„Erst gehen wir oben zu den Wasserfällen, danach nach unten und dann kann man noch ein Stück weiterwandern!“, erkläre ich und fuchtele wild mit der Offline-Karte auf dem Handy herum. Mein Freund hat gerade etwas prekär auf einem breiten Stück Eis geparkt.
Das hätte mir zu denken geben sollen.
Hat es aber nicht, weil ich auf Reisen gern fröhlich winkend ins Verderben laufe.
Als wir den Wanderweg vom Parkplatz aus beginnen wollen, finden wir ihn erst einmal nicht. „Aber er sollte genau hier sein“, sage ich und deute hoheitsvoll auf die Offline-Karte. In der Reallife-Landschaft ist der Weg zum Dettifoss Wasserfall in Island jedoch unter einem riesigen Schnee- und Eispanzer begraben. Gemeinsam mit ein paar anderen Irren machen wir uns trotzdem auf den Weg. Nach einigen Metern merken wir, dass die anderen Irren immerhin Steigeisen unter den Schuhen haben. Wir nicht. Wenn ins Verderben, dann like a noob.
Der dritte und letzte Teil meines Reiseberichts über unseren Roadtrip durch Island nimmt euch mit über die Ring Road durch den Norden des Landes. Erfahrt, wie wir trotz Spazier-Latschen einen Eis-Hang hinuntergekommen sind, wo alte Männer mit Glatzen im Arktischen Meer schwimmen, wie wir in einem Polarcamper auf einer Schaf-Farm übernachtet haben und wo uns ein Buckelwal im Meer zugewunken hat.
Nervös blicke ich auf meine Winterschuhe mit der glatten Sohle. Dann auf den Abhang, der mit glänzendem Eis überzogen ist. Dann zu dem jungen Paar, das gerade selbstbewusst mit silbernen Spikes unter den Boots an uns vorbeigestapft ist und sich ganz klar auf dem Vormarsch zum Dettifoss Wasserfall befindet. Islands Norden Ende März. Eisige Angelegenheit. Ganz anders als der bereits relativ grüne (regenreiche) Süden, den wir auf dem ersten Teil unseres Trips passiert haben. Trotz der suboptimalen Ausgangslage wollen mein Freund und ich auf keinen Fall wieder zurück zum Auto gehen. Schließlich setze ich mich hin.
„Worüber denkst du nach?“, fragt mein Freund.
„Ich habe soeben aufgehört, nachzudenken“, erwidere ich. „Ich rutsche da jetzt runter. Auf meinem Hintern.“
Auf die Gefahr hin, dass ich aussehe, wie ein Pinguin, der auf seinem Bauch über den Schnee flitscht, geht es in die Tiefe. Es funktioniert. Mein Freund ist begeistert und folgt mir auf gleichem Wege. Ich höre eine Frau laut sagen: „Das ist eine gute Idee!“
Wahnsinn, gleich mal Maßstäbe gesetzt – und das nicht nur mit dem halben Arsch, sondern mit dem ganzen.
Der restliche Weg zum Dettifoss ist kaum der Rede wert. Der Ausblick am Ende aber schon. Auf 100 Metern Breite donnert der zweitstärkste Wasserfall Europas – nach dem Rheinfall – 40 Meter in die Tiefe. 193 Kubikmeter ergießen sich in weißer Gischt in die Tiefe. Pro Sekunde. Die Gischt hat übrigens zusammen mit der kalten Luft das Gras rund um den Aussichtspunkt eingefroren. Jeder einzelne Halm sieht aus wie Porzellan. Gespenstisch.
Und für alle, die es noch nicht wussten: Man kann einen Eis-Hügel überraschenderweise nicht mit dem Hintern wieder hochrutschen. Dafür gibt es jetzt ein lustiges Video von mir, wie ich auf Händen und Knien… lass uns doch über was anderes reden.
