Durch Flüsse, zum Mars, zum Ziel: Fernwanderung Laugavegur Island II.

22. September 2024

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55 Kilometer auf dem Laugavegur - was für eine fantastische Wanderung!

Morgen: Ab 12 Uhr Starkregen mit Sturm, steht auf einem handgeschriebenen Schild im Fenster der Wanderhütte.

Fernwandern im Starkregen stinkt und kann nur übertroffen werden durch Zeltaufbau im Starkregen. Wir sind unterwegs auf Islands Laugavegur, 55 Kilometer und vier Tage lang durch unbeschreiblich schöne Highland-Landschaften mit grünen Vulkanen, Schneefeldern und reißenden Flüssen. Mit Rucksack und Zelt, mit Selbstverpflegung und allen Wettern.

Die ersten beiden Tage und 28 Kilometer liegen bereits hinter uns – den Bericht dazu findet ihr hier: Von Regenbogenbergen zu Eisschluchten: Fernwanderung Laugavegur Island I.

 

Starkregen und Sturm. Ausgerechnet auf der Etappe, auf dem wir zu Fuß einen großen Fluss durchqueren müssen, vor dem uns eh schon die Muffen sausen. „Dann sind wir nass von allen Seiten“, frotzel ich, während mir die Warnung vor schwellenden Flüssen bei Regen einfällt.

Zum Glück fällt uns dann auch noch ein, dass es in Island im Juli ja nachts kaum dunkel wird.

„Warum stehen wir nicht früh auf und versuchen, die Etappe noch vor dem Regen um zwölf abzureißen und das Zelt im Trockenen aufzubauen?“, schlage ich vor.

Um 4:30 Uhr geht der Wecker.

Ein Fluss, eine Mondlandschaft – und das Ziel vor Augen.

Flussüberquerung auf dem Laugavegur

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Flussüberquerung auf dem Laugavegur - sieht gar nicht freundlich aus

Es dauert nicht lang, bis wir auf den Fluss treffen. Eigentlich sieht er von Weitem doch harmlos aus. Okay, relativ breit, aber friedlich. Bis wir direkt am Ufer stehen. Auf einmal zeigen sich überall Strömungen, Wirbel, Steine unbestimmter Größe unter der Wasseroberfläche und unbekannte Tiefen. Eine Flussdurchquerung zu Fuß kann nervenaufreibend und im schlimmsten Fall sogar lebensgefährlich sein. Die richtige Stelle finden, das Risiko richtig einschätzen, die richtige Ausrüstung mitbringen (schnell trocknende Sandalen, die die Zehen schützen, mindestens ein Wanderstab für Balance, kurze Hosen, Handtuch,…). Das letzte Mal, als ich einen Fluss in den USA überquert habe, war das Wasser so kalt, dass meine Beine taub wurden und mein Kopf schwindelig. Ein falscher Tritt und man stürzt. Klingt melodramatisch, sollte man aber immer ernst nehmen. Besonders hier draußen gilt: Man hat nur einen Körper und Hilfe ist weit entfernt.

 

Gemeinsam steigen wir untergehakt seitwärts in den Fluss. Das eisige Wasser prickelt. Ich atme hektisch. Die Strömung unter Wasser ist größer als an der Oberfläche. Bei jedem Schritt stoße ich an kleine Steine; die Kraft des Wassers drückt mich zurück. Je länger wir im Wasser sind, desto frostiger wird es. Dann auf einmal ein unsichtbarer Graben, plötzlich steht das Wasser halb über den Oberschenkel. Keine Panik. Jetzt bloß keine Panik.

Wir schaffen es zu einer Mittelinsel, machen eine kurze Pause. Dann das letzte Stück.

Puh.

Auf der anderen Seite steigt sofort Hitze in meine Füße, ich setze mich hin und hole das Handtuch raus. Von hier aus sieht der Fluss wieder harmlos aus. Mein Atem wird langsamer.

Laufen durchs Lava-Land

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Surreale Lava-Landschaften auf dem Laugavegur. Ist das noch die Erde?

Vor uns breitet sich eine schwarze Ebene aus. Vulkanstein. Rundherum stechen Berge aus dem kargen Land. Schwarz, rötlich, grau. Milchig scheint die Sonne hinter Schleierwolken. Es ist erst sieben Uhr morgens. Das Licht ist bleiern, golden. Es ist, als würden wir über die Oberfläche eines fremden Planeten mit einer seltsamen Atmosphäre laufen. Niemand außer uns ist unterwegs. Alter, warten die anderen Wanderer alle auf den Starkregen oder was?

 

Außer dem Knirschen des Vulkangesteins unter unseren Schuhen ist nichts zu hören. Ab und zu sehen wir Blumen, die tatsächlich in dieser Lava-Wüste gedeihen. Sie scheinen so fehl am Platz wie pinkes Konfetti auf einem Trauermarsch. Wobei diese Landschaft in keiner Weise deprimierend ist – nur fremd, eigentümlich, nicht von dieser Welt.

