Dreadlocks statt Doppelhaus – was wirklich zählt, wenn du 30 wirst.

6. Februar 2021

Dreißigster Geburtstag, Lebensentwurf, Träume
Dreißigster Geburtstag - und jetzt?

Mit dreißig bekommt man graue Haare. Bestimmt. Dachte mein fünfzehnjähriges Ich. Da muss man Karriere gemacht haben, kauft sich ein Eigenheim, ist spießig und quasi tot.

In Wirklichkeit habe ich mit 28 das erste, weiße (!) Haar entdeckt, die steile Karriere gegen rasende Reiselust eingetauscht, flitze in einer wahnsinnig schönen Fernbeziehung rund um den Globus und irgendwo dazwischen gab es mal ein Tiny House.

 

Genau das wollte ich jetzt eigentlich so richtig saumäßig feiern. Gartenparty mit 150 Mann! Ach so, nee, ist ja Februar. Und Endzeit. Andere haben ’ne Midlife Crisis, ich hab Corona Crisis. Dreißigster Geburtstag im Lockdown. Vielleicht spiele ich „Dinner for One“ nach und poste das Video abends mit 700 Filtern und südkoreanischem Rap auf TikTok.

 

Dreißig ist eine große Zahl und viele machen ein großes Gescheiße darum. Es ist wie eine Messlatte: Habe ich das hinbekommen mit dem Erwachsenwerden? Habe ich die Erwartungen erfüllt? Ich sage: who cares! Das einzige, was erfüllt sein sollte, bist du. Von Lebensfreude, tollen Erinnerungen und Mut. Hier kommt, was wirklich zählt, wenn du dreißig wirst.

Was machen mit der Lebenszeit?

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Noch nie so ganz normal - Blödsinn mit meinem besten Freund

Als ich fünfzehn war und mir vorstellte, dass ich mit dreißig aussehen würde wie mit sechzig, hatte ich einen Wunsch. Bitte lass mich bloß nie langweilig werden. Wirklich ins Detail ging dieser Wunsch dann aber nicht. Was ich damals wohl meinte, war die Sorge, dass ich mit dreißig unglücklich sein würde. Man hörte das oft. Voll der stressige Job, den falschen Partner geheiratet, noch niemals in New York gewesen und so.

Ich hatte schon früh eine genaue Vorstellung von der Menge meiner restlichen Lebenszeit. Meine Familie tendiert dazu, mindestens achtzig Jahre alt zu werden. Das ist viel, aber trotzdem bin ich kein Tiefseeschwamm (die Viecher werden bis zu 11.000 Jahre alt!). Da kann man übern Daumen rückwärts rechnen, was noch geht, selbst wenn man in Mathe regelmäßig fünf stand. Hust.

 

Eine ganze Weile habe ich relatives Standardzeug gemacht: Schule, Uni, Vollzeitjob, ab und zu mal zehn Tage Urlaub, langjährige Beziehung mit Jugendfreund, Stadtwohnung.

Dummerweise hat mir ständig so eine kleine Stimme zugeflüstert, dass das zwar alles ganz nett ist, aber doch nicht wirklich das, was ich eigentlich mal machen wollte. Dass ich nicht wirklich die Person war, die ich sein wollte und sein konnte.

Denn eigentlich war ich immer ein bisschen Pippi Langstrumpf gewesen und hatte den Plan, irgendwann alles hinzuwerfen und mehrere Monate durch die USA bimseln. Canyons, Route 66, Golden Gate Bridge. Ein Kindheitstraum.

12.000 Kilometer durch die USA und der Anfang vom Anfang

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Die große Freiheit in den USA - Solotrip durchs ganze Land

2017 hatte ich die Schnauze und das Konto voll. Ich erklärte meiner Chefin, dass zwar vermutlich viele beim Angebot einer unbefristeten Stelle im öffentlichen Dienst vor Freude vom Hocker gefallen wären, aber ich lieber aus dem Fenster springen würde. Ich packte meinen Kram, meine ganzen, kleinen Mut und stieg ins Flugzeug. Nach New York. Alleine. Für vier Monate. Daraus wurden 12.000 Kilometer durch die USA. Von der Ostküste über die Route 66 zur Westküste und durch die Rocky Mountains im Norden zurück nach Chicago.

