September 2017. Stumm tanzt die Kerzenflamme im bunten Glas auf dem Holztisch. Ich blicke aus dem Fenster meines Lieblingscafés mit einem Himbeer-Minze-Eis vor mir. Zwei Monate bin ich nun wieder zu Hause. Zurück von meiner viermonatigen USA-Soloreise. Meinem Kindheits- und Lebenstraum. Und weil ich gelernte Journalistin bin, denke ich manchmal gern in Schlagzeilen und theatralischen Zitaten. Ich bin 26 Jahre alt und habe meinen Traum gelebt – alles andere ist jetzt Zugabe. Es hört sich unheimlich gut an. Ich habe es gemacht. Ich habe es nicht aufgeschoben bis ich alt und krank sein würde. Großartig!
Bis mir einfällt, dass ich in den kommenden Jahrzehnten ja trotzdem irgendwas tun muss. Am liebsten würde ich in diesem Moment sofort wieder meine Koffer packen und mich in ein Flugzeug knallen. Oder zu Hause total zurückgezogen ein Buch über mein Abenteuer schreiben. Aber das funktioniert nur im Film. In der Realität bin ich umzingelt von Krankenkassenbeiträgen, Mietkosten und Lebenslauflücken. Kaum einer fragt noch „Wie war denn dein Trip?“ – aber alle wollen wissen: „Und was machst du eigentlich jetzt?“
Ich bin ein Glückspilz. Schon eine meiner ersten Bewerbungen klappt und ich fange in Kürze meinen neuen Vollzeitjob an. Wenn ich danach gefragt werde, sage ich schnell, dass ich mich total freue. Im Grunde bin ich einfach nur aufgeregt. Das wird schon! Ich würde neues Reiseguthaben ansparen können und es war ohnehin klar, dass nach dem Trip der Alltag zurückkommt.
An meinem ersten Tag sind die Kollegen gleich sehr nett. Nur in Bezug auf die Aufgaben hatte ich wohl andere Vorstellungen gehabt. Naja,
ich muss halt erst einmal wieder reinfinden. Als ich abends über eine Stunde im Stau stehe, sehe ich mein Gesicht im Rückspiegel meines Autos und dunkle Schatten unter meinen Augen.
Am zweiten Tag stehe ich schon auf dem Hinweg eine Stunde im Stau. Dann sitze ich neun Stunden im Büro und friere so sehr, dass ich schon wieder schwitze. Ich blicke aus dem Fenster, sehe dünne Federwolken über der Stadt und mein Magen zieht sich zusammen. Als ich im Dunkeln nach Hause komme, glühen meine Wangen. Zugleich fühle ich mich so eiskalt und leblos wie eine Puppe. Fest blicke ich in den Badezimmerspiegel. „Das wird schon! Du wirst dich daran gewöhnen“, sage ich. Dann muss ich mich abwenden, weil ich weiß, dass ich lüge.
Am dritten Tag knalle ich nach Feierabend die Autotür zu, drücke die Innenverriegelung rein und heule eine Viertelstunde lang in der untersten Etage des Parkhauses.
Während ich vier Monate lang allein unterwegs gewesen bin, wunderschöne Landschaften gesehen und verrückte Menschen getroffen habe, Panikattacken und Lachanfälle hatte, habe ich in meinem tiefsten Herzen gespürt, was es bedeutet, zu leben. Nicht nur zu existieren. All die schlauen Zitate über sinnvolles Leben haben sich in etwas Greifbares – in eine unglaubliche Erfahrung und Wahrheit – verwandelt. Auf einmal weiß ich mit Bestimmtheit etwas, was ich schon immer latent gespürte habe. Ich weiß, was mir im Leben wirklich etwas bedeutet: Zeit. Zeit in fremden Ländern. Zeit mit lieben Menschen. Zeit für meine Hobbys und Leidenschaften. In diesem Moment will ich dieses Wissen nur noch aus meinem Schädel schlagen, aus meinem Herzen reißen. Denn es scheint völlig unvereinbar mit allem, was jetzt offenbar für viele Monate und vielleicht sogar Jahre vor mir liegt. Ich bin zurück in einer Existenz, die sich fünf Tage lang auf ein Wochenende freut, das dann viel zu schnell vorbeifliegt. Weil man es nicht schafft, in zwei freie Tage alles zu stopfen, was unter der Woche zwischen Monitoren, Telefonen und Berufsverkehr langsam erstickt. Mir ist bewusst, dass dies das falscheste Leben ist, das ich führen kann. Ich handele gegen meine innersten Überzeugungen.
