in seinem eigenen Tempo gehen. Meist sagen einem Körper und Seele auch schon, ob es genug ist. Wenn man sich nur noch gestresst oder unwohl fühlt, sollte man überlegen, runterzufahren oder etwas anderes zu ändern. Außerdem verändert man sich ja auch selbst im Leben. Was einem vor 10 oder 5 Jahren noch Spaß gemacht hat, kann heute zu viel sein. Mir haben vor 10 Jahren noch große Rockkonzerte Spaß gemacht - heute ist mir das zu viel mit den ganzen Menschen und ich hab irgendwie auch das Gefühl, dass ich "genug" davon hatte in meinem Leben und es mich genug erfüllt hat. Andererseits habe ich vor 10 Jahren zelten gehasst und nun gehe ich unglaublich gern in der Natur campen. Am Ende ist immer alles im Fluss, ganz ohne Stress geht es wahrscheinlich nie - und es ist total okay, auch mal zu sagen "Ich kriege es einfach im Moment nicht hin."
    Liebe Grüße
    Sarah

  • #3

    SquirrelSarah (Montag, 06 November 2023 20:17)

    Hey Don Peter,
    das musste einfach mal sein. Ist manchmal eine echte Gratwanderung, Menschen gleichzeitig beispielhaft zu ermutigen, sich was zu trauen, und zugleich nicht als der Super-Guru zu erscheinen, bei dem immer alles tip-top ist. Mir gehen diese ganzen selbsternannten "Coaches" zunehmend auf den Sender, die angeblich immer alles übers Leben wissen und einen mit Tipps belabern (die man dann natürlich kaufen soll) und am Ende einfach so unerreichbar perfekt erscheinen, dass man schon keine Lust mehr hat, überhaupt hinzuschauen, was sie sagen, weil man sich eh zu klein fühlt. So will ich nicht sein.
    Und ja, ich glaube, jeder fällt immer mal wieder auf solche Sachen rein. Wir sind halt alle nur Menschen mit Emotionen und können eben nicht immer perfekt vernünftig handeln. :)
    Ganz liebe Grüße aus den USA von uns beiden!
    Sarah

  • #2

    Mad (Sonntag, 05 November 2023 18:41)

    Sarah, ich danke dir für deine Ehrlichkeit. Es ist gut wenn man mal hört, dass jeder Lebensentwurf seine ganz eigenen Sonnen und Schattenseiten hat.
    Immer wenn ich deine Bilder sehe denke ich mir, dass ich diese Stressbelastung so viel unterwegs zu sein einfach nicht hätte. Ich freue mich dass du so sein kannst und dieses Leben so führen kannst. Und ich wünsche dir die besten Nerven und besten Lösungen für die Kehrseiten.

  • #1

    Don (Sonntag, 05 November 2023 07:57)

    Hey Sarah,
    danke für Deine ehrlichen, aufklärenden und augenöffnenden Worte.�
    Diese fucking Illusion, die in SozMed ständig vermittelt wird, ist der verlogene Teil der Matrix (Werbung für Livestyle, Must have, Konsum generell, etc.).�
    Leider falle ich auch immer mal wieder darauf herein.�
    Wünsche Dir und Rand noch eine glückliche Zeit.��

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