 

Es war der Kippschalter. Der Moment, indem ich die größten Krisen meines Lebens, aber auch die verrücktesten Erkenntnisse hatte. Allen voran: ich lebe! Ich heulte und lachte und tanzte im Regen. Als ich zurückkam, versuchte ich noch einmal mit Anlauf in einen neuen Vollzeitjob zu springen. Mit blutender Nase kündigte ich nach einer Woche wieder. Es war vorbei. Die Stimme, die ich immer flüsternd gehört hatte, schrie jetzt laut. Und sie kam mitten aus meinem Herzen.

Ich machte mich selbstständig mit der Medienagentur frei getextet. Ich wurde digitale Nomadin und konnte plötzlich von überall her arbeiten. Meine langjährige Beziehung zerbrach. Ich zog aus der Stadtwohnung erst in eine WG und kaufte mir dann ein Tiny House auf dem Land. Zeitgleich verliebte ich mich in meinen besten Freund aus den USA, den ich 2017 auf meinem langen Trip kennengelernt hatte.

Sämtliche Säulen meines bisherigen Lebens brachen innerhalb weniger Monate ein. Das war’s dann mit langweilig. Jetzt kam Pippi Langstrumpf!

Das, was zählt: Liebe dein Leben

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Liebe dein Leben: Sei glücklich und feiere es

Heute bin ich immer noch mit meinem Unternehmen unterwegs, reise jedes Jahr ungefähr sechs Monate, lebe auf zwei Kontinenten (Deutschland/USA), bin mit einem Amerikaner verlobt und wohne mit meinem 97-jährigen Opa in einem Generationenhaus. Ich arbeite nur so viel, wie ich muss und Karriere ist mir scheißegal. Weil ich nicht mehr lebe, um zu arbeiten, sondern arbeite, um zu leben. Ich habe meinen Besitz um die Hälfte reduziert, denn Konsum und Gegenstände bedeuten mir nicht mehr viel. Im Herbst 2021 wird ein weiterer großer Traum wahr, denn ich werde ein Buch über meinen lebensverändernden Trip in 2017 bei einem großen Verlag veröffentlichen.

 

Wo ich jetzt stehe, ist nicht da, wo einen die Gesellschaft mit dreißig sieht. Oder wo man selbst denkt, dass man mit dreißig stehen sollte. Woran man sich misst. Aber ich messe mich nicht mehr an dem, was andere sagen und denken oder an dem, was mir beigebracht wurde, zu denken.

Das einzig Wichtige im Leben ist, dass man glücklich ist. Mit dem, was man hat und ist. Egal, ob man dreißig, fünfzig oder hundert ist. Egal, ob es irgendwelchen Konventionen entspricht. Liebe dein Leben.

Es spielt keine Rolle, mit welchem Lebensmodell. Das Vanlife im Wald, die Familie mit fünf Kindern, das Eigenheim, die Karriere, der Porsche, der Minimalismus. Es gibt kein falsch oder richtig, solange du glücklich bist. Punkt. Wer dir was anderes sagt, hat einen an der Semmel und kann nach Hause fahren.

Keine Kompromisse – und mein Wunsch für euch

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Mut zum Haar - jetzt mit Dreadlocks

So, jetzt bin ich dreißig. Und als Erstes habe ich mal den Bausparvertrag gekündigt und mir Dreadlocks in die Haare geklöppelt. Etwas, das ich schon seit zehn Jahren machen will, aber mich nie getraut habe. Erschien mir immer so endgültig. Aber das Leben ist endgültig. Wenn nicht jetzt, wann denn verdammt noch mal. Keine faulen Kompromisse mehr. Leben, leben lassen und nicht bereuen.

Das mit dem Bausparvertrag war natürlich nur ein Witz. Sowas hab ich gar nicht.

