Lovestory im Drittland:

Wie ich meinen Freund trotz Grenzschließungen wiedergesehen habe.

21. August 2020

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Deutsch-amerikanische Lovestory in Coronazeiten

Das gibt einen seltsamen Eintrag in meiner Todesakte: Sie starb an einem Herzinfarkt durch Corona. Seit diese verschissene Pandemie beschlossen hat, sich auf diesem Planeten wie James Bond aufzuführen, ist für viele Schluss mit lustig. Unter anderem auch für internationale, unverheiratete Paare. Die Grenzen sind dicht, die Regierungen finden, dass eine Beziehung ohne Trauschein „nicht essenziell“ ist und ich habe vier Monate lang Würfel gekotzt. Mein Freund lebt in den USA und ich hier in diesem Deutschland. Ich war schon kurz vor einem Magengeschwür und bin aus lauter Verzweiflung einen Monat lang allein von den Alpen bis ans Meer gefahren, als ich die fantastische Facebook-Gruppe „Couples seperated by Travel Bans“ finde. Die mir schließlich den Hinweis liefert, dass es ein Schlupfloch gibt. Kroatien. Eines der wenigen Länder, die zur EU aber nicht zum Schengenraum gehören, und die neben EU-Bürgern auch Amerikaner ins Land lassen (Stand: August 2020).

 

Ich alarmiere sofort das Sondereinsatzkommando (das aus mir, meinem Freund und meinen besten Freunden besteht) und wir beginnen, wie die Irren zu recherchieren. Könnte es wirklich klappen? Nach vier Monaten Zwangstrennung renne ich kopflos durch meine Bude. Wir buchen die Tickets. Einen Mietwagen. Für einen kleinen Roadtrip. Obwohl es mir eigentlich egal ist, was wir machen. Solange wir uns endlich wieder in den Arm nehmen können. Und dann bricht natürlich kurz vor der Abreise noch einmal so richtig die Hölle los. Hier kommt – mal wieder – eine meiner irren Lovestorys. Mit allem, was Hollywood aufbieten kann.

Samstagabend mit der Bundespolizei

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Was soll das - ich will doch einfach nur fliegen!

Ich werde wach und habe komisches Zeug geträumt von meinem Freund und mir auf einem Segelschiff im Amazonas. Ich blinzel auf mein Handy. Da ist eine Nachricht zu meinem Flug nach Zagreb in einer Woche. Ich öffne sie und mein Herz schlittert in einen tiefen Schlund. Der Flug wurde gecancelt. Die lapidare Begründung: Wegen Corona. „Dann brauche ich ja demnächst meine Steuern nicht mehr zahlen und wenn das Finanzamt fragt, dann sage ich einfach: Tja, wegen Corona!“, wüte ich. Mein Freund muss bereits in den USA mehrfach umsteigen und fliegt schließlich von Washington nach Frankfurt. Von dort wollten wir gemeinsam nach Zagreb abstarten.

 

Doch statt uns darauf zu freuen, ist mal wieder Terrorstufe zehn in meinem Gehirn. Wir versuchen, auf einen späteren Flug umzubuchen, aber für mehr als 24 Stunden ist unklar, ob es klappt. Zugleich spamme ich die Bundespolizei zu, um herauszufinden, ob Amerikaner am Frankfurter Flughafen umsteigen dürfen. Denn laut Reisebeschränkungen darf mein Freund nicht nach Deutschland einreisen und die Niederlande legen ihre Restriktionen so aus, dass nicht mal ein Transit erlaubt ist. An einem Samstag um 20:30 Uhr bekomme ich eine E-Mail von der Polizei des Frankfurter Flughafens. Es ist okay. Er darf zum Transit einreisen, solange er nicht das Gebäude verlässt und mit seinem amerikanischen Pass ganz Deutschland kontaminiert. Ich schütte mir Wein in ein Glas, das verdächtig groß ist, und schicke meinem Freund voller Erleichterung die E-Mail weiter.

Die Sache mit dem Coronatest

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Erstmal einen Wein!

Schließlich können wir auch unsere gecancelten Zagreb-Flüge umbuchen. Ich beginne, Unterkünfte zu buchen, denn mein Freund muss jedes einzelne Airbnb und Hotel auf einem Formular angeben. Das gehört zu den Auflagen für Einreisende aus den Vereinigten Staaten. Wir sind uns einig, dass der orangegesichtige Vollpfosten in seinem Land, der unter totalem Kontrollverlust leidet und die Infektionszahlen ins Unermessliche treibt, die Angelegenheit unnötig verkompliziert. Als wir gerade nachschauen, welche Nationalparks in Kroatien geöffnet haben, kommt ein weiterer Faustschlag. Immer mitten in die Fresse rein, wie Die Ärzte so schön singen. Kroatien hat nämlich spontan beschlossen, dass Amerikaner ab sofort einen negativen Coronatest brauchen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Wie gut, dass mein Freund montags um 7 Uhr morgens fliegt und am Wochenende nicht getestet wird. Ich vergesse, die Weinflasche wieder in den Kühlschrank zu stellen, und schenke mir ein sehr großes, warmes Glas ein. Dann will ich kurz irgendetwas an die Wand werfen aber ich bin zu beschäftigt mit Fluchen und Heulen.