Am Wochenende halte ich es schließlich nicht mehr aus. „Ich muss kündigen“, sage ich laut und es fällt eine Tonne Asbest von mir ab. Am selben Abend schreibe ich die Kündigung und stehle mich am Montag - eine Woche nach meiner Einstellung - in das Büro meiner sehr verständnisvollen Vorgesetzten. Ich fühle mich furchtbar und sie versucht sogar noch, mich in einer etwas interessanteren Abteilung unterzubekommen. Es geht nicht. Nachdem vermutlich die Hälfte meiner Kollegen an meinem Geisteszustand zweifelt, beschließe ich, noch so lange zu bleiben, bis eine Nachfolgerin für mich klar ist. Am Ende bin ich fast noch drei Monate dort und verlasse die Firma zwei Tage vor Weihnachten endgültig.
Januar 2018. Zwischen der Kündigung und dem letzten Arbeitstag ist allerdings eine Menge passiert. Ich habe geweint, getobt, geplant, an Selbstständigkeit und digitales Nomadentum gedacht – und alles wieder eingestampft. Zu hohe Kosten, zu hohe Risiken, Wahn. Anfang Januar schreibe ich neue Bewerbungen – überwiegend auf Halbtagsjobs. Wie ein Fisch in einem Glas schwimme ich immer wieder dieselben Gedanken ab, stoße mit dem Kopf an, komme nicht weiter. Es gibt Tage, an denen regnet es durch und ich wünsche mir, dumm und einfältig geboren worden zu sein. Einfach nie gemerkt zu haben, dass ich mir ein Leben abseits vom Hamsterrad wünsche. Nicht anders zu sein. Mich über sechs Wochen Jahresurlaub und betriebliche Altersvorsorge zu freuen. Ich kann nicht. Ich laufe innerlich beinahe Amok.
Und dann plötzlich: Ein freier Auftrag tut sich auf. Über fünfzig Ecken. Auf einmal klingelt das Telefon. Der Auftrag ist so groß, dass er mir die gröbsten Kosten – die bei einer Selbstständigkeit wie Felsbrocken auf einen stürzen – erst einmal mehrere Monate vom Hals halten würde. Ich renne kurz kopflos rum. Dann sammele ich meine sieben Sinne ein und tu es. Ich sage zu. Ich springe kopfüber ins eisige Wasser. Behördengänge, Papierkrieg. Aber ich lebe wieder. Ich habe Bauchweh. Aber endlich nicht mehr vor Zweifeln und Perspektivlosigkeit, sondern vor Aufregung.
März 2018. Meine kleine Firma gibt es jetzt seit zwei Monaten. Zeilenaufbruch. Texte und Fotografie für Tourismus und Kultur. Die ersten Schwimmzüge sind getan. Das Wasser ist manchmal dünn wie Eis, aber es trägt.
Vielleicht mag es für einige problemlos sein, nach einer langen Reise mit vielen Eindrücken einfach so zurück ins Leben zu finden. Ich musste feststellen, dass es für mich unmöglich war, einfach so wieder nach Hause zu kommen. Was jetzt kommt? Zugabe!
Wie ging es euch nach einer langen (Solo)Reise? Wie seid ihr mit dem Alltag umgegangen und wo steht ihr heute? Wenn ihr Lust habt, mir eure Geschichte zu erzählen, dann meldet euch gern über sarah@lonelyroadlover.com oder Facebook.
Lonelyroadlover (Freitag, 26 August 2022 13:26)
Hi Knut,
das war sicher ein spannender Lebensabschnitt. Und ich finde es klasse, dass du einfach erzählst, wie es wirklich war und nicht nur schilderst, wie romantisch und toll alles war. Es hilft anderen viel mehr, wenn man von den echten Hürden beim Reisen und Auswandern berichtet. Ich hoffe, dass dich die Zeit in Bulgarien weitergebracht hat und du auch back in Germany weiter an deinen Träumen bastelst.
In Bulgarien war ich noch nicht, aber es klingt sehr spannend. Im September geht's für mich erstmal nach Albanien.
Liebe Grüße,
Sarah
Knut (Dienstag, 16 August 2022 11:56)
Hallo Sarah,
wir sind ausgewandert, auf den Balkan. Vorher in DE waren wir selbständig. Dort waren wir es auch und bauten unser Haus auf. Ich hatte die Idee, dass es das Fundament eines neuen Lebensabschnittes wird. Da hatte ich Haus / Hof völlig überschätzt und das soziale Umfeld unterschätzt.