 

Der schönste Nebeneffekt an einem erfüllten Leben ist übrigens, dass ich mich überhaupt nicht wie dreißig fühle. An manchen Tagen fühle ich mich wie siebzig, weil ich schon so viel erlebt habe (und meine Kniescheibe knackt, weil ich mal wieder vor einen Schrank gerannt bin), an manchen Tagen fühle ich mich wie fünfzehn, weil ich immer noch so vieles nicht weiß und so neugierig bin.

In manchen Bewerbungsgesprächen wird man gefragt: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“

Ganz ehrlich, ist mir scheißegal. Hauptsache glücklich. Und das wünsche ich mir dieses Jahr für jeden von euch.

Kommentare: 4
  • #4

    Lonelyroadlover (Montag, 08 Februar 2021 16:23)

    Hey Peter,
    nun, immerhin hast du so einiges gesehen. Andere waren mit 60 noch nirgendwo. Ich kenne das mit dem gehetzten Reisen von früher. Da habe ich auch oft nur Sehenswürdigkeiten abgekaspert in meinen 3 Urlaubstagen. Mann bin ich froh, dass ich aus dem Hamsterrad raus bin.
    Und meistens hat alles einen Sinn. Wer weiß, was uns so ein Scheiß wie Corona oder die Fußverletzung sagen will... Ich bemerke rückblickend, was für positive Auswirkungen der ganze Coronaterror auf meine Beziehung hatte. Hätte zerbrechen können, ist aber nur intensiver geworden. Manchmal versteht man sowas aber im direkten Moment nicht. Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass es dir bald besser geht und du abstarten kannst, wenn dieser Mist vorbei ist. Ich glaube, bei dir wird noch Großes passieren. Manchmal will einen das Universum nur testen, ob man es auch wirklich genug will und stellt einen auf die Probe. ;)
    Liebe Grüße
    Sarah

  • #3

    Lonelyroadlover (Montag, 08 Februar 2021 16:18)

    Hey Carina,
    lieben Dank. Haha, das ist gut. :D Ich finde es schön, dass jeder Mensch unterschiedlich ist. Wäre ja auch lame, wenn jeder gleich wäre. Wie ich sagte, es ist das Wichtigste, dass man glücklich ist - und zwar egal wie. :)
    Liebe Grüße
    Sarah

  • #2

    Don Pedro (Sonntag, 07 Februar 2021 14:23)

    "Hai" Sarah,
    sonnige Geburtstagsgrüße (nachträglich) und eine glückliche Zeit.

    Du sprichst mir wieder einmal voll aus dem Herzen.
    Wenn ich mit meinen 60 Jahren zurückdenke, wird mir ganz elend. Ich habe viele europäische Länder, incl. Inseln und Marokko mit Auto, Motorrad und Bus bereist und dennoch quält mich ein ständiges Fernweh.
    Leute und Land habe ich dagegen nicht wirklich kennengelernt, da ich immer zu schnell unterwegs war und nicht langsam reiste (ich hatte nur die Urlaubszeiten).
    Lange Jahre habe ich dann mit Depressionen gekämpft, weil ich nicht das Leben lebe, das ich mir wünsche ... Frei und autark unterwegs sein.

    Jetzt, da es mir in der Rente möglich wäre, hindern mich die Folgen einer alten Fußverletzung und der Plandemie-Scheißendreck. Seit Jahren habe ich (von einem inneren Gefühl getrieben) immer wieder geäußert, dass mir die Zeit davonrennt - jetzt scheint es tatsächlich so zu sein.

    Da kann ich jetzt Geduld und Demut lernen und die Lage abwarten. Es wird auch wieder anders.

  • #1

    Carina (Sonntag, 07 Februar 2021 09:57)

    Schöner Text :) Ich finde es super faszinierend und gut, wie unterschiedlich Leben sein können. Ich bin mit all dem glücklich, was dich unglücklich machen würde und umgekehrt. Ich liebe es ein Spießer zu sein, sag ich immer � Alles Gute zum Geburtstag nachträglich �
    Carina

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