Ein paar Tage später sind wir am nördlichsten Punkt unserer Island-Reise. Am Hvítserkur Rock. Auch hier sind wir problemlos mit unserem winzigen Toyota Aygo Mietwagen hingekommen. Die gesamte Ring Road mit allen bekannten Sehenswürdigkeiten auf den Nebenstrecken (keine F-Roads!) haben wir Ende März ohne 4x4 oder SUV befahren können.
Der Hvítserkur Rock ist einer Sage nach ein versteinerter Troll. Wahrscheinlich hat er zu viel Scheiße im Internet kommentiert und steht deswegen jetzt unbeweglich im Arktischen Meer. Schade, dass das nicht allen Trolls passiert.
Der raue, schwarze Basaltfelsen ist mit weißen Sprenkeln überzogen. Wahrscheinlich eine geologische Besonderheit, denke ich.
Bei näherer Betrachtung stellt sich die Färbung jedoch als eine Unmenge an Möwenkacke heraus. Hust. Vielleicht zoome ich bei den Fotos einfach nicht ganz so nah ran.
Bei Flut steht der Hvítserkur Rock mitten im Wasser, bei Ebbe kann man hinlaufen. Wir haben Flut. Trotzdem steigen wir mal runter ans Meer. Noch während wir am Strand entlang auf den Felsen zulaufen, sehe ich Köpfe im eiskalten Wasser! Ich blicke noch mal hin und sehe, wie die Stirn eines alten Mannes mit grauem Haar untertaucht. Krass, wie die Isländer drauf sind!
Auf einmal schnauft es nur wenige Meter von uns entfernt im Wasser. Aus kugelrunden, schwarzen Augen blickt uns ein Seehund an. Dann taucht ein zweiter auf. Und noch einer. „Ooooh!“, rufe ich begeistert. Seehunde! Keine verrückten, alten Männer. Und so nah! Man kann jedes Barthaar sehen und irgendwie scheinen sie sogar zu grinsen. Was für ein Erlebnis!
Felsen gibt es auf Island eine Menge. Aber einer ist zu einer kleinen Ikone geworden. Der Kirkjufell Mountain. Postkartenmotiv pur. Während die Isländer versuchen, ihre Erhebungen als „Berge“ zu deklarieren, redet mein Freund (35 Lebensjahre in den Rocky Mountains) die ganze Reise von „Hügeln“. Als deutscher Flachländer stimme ich heimlich den Isländern zu.
Der Kirkjufell Berghügel sieht jedenfalls aus wie ein grünes Cremetörtchen, bei dem jemand die Tülle etwas schief aufsitzen hatte. Und ja, die Wasserfälle im Vordergrund sich echt. Island ist, wo Photoshop blass aussieht, weil die Realität so schön ist.
Nach Ausflügen zum Kirkjufell und dem nahegelegenen, noch sehr jungen, fast violetten und extrem tiefen Eldborg Crater (den ihr auf jeden Fall auf eurer Tour ins Programm nehmen solltet!), machen wir es uns abends in einem ganz besonderen Airbnb gemütlich: im Camper von Maria und Sigursteinn. Damit tourt das knuffige, etwa 60-jährige Paar mehrere Wochen im Jahr durch Island und vermietet es in der restlichen Zeit als feststehendes Mobilheim an andere Reisende. Der Camper ist „winterfest“ – also zu einem gewissen Grad beheizbar und isoliert. Nachdem ich im Haus Marias isländischen Beerentee probiert habe und sie uns ihre Schafherde und den Hof gezeigt hat, ziehen wir uns in den Wohnwagen zurück und kochen Pesto. Yum! Auf dem Dach des Campers trommelt der Regen. Wird wohl wieder nix mit Nordlichtern heute (Spoiler: Zwei Wochen Island im März und April und kein einziges Nordlicht gesehen, weil immer entweder bewölkt oder keine Aktivität der Lichter – dödömm). Stattdessen setzen wir uns später draußen im Dunkeln in den geothermalen Pool. Die kalte Luft und das 40 Grad warme Wasser sind eine Kombination so genial wie Waffeln mit heißen Kirschen und Vanilleeis.
