„Herzlichen Glückwunsch!“, ruft mein Papa ins Handy, als ich ihn aus den USA anrufe, um ihm zu erzählen, dass mich gerade ein großer Verlag unter Vertrag genommen hat. Herzlichen Glückwunsch. Das sagen wir oft. Zum Geburtstag, zur bestandenen Prüfung, zur Hochzeit oder wenn irgendwas halt geklappt hat. Manchmal schreibt man es auch auf eine Karte, ohne darüber nachzudenken, was es bedeutet. Glück-Wunsch. Der Wunsch, mit etwas glücklich zu sein. Mit dem Job, der Beziehung, den Kindern, dem Haus, der Freizeit und den Hobbys. Mit dem Leben. Lebensfreude. Es ist einer der wenigen Wünsche, den alle Menschen auf der Welt irgendwie teilen. Und doch geht er oft im Alltag unter. „Ich war heute wieder so gestresst von der Arbeit“, sagen wir. „Mein Partner und ich streiten in letzter Zeit oft“, „Ich wollte mein ganzes Leben lang einmal nach Peru, aber jetzt bin ich so krank“, „Unsere neue Wohnung macht auch nur Ärger“, „Wir haben diesen Monat mal wieder nicht genug Geld“.
Wo ist also die Lebensfreude und wie wird man verdammt noch mal glücklich? Ist das wirklich so schwer? Warum klappt es so oft nicht? Und gibt es so etwas wie eine Gebrauchsanweisung zum Glücklichsein, in der man nachschauen kann, wie das geht und bei der man die Glückshotline anruft, wenn man sie nicht versteht?
Ich habe vor ein paar Jahren nach einer langen Reise mein komplettes Leben ausgehebelt und noch mal ganz neu angefangen. Seitdem klappt das mit dem Glück ziemlich gut. Und deshalb gibt es jetzt hier meinen Versuch einer Anleitung zum Glücklichsein.
Kennt ihr das noch aus dem Deutschunterricht, wo man so Kommunikationsmodelle auswendig lernen musste? Watzlawik und so ein Gedöns? Ich bin ja echt kein großer Fan von Modellen (vielleicht auch, weil mein Deutschlehrer mich immer mit dem Watzlawik-Gedöns genervt hat) aber es gibt da was, das heißt „Die fünf Säulen des Lebens“.
Zu diesen Säulen gehören ein Job, Familie, Freunde und Beziehung, finanzielle Sicherheit, Gesundheit und die eigenen Werte, die einem wichtig sind. Wenn eine oder mehrere dieser Säulen brechen, dann schwankt unsere ganze Lebensfreude. Deshalb geht es uns auch scheiße, wenn ein Familienmitglied stirbt, in der Firma rumrationalisiert wird, der Partner sich trennt, die Bandscheibe einen Vorfall hat oder man plötzlich nicht mehr weiß, was man noch von der Welt halten soll.
Da kann man jetzt drüber in Panik verfallen und sich schnell das Fieber messen, oder man sieht es als Chance, dass jede Säule auch
gleichzeitig eine Stellschraube ist. Etwas, das nachjustiert werden kann wie das Bein eines Stativs. Etwas, das mal einen neuen Anstrich braucht.
Vielleicht auch eine Kernsanierung. Vielleicht auch einen Komplettabriss mit Neubau. Aber das Wichtigste ist, dass wir nicht nichts tun. Dass wir nicht auf dem Boden hocken und
denken „Ich kann eh nichts ändern!“ während uns der Putz auf die Nase rieselt. Denn genau in solchen Momenten sind wir am weitesten entfernt vom
Glücklichsein. Und genau in solchen Momente brauchen wir diese verdammte Anleitung für Lebensfreude, um nachzudenken und wirklich etwas zu ändern. Los geht's!
Ich erinnere mich noch, wie ich als Social-Media-Managerin in einem schönen, beheizten Büro in einem Schloss (!) gearbeitet habe. Großer Computerbildschirm, Kaffee for free, kreative Freiheiten, nette Kollegen. Klingt nach einem dieser fabelhaften Jobs, bei denen sie einen in der Ausschreibung mit „lichtdurchflutetem Loft-Office“ und „Smoothies in der Frühstücksbar“ ködern.
Aber was war? Ich war unglücklich. Viele Jahre wusste ich nicht einmal, warum. Bis ich nach meiner mehrmonatigen Reise endlich geschnallt habe, dass es nicht die Arbeit selbst, sondern die Arbeitsweise war, die mich nie erfüllt hat. Die festen Arbeitszeiten, die wenigen Urlaubstage, die Anwesenheitspflicht im Büro für Dinge, die ich auch von zu Hause hätte erledigen können. Ich war ein geborener Freelancer, ohne es zu wissen. Und weil niemand in meiner Familie je selbstständig war, kam mir der Gedanke auch lange Zeit gar nicht. Inzwischen bin ich seit drei Jahren als digitale Nomadin mit meiner eigenen Agentur frei getextet unterwegs.