 

Um eine Kurve herum tun sich auf einmal grüne Berge auf. Als hätte jemand überdimensionale Zipfelmützen von Zwergen in die Landschaft gestellt. Der Himmel wird langsam dunkler. Kurz vor dem Camp in Emstrur eröffnet sich ein tiefer Canyon direkt vor uns. Eisige Gletscher türmen sich in der Ferne über braunen Hügeln, Gestein, Gräsern und Kratern. Es ist ein Anblick von solcher Größe, dass jede Panoramafunktion an der Kamera abkackt. Selbst mit bloßem Auge kann das Gehirn diese Ausmaße an purer Landschaft, an Grandeur, nicht packen. Wow.

Gegen elf Uhr steht unser Zelt. Im Trockenen. Gegen zwölf kommen Wind und Sprühregen auf. Am Nachmittag tost der Regen, in der Nacht reißt der Sturm an unserer Zeltplane. Es knattern, heult, plästert. Doch das Zelt hält stand. Magischerweise schlafen wir sogar.

Canyons, Teufelshörner und Regenbögen

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Einfach wunderschön - ein Regenbogen über dem Canyon

Am nächsten Tag ist die Luft klar und kalt, der Wolkenhimmel hat ein kleines, blaues Loch. Neben uns bauen ein paar erschöpft aussehende Mountainbiker aus Australien ihre Biwak-Zelte ab. Ihrer Konversation entnehme ich, dass sie ihre Butzen gestern Abend im Starkregen aufgebaut haben. Ain’t no fun.

 

Ich kann kaum glauben, dass es unser letzter Tag auf dem Trail ist. Kann der Laugavegur nicht einfach unendlich so weitergehen? Jeder Meter war bisher einfach die Wucht – und das ist keine Übertreibung.

Die ersten Kilometer des letzten Abschnitts führen uns in eine Schlucht mit tosendem, braunen Wasser. Wieder ist es ein kleines Schild im Fenster der Wanderhütte am Campground, das uns vorab nervös gemacht hat. Achtung, bleiben Sie nicht stehen im Canyon, giftige Gase!

Irgendwas Vulkanisches brütet dort und stinkt wie eine explodierte Tankstelle. Ich mache schnell ein paar Fotos mit Schal vor Nase und Mund, dann geht’s weiter, hinauf über einen Bergkamm und hinab in ein Tal aus roten Gräsern. Zum ersten Mal in drei Tagen sehen wir wieder Tiere. Schafe!

 

Plötzlich kommt die Sonne raus und schafft einen scharfen Kontrast zwischen dem auf einmal schwarz erscheinenden Himmel und einem Felsen, der aussieht, als würden Teufelshörner aus seiner Seite wachsen.

„Die Einheimischen haben diesen Berg früher gemieden“, berichtet eine Wanderin im Vorbeigehen. „Sie haben gesagt, dahinter lebt das Böse.“ Erscheint mir in diesem Moment erschreckend logisch.

Kurz darauf regnet es, dann spannt sich ein Regenbogen über das Tal. Es ist, als würde sich hier auf dem Wanderweg alle paar Minuten ein Fenster in eine andere Dimension öffnen.

Das Ziel – 55 km auf dem Laugavegur

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End of Trail - der Laugavegur in Thorsmörk

Nur wenige Kilometer vor dem Endpunkt des Laugavegur müssen wir einen weiteren Fluss durchqueren. Zum Glück schart sich eine Gruppe Menschen auf beiden Seiten um einen ganz bestimmten Punkt. Da muss wohl der perfekte und hoffentlich ungefährlichste Spot zur Überquerung sein. Der Fluss ist brackig und wirft wilde, weiße Wellen auf. Wären wir jetzt alleine hier, hätte ich keine Ahnung, ob wir das Teil überhaupt überqueren sollten – und wo.

Wir steigen ins Eiswasser, ohne den Grund zu sehen. Ich bin froh, als wir drüben sind.

 

Von hier führt der Laugavegur durch eine Landschaft, die ungewöhnlich ist für Island: Wald. Fast wie ein Urwald-Tunnel schließen sich die Äste von Birken über dem Trail. Obwohl Island einst große Wälder hatte, besitzt das Land heute kaum Bäume. Der Grund: die Wikinger. Als Lebensgrundlage haben sie Holz für Feuer, Schiffe und Häuser benötigt und – typisch Mensch – rücksichtslos geholzt, bis nichts mehr da war. Der durch künstliche Aufforstung wieder auferstandene Wald von Þórsmörk („Thorsmörk“) ist ein schönes Beispiel von Renaturierung und Umweltschutz.

 

In Þórsmörk anzukommen, bedeutet zugleich, am Ende des Laugavegur anzukommen. 16 Kilometer lang war die letzte Etappe. Wir steigen in ein Tal hinab zum letzten Camp. Auf einer Wiese am Fluss schlagen wir unser Zelt auf, gönnen uns einen Tee und Schokolade an der kleinen Wanderhütte. Vier Tage haben sich angefühlt wie vier Wochen. So viel unfassbar schöne Landschaft, so viele Herausforderungen, so viel gegeben und so viel zurückbekommen.

Im Ernst: Wenn du nur einmal im Leben eine Fernwanderung machst – mach sie auf dem Laugavegur.

 

Den ersten Teil unserer Wanderung auf dem Laugavegur findet ihr hier: Von Regenbogenbergen zu Eisschluchten: Fernwanderung Laugavegur Island I.

 

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