Wie kann man denn aus Versehen Wale beobachten? Nun, man könnte an der Küste entlanglaufen
und zufällig einen sehen. Oder jemand hat die Flugdaten verwechselt, was sich herausstellt, als wir um 5 Uhr morgens am Schalter im Flughafen stehen und nicht auf der Passagierliste sind.
Jedenfalls nicht auf der Liste für heute. „Upps“, kommentiert mein Freund und grinst schuldbewusst. Dann haben wir wohl unverhofft einen weiteren Tag in Island. Könnte einen jetzt
schlimmer treffen.
Während wir durch Reykjavik bummeln, erinnere ich mich, dass mein Freund schon immer mal Wale beobachten wollte. Also gehen wir zum Hafen und fragen nach.
„Da habt ihr Glück, vor einer Woche ist eine größere Gruppe Wale eingetroffen“, erklärt die nette Frau an der Boots-Info. Die Sache ist geritzt. Zwei Stunden später rücken wir mit einem Schiff und etwa vierzig weiteren Passagieren aus. Ich lehne an der Reling und teste meine Kamera-Einstellungen an vorbeifliegenden Seevögeln. Es ist schweinemäßig kalt. Durch den Fahrtwind, aber auch den Seewind. Die Kombination aus beidem würde dem Bofrost-Mann augenblicklich die Erbsen gefrieren lassen. Aber ohne Beobachtung gibt’s keine Wale zu sehen. Also beobachte ich, was das Zeug hält, während unter meinen tränenden Augen langsam Eis vom Ausmaß eines Gletschers anwächst.
Auf einmal schießen schwarz-weiße Streifen unter dem Boot hervor. Aufregung. Es sind
Delfine! Wow! Sie flitzen hin und her und unter dem Bug durch. Etwa eine Viertelstunde später sehen wir einen Buckelwal. Er wälzt sich im Wasser, taucht auf und verschwindet wieder.
Manchmal sieht man die Finne, manchmal die Schwanzflosse und einmal scheint er sogar mit der Seitenflosse zu winken.
Warum Island eines der schönsten Länder der Welt ist
Danach ist es Zeit, dass auch wir Island winken. Es waren fantastische zwei Wochen, die
man sich nach Möglichkeit auch nehmen sollte, um die ganze Ring Road ohne Zeitdruck zu genießen. Island ist ein Land, das mich in 15 Jahren Reisen wie kaum ein anderes beeindruckt und
berührt hat. Durch seine bunte, künstlerische Hauptstadt, tosende Wasserfälle, die zum Anfassen nah sind, surreale Basaltformationen, schwarze Vulkanstrände, schroffe Krater und Canyons,
fauchende Fumarolen, kristallblaue Gletscher und seine wilde Schönheit irgendwo zwischen Feuer, Bergen, Meer und Eis. Ein Land, das zwar leider zu den teuersten der Welt zählt, aber das Sparen
mehr als wert ist. Ein Land, das man einmal im Leben gesehen und erlebt haben sollte.
Den ersten und zweiten Teil unseres Island-Abenteuers findet ihr hier:
Und alles war aus Gold: Reykjavik und der Golden Circle – Roadtrip Island I.
Eisblaue Gletscherhöhlen und Schleicher-Wellen: Islands Süden – Roadtrip Island II.
Lonelyroadlover (Freitag, 24 Juni 2022 19:07)
Ich hab immer irgendwo blaue Stellen, Oscar. Ist ein Abenteuer vorbei, kommt das nächste. ;) Und "Ur-Trollin" ist meine Tarnung, wenn ich in den Supermarkt gehe und nicht will, dass mich jemand erkennt. ;p
Liebe Grüße
Sarah
Oscar Segura (Sonntag, 05 Juni 2022 20:18)
hmmmm - also mich interessiert brennend: hast du am Hintern und auf den Knien noch immer blau-violette Stellen? wenn ja wäre das bestimmt ein tolles Bildmotiv und könnte dann schon fast als das Bild der Ur-Trollin durchgewunken werden �