Der Wecker klingelt. Ich beschließe, noch mal kurz die Augen zuzumachen. Gaaanz kurz. Dann ist es auf einmal zehn vor „Scheiße, ich sollte schon längst unterwegs sein“. Muss ein Fehler im Raum-Zeit-Kontinuum sein. Ich stürze ins Bad. Kopf nach unten, Kopf nach oben. Die Frise sitzt – yeah!
Ich liebe meine Dreadlocks. Nicht nur, wenn ich gerade ein Zeitproblem habe, sondern einfach immer. Dabei gibt es so viele Gerüchte um diese Art von Haaren. Stinken die nicht mit der Zeit? Gibt es keine Probleme beim Waschen? Und schimmeln die danach nicht?
Die Antwort auf diese Fragen ist sehr komplex und lässt sich nicht mal eben so abhandeln: Nö.
In diesem Bericht erzähle ich euch kurz und ehrlich von meinem ersten Jahr mit Dreadlocks, räume mit Mythen und seltsamen Youtube-Videos auf und schreibe über praktisch erprobte und selbst erlebte Pros und Cons.
Meine Dreads habe ich mir übrigens zum 30. Geburtstag machen lassen. Weil ich absolut überzeugt bin, dass es für nichts im Leben zu spät ist und dass man nur alt wird, wenn man sich selbst dauernd sagt, man sei „zu alt dafür“.
Ich hatte schon fast alles. Irokese, Undercut, rot, blond, schwarz, dunkelblau. Mit 16. Das hat meine Eltern mindestens so erfreut, wie sich meine Großeltern an den langen Haaren meines Papas in den 70ern erfreut haben. Ach, Haare.
Nur Dreadlocks habe ich mich nie getraut. Das war einfach so fucking endgültig. Viel mehr als Färben – das wäscht sich raus. Oder Abschneiden – das wächst nach. Wer Dreads wieder aufdröseln will, muss entweder sehr lange kämmen und beten, oder zum Rasierer greifen. Aber manchmal tut eine endgültige Entscheidung in einer Welt der tausend Möglichkeiten und Zweifel gut.
So bin ich vor einem Jahr zu einer Dread-Stylistin gegangen, die ich über die DreadFactory gefunden habe. Weil: Selbermachen ist fast unmöglich, wenn man keine Vorkenntnisse und Oktopus-Arme für den Hinterkopf hat, und der Afro-Shop an der Ecke arbeitet eher mit afrikanischem Haar (Überraschung, ne?), als mit europäischem. Weil die Struktur der beiden Haartypen sehr unterschiedlich ist, brauchen sie auch eine unterschiedliche Herangehensweise beim Dreaden.
Da Dreadlocks so ein großes und recht endgültiges Ding sind, wollte ich es vernünftig machen lassen und nicht billig mit halbem Arsch. Die Mädels und Jungs, die auf der Plattform DreadFactory aufgeführt sind, arbeiten in der Regel freiberuflich und man kann gleich ihre Standorte, Erfahrungen und Reviews einsehen. Sehr transparent und easy.
Wenn man Haare verdreaded, werden sie etwa um die Hälfte kürzer. Ja, scheiße. Aber keine Panik – meine Haare waren kaum schulterlang und dazu sehr dünn, sind dauernd abgebrochen und waren wenig. Also die absolut schlechteste Grundlage für Dreads. Aber zum Glück gibt’s Extensions. Billige aus Plastik und teure aus Echthaar (unter anderem auch bei der DreadFactory – dort habe ich meine Echthaar-Extensions her).
Meine Stylistin Anne war sehr ehrlich zu mir und sagte mir, dass es möglich sei, dass die Extensions rausfallen bei der fisseligen Katastrophe auf meinem Kopf. Also hat sie mir erst einmal für einige Monate einen einzigen Test-Dread eingeflochten. Als der gehalten hat, kam der Rest. Der inzwischen auch schon seit einem Jahr tadellos hält. Lass dich nicht entmutigen, wenn du kurze, dünne oder sehr wenige Haare hast! Die Mindestlänge, damit Extensions gebastelt werden können, sind allerdings etwa sieben Zentimeter.
