Bläulich fällt das Morgenlicht durch die Bergschluchten der Pyrenäen. Nebel und Sonnenstrahlen bedecken die schroffen Felsen. Ich befinde mich neun Kilometer über dem Spektakel in meinem „Lieblingsreisegefährt“ – dem Flugzeug (lang lebe die Flugangst). Auf dem Weg nach Jerez de la Frontera. Dort startet unser dreiwöchiger Roadtrip durch Andalusien. Als wir um halb neun morgens dort aussteigen, weht eine sanfte Brise und erste Palmen rascheln im Wind. „Mensch, das ist ja angenehm“, sage ich zu meinem besten Freund Alex, mit dem ich letztes Jahr schon Japan unsicher gemacht habe. Wir laufen zum Bahnhof am Flughafen, an dem seltsamerweise nur alle zwei Stunden ein Zug in die Stadt fährt. Als die Bahn kommt, ranzt uns der Schaffner auf Spanisch an und lässt uns stehen. Herzlich willkommen!
Es folgt ein kleiner Auftaktbericht über Gluthitze, bunte Kirchtürme, rauschende Wellen und Afrika am Horizont.
Irgendwann schaffen wir es, uns mit einer Amerikanerin ein Taxi in die Innenstadt zu teilen und bei unserem Airbnb anzukommen. Weil wir seit Mitternacht wach sind und auch davor nur leidlich geschlafen haben, legen wir erst einmal die Füße hoch. Um Punkt 15 Uhr kommen wir auf die grandiose Idee, in die Altstadt von Jerez zu fahren. Zwar haben uns mehrere Leute gesagt, dass es in Andalusien zwischen 15 und 17 Uhr am heißesten ist, aber das haben wir dank spontaner Amnesie vergessen. Als wir aus der Tür treten, fallen wir beinahe komatös in das Flammenmeer, das sich vor uns auftut. Ich merke kurz an, dass es nicht mal in Needles, Kalifornien, kurz vor dem Death Valley so heiß war, bevor der letzte Rest Sauerstoff aus meiner Lunge entweicht.
Im Zeitlupentempo schleppen wir uns zum Alcázar in Jerez. Als ich einen Trinkwasserbrunnen sehe, umarme ich ihn fast und möchte ihn zugleich abreißen und mitnehmen. Nach einer Stunde ergeben wir uns und fahren zurück nach Hause, wo wir schlechte Laune schieben, weil wir so blöd waren, im August nach Südspanien zu fahren. Dann machen wir einen echten Plan, denn Aufgeben ist keine Lösung.
Am nächsten Tag stehen wir gegen 7 Uhr vor Sonnenaufgang auf und erkunden Jerez noch einmal neu. Bei flockigen 24 Grad. Ich freue mich, mal wieder auf die bunten, historischen und engen Gassen Südeuropas zu treffen und mich ohne Stadtkarte treiben zu lassen. Besonders die Catedral de Jerez hat es mir angetan mit ihren schachbrettartigen Kirchtürmen in Blau und Weiß.
Gegen Mittag fahren wir zurück, halten Siesta, um den Abend erst mit Füßen im Brunnen und dann mit Oliven und Salat auf der Terrasse ausklingen zu lassen. „Ich glaube, jetzt haben wir Andalusien verstanden“, sagt Alex und wir lachen, während unten ein Mofa mit 180 km/h durch den Ort zimmert, sodass die lange Palmenallee im Dunkeln erzittert.
Bevor wir das Auto abholen, bleibt uns noch ein Tagesausflug in den Küstenort Cádiz. Dort fahren wir von Jerez aus mit dem Zug hin, was nur rund 5 Euro kostet und 40 Minuten dauert. Auf einer langen Landverbindung geht es über das Meer hinein in die Stadt. Weiß und verspielt türmt sich das Rathaus direkt am Ortseingang auf. Springbrunnen sprudeln, Blumenranken schmücken die Tore vor den Parks. Obwohl auch Jerez seinen Charme hat, ist Cádiz viel sauberer und hübscher – genau wie viele Küstenstädte in Deutschland. Besonders beeindruckend ist die Catedral de la Santa Cruz mit ihrem gelben Kuppeldach und den Fassaden aus weißem Stein. Den besten Blick darauf erhaltet ihr an der Promenade, die keine Minute von der Kathedrale entfernt liegt.