Also: Wenn du unglücklich bist in deinem Job, dann versuche, über den Tellerrand hinauszudenken. Mach dir eine Liste und lass die Gedanken fliegen: Was ist der wahre Grund für deine Unzufriedenheit? Ist es der Chef, sind es die Kollegen, gibt es Mobbing? Sind es die Aufgaben, bist du überfordert oder langweilst du dich? Ist es der weite Weg mit Stau und verspäteten Bahnen? Ist es die Arbeitszeit und was wäre mit einer Reduzierung auf 35 oder 25 Stunden? Denk nach. Sei ehrlich zu dir selbst. Und handele. Bitte deinen Boss um ein Gespräch, frage nach einer Versetzung, bewirb dich neu, mach eine zweite Ausbildung oder ein Studium, kündige, trau dich was.
Und ja, auch mit 40 Jahren kann man noch mal was Neues wagen. Fang an, konsequent Geld zurückzulegen, um eine Selbstständigkeit zu wagen, dich umschulen zu lassen oder einfach erstmal weniger zu arbeiten. Es ist dein Stress, deine Gesundheit, deine Lebensfreude. Und es ist verdammt lang hin bis zur Rente. Echt jetzt.
Das Familienfoto, auf dem zu Weihnachten alle grinsen wie bei Kukident, während fünf Minuten vorher mal wieder Beleidigungen vom Feinsten durch den Flur geflogen sind. Keine Ahnung, wie das bei euch ist, aber ich habe solche Bilder definitiv im Familienalbum. Nee, es ist nicht immer alles toll mit den Eltern, Großeltern, Kindern und Geschwistern. Es ist nicht immer alles super mit den besten Freunden. Es läuft nicht immer alles klasse mit dem Partner. Normal. Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen einer kleinen Meinungsverschiedenheit über Weihnachtsplätzchen und Beziehungen, die einen bedrücken, zerrütten, kleinmachen, zurückhalten, verletzen oder sogar krank machen.
Hier gibt es aus meiner Sicht wenig zu überlegen: Mach Schluss. Und das meine ich ernst. Mach Schluss mit jedem, der dich körperlich oder psychisch angreift. Mach Schluss mit Eltern, deren Verhalten dich belastet, Geschwistern, die dich lächerlich machen, Freunden, die dich ausnutzen oder einem Partner, neben dem du nur noch streitend herlebst. Und nein, nur weil man verwandt ist, muss man sich nicht jeden Scheiß gefallen lassen. Oder hast du dir deine Familie bei der Geburt als Wunschmenü zusammenstellen dürfen?
Negative Menschen haben keinen Platz in deinem Leben. Denn sie essen deine Energie auf. Deine Zeit. Deine Gesundheit. Dein Glück. Nein, du bist ihnen nicht verpflichtet und du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, dich von ihnen zu distanzieren, ihnen deine Grenzen zu zeigen, mit ihnen zu brechen. Denn es ist dein Leben. Wenn sie dich nicht lieben und achten, wie du bist, dann sind sie raus. Punkt.
Eine Altbauwohnung in Hamburg – yeah! Fetzt, dachte ich mit fünfzehn. Bis ich gesehen habe, dass in Hamburg eine Besenkammer schon eine Kaltmiete von fünf Millionen Flocken kostet. Wohnen kann teuer sein. Ebenso der – manchmal von den Eltern oder der Gesellschaft implantierte – Wunsch, eine Eigentumswohnung oder ein Haus zu besitzen. Wohnen kann auch anstrengend sein, wenn man den Stadtlärm oder die Nachbarn nicht mehr erträgt oder das kleine Dorf auf dem Land plötzlich erdrückend scheint. Wohnen ist oft die größte laufende Ausgabe, die wir jeden Monat haben.
Ein Thema, mit dem ich mich als Vielreisende, die sechs Monate im Jahr gar nicht zu Hause ist, oft befasst habe. Warum zahle ich mehrere hundert Euro für etwas, das ich gar nicht benutze? Ganz so radikal müssen deine Fragen natürlich nicht ausfallen – und doch sind sie ähnlich.
Hand aufs Herz: Wie viel Geld nimmt dir die Miete prozentual jeden Monat vom Einkommen weg? Wie viel Platz hast du in deiner Wohnung und wie viel benutzt du davon wirklich? Wie viel Raum steht nur so rum und muss geheizt und geputzt werden? Oder ist dir vielleicht schon lange alles viel zu eng? Vielleicht bist du mal aus bestimmten Gründen in eine bestimmte Gegend gezogen: Clubs zum Feiern, nah am Arbeitsplatz, nah am Kindergarten. Prüfe: Lohnt sich die teure Miete in der Innenstadt wirklich noch, obwohl du gar nicht mehr so oft weggehst? Hast du den Job längst gewechselt? Sind die Kinder ausgezogen und ist das Haus viel zu groß? Würdest du vielleicht sogar gern Stunden auf der Arbeit reduzieren oder noch mal studieren, aber die laufenden Kosten der Miete erlauben es dir nicht?