Wir sind wieder in DE. Es ist schön hier :) Und 5 Jahre Bulgarien waren eine Erfahrung.
An deine Besucher: Wer einsame Straßen sucht, dem empfehle ich den Balkan im Frühjahr. 1. Bist du schnell dort, 2. gibt es dort mehr menschenleere Gegenden als man glaubt, und 3. ist es zum größeren Teil EU Gebiet. 4. bist du auch schnell wieder zurück, 2 Tage auf der Straße oder paar Stunden im Flugzeug.
lonelyroadlover (Sonntag, 29 Juli 2018 12:25)
Hey Magdalena!
Ich kann verstehen, dass dich der Artikel vielleicht etwas beunruhigt. Aber ich bin dafür, nicht das Instagram-Reiseblogger-Image zu verbreiten, sondern die Wahrheit. Und die ist manchmal ganz einfach auch schwer oder scheiße. ;) Du solltest wirklich nicht an das Ende denken, wenn sogar die Abreise erst in einem halben Jahr ist! Das habe ich vor und während meiner USA-Tour auch nicht gemacht. (Währenddessen ist man dann meist eh zu beschäftigt mit der Reise selbst. ;))
Vielleicht schadet es nicht, vorher schon einmal grob zu überlegen, was man danach eventuell machen möchte. Aber selbst das hätte mir persönlich nichts genutzt, weil ich noch während der Reise sicher war, dass ich danach halt wieder 40 Stunden arbeiten gehe, um neues Geld anzusparen. Du hast ja gelesen, wie "gut" das geklappt hat. ;)
Man kommt deutlich stärker verändert von so einer langen Tour zurück, als man es sich vorstellen kann. Du beginnst halt da draußen endlich richtig zu leben - und das können in der Regel die Wenigsten danach wieder vollkommen vergessen.
Es gibt immer einen Ausweg und der sieht für jeden anders aus. Eine Freundin von mir kam von ihrem Sabbatical zurück und hat ihren eigenen Reiseblog/Reisemagazin gegründet, von dem sie heute lebt. Das wäre allerdings vom Stresslevel her (24/7) nichts für mich, weswegen ich einen anderen Weg eingeschlagen habe. Wie lange der jetzt funktioniert, weiß ich nicht - aber ich bin auch gelassener geworden durch all das.
Ich danke dir auf jeden Fall für deine Worte und interessanten Gedanken und wünsche dir schon mal von Herzen alles Gute für deine große Reise!
Nur Mut!
Sarah
Magdalena (Samstag, 28 Juli 2018 08:20)
Hallo liebe Sarah!
Du machst mir Angst! :D Nein, Spaß beiseite. Meine große Tour steht erst noch bevor, ich starte im Februar für 12 Monate. Und auch wenn ich mich immer ermahne, nicht schon ans Ende und das Zurückkommen zu denken, schleichen sich diese Gedanken immer wieder ein. Und auch wenn mir dein Artikel meine Sorgen bestätigt, macht er doch auch Mut. Denn es gibt immer einen Ausweg, man muss den einen Schritt eben nur wagen.
Herzlichen Glückwunsch zu deinem Mut und deiner Selbstständigkeit. Ich glaube ganz fest daran, dass alles klappt, auch wenn - wie du selbst schreibst - das Eis manchmal dünn wird.
Liebe Grüße
Magdalena
lonelyroadlover (Montag, 09 April 2018 19:58)
Hey Reiseholz!
Schön, dass du deine eigenen Erfahrungen mit mir teilst. Nach 2 Wochen wieder zu starten, ist hart. Das war es für mich schon nach 2 Monaten. Ich denke auch, dass man einfach eine ganz andere Lebensart gewohnt ist und plötzlich realisiert, in welch engem Korsett man vorher gesteckt hat.
LG
Sarah
Reiseholz (Montag, 09 April 2018 18:53)
Zurückkommen war schrecklich. Nach 2 Wochen bin ich wieder gestartet. Ich glaube, beim Reisen ist man auf einem hohen Glückslevel und es braucht viel Zeit, um wieder runterzukommen. Ich habe dies auch bei anderen beobachtet, die ihr Leben verändert haben. Der berufliche Ehrgeiz ist nach dem Reisen minimal.