Wir stürmen übermütig dorthin, denn es wartet das Meer. Das ist immer Grund genug, um auszurasten. Das türkise Wasser schaukelt gegen die
steinernen Stadtmauern und Wellenbrecher. Obwohl die Sonne schon wieder Fegefeuer-Temperaturen erreicht, kann die kühle Brise den erneuten Schweißausbruch verhindern. Wenn ihr in Cádiz an den
Strand wollt, dann haltet euch von den Stellen rund um den Stadtkern fern, denn diese sind hoffnungslos überfüllt (im Sommer). Schöner ist es weiter
draußen entlang der Landzunge, an der auch die Bahnlinie entlangführt. Am späten Nachmittag sitzen wir auf den Stufen vor der Kathedrale und sehen
einem Gitarrenspieler und tausend Tauben zu. Dem Gitarrenspieler beim Spielen, den Tauben beim Zerstören von Geschirr in Cafés.
Endlich ist der Tag der Wahrheit gekommen, an dem wir unseren Mietwagen abholen. Die Mitarbeiterin führt uns zu einem Opel Corsa mit Hagelschaden, worauf sie extra hinweist. Klar – wir wären sonst glatt auf die Idee gekommen, dass der Hagel auf unserer Strecke passiert wäre. Ich starre in den wolkenlosen Himmel, von dem eine Stichflamme herunterschießt. Und auch in den kommenden Wochen weiter herunterschießen wird. Wir werfen die Klimaanlage an und die Koffer in die Heckklappe. Dann setzen wir Kurs auf die Küste. Zum Glück liegen die ersten Stationen unserer Reise am Meer und nicht im Inland. Córdoba hat erst vor wenigen Tagen einen Hitzerekord von 47 Grad gemeldet. Ich denke wieder einmal ausdrücklich daran, dass ich nicht über Dinge nachdenken möchte, die ich nicht ändern kann oder mich noch gar nicht betreffen.
Noch einmal geht es vorbei an Cádiz und zwischen den Dörfern blitzt immer wieder das Meer auf.
Das verleitet uns dazu, an einem dubiosen Parkplatz anzuhalten, der aussieht, als würde uns gleich jemand die Fenster einschlagen und unsere Olivenvorräte aus dem Fußraum klauen. Wir springen dennoch aus dem Wagen und rennen ins Meer. Die Wellen kochen hoch und das Salzwasser schlägt uns ins Gesicht. Was für eine wunderbare Abkühlung! In Badesachen setzen wir uns wieder hinter das Steuer. Damit sind wir auch gleich typisch spanisch gekleidet, denn hier ist in dieser Hinsicht weniger offenbar mehr. Eine halbe Stunde später breitet sich der Playa Bolonia vor uns aus – einer der schönsten Strände Andalusiens. Auch hier solltet ihr ein paar Kilometer vom Ort entfernt an einem ruhigeren Abschnitt des Strandes parken, um nicht von 200 bunten Sonnenschirmen und brüllenden Touristen überrannt zu werden. Dem zu entgehen, ist aber kein Problem, denn der Playa Bolonia ist knapp sieben Kilometer lang und wir finden eine sehr ruhige Stelle trotz Hauptsaison. Auf der Ostseite gibt es eine 30 Meter hohe Düne, die wir uns jedoch nur von Weitem ansehen, da wir mit Schwimmen, Eisessen und Verbrennungen dritten Grades beschäftigt sind, weil Alex vergessen hat, seinen Rücken richtig einzucremen.
Unser letzter Halt ist Tarifa. Wie eine lange Nase ragt das europäische Festland in die Schneise zwischen Atlantik und Mittelmeer. Am gegenüberliegenden Ufer türmen sich hellbraune, majestätische Bergformationen auf. „Ich das Afrika?“, frage ich atemlose gegen den tosenden Wind, während ich Haare und Sand zwischen den Zähnen habe. Es ist Afrika. Ein unglaublicher Moment. Nur wenige Kilometer entfernt liegt ein ganz anderer Kontinent mit all seinen Problemen, Kulturen, Eigenheiten, Landschaften und seiner Schönheit. Wir befinden uns am südlichsten Punkt Europas (Festland) und saugen die Atmosphäre zwischen den Meeren und Welten auf wie nasser Seetang.
Ein paar Meilen weiter liegt ein fantastischer Aussichtspunkt, der El Mirador del Estrecho. Violett, blassgrau und rosa legt sich das Tuch des Abendhimmels über beide Erdteile. Im Gras rascheln riesige Grillen und die trockenen Halme streichen wie Saiten einer Geige aneinander. Ich stelle mich auf die niedrige Mauer und spüre die Magie dieses Moments ganz tief im Herzen. Reisen ist und bleibt eine Pralinenschachtel – bittersüß und wunderschön und jedes Mal wieder eine Überraschung, die dich überwältigt und für dein Leben beeindruckt.