Tu was. Schau dir Inserate an, miste unnötige Gegenstände aus, mach Platz. In der Wohnung und im Kopf. Zeichne den Grundriss deines Traumhauses auf Papier. Schau dir alte Rechnungen an, Heizkosten und Stromkosten. Lies über alternative Wohnkonzepte wie Tiny Houses oder Wohngemeinschaften. Ich habe übrigens selbst mal ein Jahr in einem Tiny Home gelebt. Es ist dein Wohlfühlort, deine Heimat, dein Geld und dein Lebensglück. Scheiße wohnen kannst du, wenn du im Sarg liegst.
Wie du vielleicht schon an den vorherigen Punkten gemerkt hast, sind Gesundheit und Geld ziemlich eng mit Job, Beziehungen und Wohnort verwoben.
Stress auf der Arbeit, negative Menschen und Geldprobleme machen deine Gesundheit und Lebensfreude kaputt. Und gesund sein heißt nicht nur, keine Ohrenschmerzen zu haben, sondern auch, nicht dauernd zu weinen, sich zu sorgen oder vor Angst nicht schlafen zu können.
Geld wiederum wird wichtig, wenn es um den Beruf, familiäre Verpflichtungen oder die Miete geht.
Zurück zu dem Säulengedönsmodell: Ist eine Säule marode, reißt sie oft alles andere mit sich. Das führt nicht zwingend zum totalen
Einsturz des Glücks, aber es belastet alle anderen, eigentlich intakten Bereiche mit und führt dazu, dass du manchmal das Gefühl hast, nie wirklich glücklich zu sein. Deshalb ist es so wichtig,
das Leben immer wieder zu hinterfragen. Streng und ehrlich. Und Konsquenzen zu ziehen.
Drei einschneidende Momente haben mir im Leben gezeigt, dass meine Säulen zu lange an Gedankenlosigkeit und am Ich-kann-eh-nichts-ändern-Syndrom gelitten haben und längst baufällig waren:
1. Meine Oma ist 2013 von einem Tag auf den anderen gestorben. Ein Augenblick, der mir bewusst gemacht hat, wie schnell mal eben das Leben vorbei sein kann und dass Warten und Aussitzen keine Option ist.
2. Als ich von meiner viermonatigen Soloreise zurückkam, wurde mir klar, wie wenig ich brauche, um glücklich zu sein, aber wie wichtig es war, dass Job und Beziehung zu meinem Traum vom Leben auf Reisen passten.
3. 2019 wurde ich mit der unheilbaren Autoimmunerkrankung Colitis
Ulcerosa (chronische Darmentzündung) diagnostiziert. Eine Krankheit, die wie ein Schießhund auf Stress reagiert und dazu geführt hat, dass ich die restlichen, negativen Einflüsse in
meinem Leben auch noch eliminiert habe, um gesund zu bleiben.
Hör auf dein Leben und was es dir sagt. Mit allen Schrecken und Chancen. Es spricht nicht umsonst zu dir. Es möchte, dass du glücklich bist.
Wie bei allen Gebrauchsanweisungen ist auch meine Anleitung zum Glücklichsein kein universeller Masterplan, den man mal eben an einem Nachmittag abhakt. Er ist eine An-Leitung – etwas, das dich leitet, Dinge in Frage stellt und Vorschläge macht. Aber tun musst du es schon selbst. Natürlich gibt es auch diverse Risiken und Nebenwirkungen. Dinge zu ändern, ist selten schön. Es bedeutet Diskussionen, Einschnitte, Unsicherheit, Ängste, Verletztheit und Verlust von Gewohntem.
Wenn du davor zurückschreckst, frage dich einfach: Wie viel ist mir mein Glück wert?
Kennst du die Antwort?
Lonelyroadlover (Donnerstag, 13 Mai 2021 12:35)
Hi Julia,
danke für deinen Kommentar. :) Du hast absolut Recht. Oft ist es auch ein Mix aus Bequemlichkeit, Angst und schlechten "Vorbildern", die uns versumpfen lassen. So let's go - wir haben nur ein Leben.
Liebe Grüße
Sarah
Julia (Sonntag, 25 April 2021 17:12)
Wunderbar geschrieben und mit so vielen wertvollen Aussagen. Menschen neigen dazu, einfach in unglücklichen Situationen stecken zu bleiben. Da hilft oft nur, alles neu anzugehen oder umzudenken.
Liebe Grüße, Julia