Gute Dreadlocks sind teuer. Ich habe 35 Dreads auf meiner Rübe. Die zu erstellen, hat acht Stunden gedauert. Ja, so lang. Das bedeutet dann auch einen entsprechenden Stundenlohn für die echt hart arbeitenden Stylisten. Gute Echthaar-Extensions kosten on top – sind aber jeden Euro wert. Am Ende kann ein fertiger Dreadhead irgendwas zwischen 400 und 800 Euro kosten. Auch wenn ihr jetzt guckt, als wäre euch das Eis in den Dreck gefallen: Spart nicht an der falschen Stelle bei dubiosen Frisören oder seltsamen Plastik-Extensions. Spart lieber – und macht es richtig.
Dreadlock-Erstellung tut weh. Und zwar in einer Liga mit Tattoos und Piercings. Für das Dreaden werden die normalen Haare nämlich toupiert. Das reißt an der Kopfhaut. Jede einzelne Sekunde. Die ersten zwei bis drei Nächte danach sind kein Ponyhof und am ersten Abend habe ich mir eine Ibu reingepfiffen. Danach sind die Dreads einige Monate kratzig, denn das richtige „Filzen“ tritt erst automatisch nach einem halben Jahr ein. Meine Dreads verändern sich noch heute immer wieder.
Dreads sind nichts für Korinthenkacker. Es steht immer mal ein Fusselhaar raus. Oder hundert. Die kann man mit einer Häkelnadel einhäkeln, aber manchmal muss man es auch einfach mal aushalten, sonst häkelt man non-stop. Dreads haben einfach ein Eigenleben und regulieren vieles selbst.
Gut zu wissen: Da eure Haare verdreaded sind, können alte Haare nicht mehr gut ausfallen, weshalb sie oft feststecken und man weiße Stippen sieht. Das sind dann keine Schuppen, sondern einfach die Haarwurzeln der Haare, die nicht ausfallen können.
Das Waschen ist easy: Man wäscht sie wie normale Haare. Nass machen, Shampoo rein (Tipps für spezielle Shampoos gibt es massenweise im Internet, ich benutze den Duschbrocken), ordentlich ausspülen, auswringen und ordentlich trocknen lassen.
Das Zauberwort ist „ordentlich“. Denn die Geschichten über muffigen Geruch oder Schimmel stammen von nicht gut rausgewaschener Seife und von Dreads, die nach dem Waschen ewig feucht bleiben.
Was ich mache? Ich wasche meine Dreads an einem Morgen. Dann lasse ich sie den ganzen Tag an der Luft trocknen. Am besten macht man das, wenn man den Tag über in einem warmen Raum sitzt oder die Sonne scheint, oder man weiß, dass man vielleicht noch spazieren geht. Ich habe sehr dünne Dreads, – 5 bis 7 Millimeter – bei denen es nicht so lange dauert, bis sie trocken sind.
Wichtig: Setzt an dem Tag keine Mütze auf, verdammt. Und legt euch nicht abends mit nassen
Dreads ins Bett. Dann gammelt auch nix. So einfach ist das.
Am Anfang habe ich meine Dreads alle zwei Wochen gewaschen und mache das zwischen nur
noch alle vier Wochen. Durch weniger Waschen produziert die Kopfhaut weniger Fett, also gibt’s weniger zu waschen. Praktisch. Auch nach vier Wochen riechen die Dreads nach nix.
Nach einem Jahr Dreads kann ich euch sagen: Lasst euch nicht von seltsamen Berichten und Videos
ins Bockshorn jagen, aber seid euch bewusst, dass Dreadlocks mehr sind als ein spontaner Party-Gag. Ich habe meine Entscheidung an keinem Tag bereut.
Wenn ihr noch Fragen zu Dreadlocks habt oder eure eigenen Erfahrungen teilen möchtet, schreibt mir gern einen Kommentar oder eine Nachricht über Facebook, Instagram oder per Mail.
Lonelyroadlover (Dienstag, 12 April 2022 22:24)
Hihi, danke euch! :) Schön, dass es dir auch so ging/geht mit deinen Dreads. Ich erinnere mich noch, wie ich damals bei euch war und mir von dir ein bisschen Rat geholt habe.
Liebe Grüße
Sarah
Tuckerbus (Dienstag, 12 April 2022 21:30)
Perfekt zusammen gefasst! ♥️