Harlem: Gefährlich und Begehrlich.

19. April 2017

Geführte Tour durch Harlem, New York mit einem Guide
Mein Guide auf der Walking Tour
Es gibt so Begriffe, die sind tief in dem Teil unseres Gehirns verankert, wo die Vorurteile wohnen. Wer vom New Yorker Stadtteil „Harlem“ hört, denkt oft an Gewalt, Gefahr, Drogen, Prostitution, Waffen. Stimmt auch – wenn man in die 70er bis 90er Jahre schaut. Doch wie ist das inzwischen? Gegenmeinungen gibt es da viele. Also dachte ich, ich geh mal hin und schau mir das an!
Da mein Wissen über Harlem nicht sehr groß und vor allem Klischee-belastet ist, habe ich mich noch einmal bei einer Walking Tour von freetoursbyfoot angemeldet. Tour-Guide Ryan trifft sich mit uns vorm Schomburg Center for Research in Black Culture. Die Sonne brennt, die vielen roten Häuser entlang der Straßen leuchten. Die Wolkenkratzer Manhattans sind hinter dem Horizont verschwunden. Harlem gilt als eines der Zentren für afroamerikanische Kultur in den USA. Das spiegelt sich auch gleich im Straßenbild an den Menschen wieder. Sie kaufen ein, trinken Kaffee und gehen mit dem Hund spazieren. Sehr gefährlich. Weiße tun so was nicht! Ironie off.

Die turbulente Geschichte von Harlem

Architektur in Harlem
Gepflegte, bunte Häuserreihen
Wir betreten eine Gasse mit wunderschönen Sandsteinhäusern, die sich wie Buchrücken am Straßenrand aufreihen. Manche sind rötlich, andere gelblich, manche schwach grün. Harlem wird im 16. Jahrhundert von niederländischen Pionieren gegründet, die auch gleich afrikanische Sklaven mitbringen. Das erklärt den Namen und die schwarze Community. Im 19. Jahrhundert gibt es hier viele Farmen – kaum zu glauben, wenn man in die betonierten Straßenzüge schaut. Jedoch wirkt alles hier sehr gemütlich und klein. Die Häuser erinnern an Amsterdam mit ihren Treppenaufgängen und den kleinen Türen zu den Untergeschossen hin.
Während in den 20er Jahren das Leben blüht, geht es anschließend während der großen Depression und des Zweiten Weltkrieges bergab. Es gibt immer wieder Rassenunruhen und Diskriminierung. Weiße verlassen das Viertel, wenn eine schwarze Familie in ihre Straße zieht. Es mindert den Wohnwert. Vielleicht sollte ich auch gleich wieder gehen, bevor noch etwas passiert! Aber die bunten Blüten vor den einladenden Häusern und die winkenden Mütter, die an unserer Gruppe vorbeischlendern, halten mich gerade noch so eben davon ab.

National Mall in Washington DC

Heroin, Gewalt und plötzlich viel Wert

Straßenszene in Harlem, New York
Aufstieg und Abstieg - Harlems bewegte Geschichte
In den Nachkriegsjahren verbessert sich die Lage in Harlem wieder – doch dann kommt der große Absturz. „Viele Heimkehrer aus dem Vietnamkrieg zwischen 1955 und 1975 sind vollkommen traumatisiert und durch den Mohn-Anbau in Vietnam das erste Mal mit Heroin in Kontakt gekommen“, berichtet Ryan. Als drogensüchtige und kaputte Menschen kommen sie nach Hause – doch in Harlem gibt es keine Kliniken, in denen ihnen geholfen werden kann. Und so sind die Straßen des Viertels bald voller Dealer, Gewalt und ausgemergelter Menschen, die die Generation ihrer Kinder gleich mit in den Sumpf zieht. Bis in die 90er Jahre ist Harlem ein extrem gefährlicher und heruntergekommener Ort. Einige Leute verramschen ihre Häuser für wenige Dollar, nur um wegzukommen.
Als zu dieser Zeit eine Touristin aus der U-Bahn steigt, fasst sie eine andere Frau am Arm, ruft „Sind Sie denn verrückt?“ und bringt sie sofort wieder zurück in die Station. Ich blicke zur Metro-Station, aus der ich vor einer Stunde Donut-mampfend rausgeschlendert bin, bevor mir zwei schwarze Straßenhändler nett zugelächelt haben. „Letztens hatte ich einen Mann bei der Tour, der hat damals seine beiden Häuser hier für 10.000 Dollar verkauft“, erinnert sich Ryan. „Als er jetzt wiederkam, sah er, dass eines für 4 Millionen und das andere für 6 Millionen zum Verkauf stand.“ Ryan macht eine Pause. „Da hat er geweint.“

Aufwertung und Gentrifizierung in New York

Mensch auf seiner Treppe in Harlem
Unbezahlbare Mieten

Was ist also passiert in den letzten nur rund 20 Jahren? Die Stadt New York legt Mitte der 90er Jahre ein großes Sozialprogramm auf, das auch Harlem betrifft. Das Viertel wird komplett saniert und aufgewertet. Eine Wende um 180 Grad. Eine Wende mit Schattenseiten. Denn durch die Gentrifizierung werden die ursprünglichen Bewohner mehr und mehr verdrängt.

Die Mietpreise sind heute fast unbezahlbar, die alte Kultur verschwindet. Hm.

 

Im Anschluss an die Tour laufe ich noch einige Straßenzüge allein durch Harlem. In einem wunderschönen Park spielen einige Männer Football mit ihren Kindern. Ich sage mal so: Es ist ein Ort, der mir viel gegeben hat und über den ich sicher noch länger nachdenken werde.

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