 

Nach meiner kurzen Eskalation finden wir im Kleingedruckten, dass man auch mit einem negativen Test einreisen darf, der älter als 48 Stunden ist – dann allerdings muss man einen weiteren Test in Kroatien für 230 Euro machen und in Quarantäne bleiben, bis die Ergebnisse kommen. Wir haben keine andere Möglichkeit. Außer natürlich, aufzugeben. Aber das Wort kenne ich nicht. Musste es kurz im Duden nachschlagen. Wusste nicht mal, wie man es schreibt.

Herzinfarkt durch Corona: kurz vorm Nervenzusammenbruch

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Vollkrise - wann hört dieser ganze Corona-Wahnsinn endlich auf?

Es ist Freitag kurz vor Sonnenaufgang (oder so), als mein Freund am Drive-In eines Testzentrums in seinem Bundesstaat steht. Es gibt nämlich nur eine begrenzte Zahl an Tests pro Tag für Menschen ohne Symptome – und wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Schon kurz darauf ist das Ergebnis da. Negativ. Natürlich. Allerdings teilen die Pappnasen ihm das mündlich am Telefon mit. Was vermutlich nicht besonders gut an der kroatischen Grenze im Angesicht des dortigen Grenzbeamten ankommt. Mein Freund bittet, dass man ihm den Wisch doch zuschicken möge. Aber jetzt ist erstmal Wochenende, der Griffel ist gefallen und keine Sau schickt ihm irgendwas bis er am Montag um 7 Uhr in seinen ersten Flieger steigt.

 

Ich werde so nervös, dass ich vergesse, die Weinflasche wieder zuzumachen. Der schale Geschmack kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Denn ganz ohne Coronatest stecken sie meinen Freund – und mich – in eine 14-tägige Quarantäne. Kann man machen, haben wir aber im März schon einmal gemacht. In Kanada. War okay, aber ist jetzt auch nicht unser Hobby. Eigentlich würden wir gern mal wieder ganz normal Hand in Hand zusammen eine Straße runtergehen, ohne wie Schwerverbrecher behandelt zu werden. Ich renne durch meine Wohnung und versuche, zu packen, doch ich habe bloß Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und will sterben. Und wenn ich sterbe, können sie sagen, dass ich an einem Herzinfarkt gestorben bin. Vor Nervosität und Unsicherheit. Wegen Corona. Ich breche.

Ein Fax im 21. Jahrhundert

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Nicht aufgeben: Love wins!

Um 10 Uhr landet mein Freund nach seinem ersten Flug in Denver. Er ruft noch einmal beim Testzentrum an. Sie erklären ihm, dass sie die Ergebnisse faxen können. Faxen. Im Jahr 2020. In den USA. Ich frage, ob sie es nicht in eine Höhle schnitzen und dann warten können, bis die nächste Eiszeit es per Gletscher zu uns bringt. Doch dann stellt sich heraus, dass sie es tatsächlich zum Airline-Schalter faxen können, wo ein paar nette Mitarbeiter es empfangen und meinem Freund schwarz auf weiß aushändigen. Ich feiere eine mittelgroße Facebook-Party mit mir selbst und verwüste dabei beinahe die ganze Wohnung, weil ich irre mit meinem Handy auf und ab laufe und das Sondereinsatzkommando mit Sprachnachrichten auf dem Laufenden halte. Dann stelle ich das Weinglas in die Spüle und trinke einen Schluck aus der Flasche.

 

Nur wenige Minuten später schreibt mir mein Freund, dass sein nächstes Flugzeug überbucht ist und er vielleicht nicht mitkommt. Überbucht in Coronazeiten? Haben die den totalen Schatten? „Was kann denn noch alles schiefgehen?“, fragt mich eine Freundin mitleidig. Ich antworte: „Der Flughafen brennt ab, mein Zug nach Frankfurt entgleist oder das Flugzeug ist kaputt.“

Kurz darauf schreibt mein Freund: „Das Flugzeug ist kaputt. Deshalb müssen sie jetzt ein kleineres nehmen, das natürlich überbucht ist.“

Loriot. Die Weinflasche ist leer und ich stelle sie kommentarlos zum Altglas.

Ein Gebet an das Universum

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Nachts draußen auf dem Balkon

Irgendwie schafft er es doch noch in das kleine, nicht kaputte Flugzeug. Das hat aber jetzt natürlich Verspätung, weshalb es knapp wird mit dem Anschluss in Washington. Es ist 23 Uhr, als ich im Dunkeln auf meiner Terrasse in meine bunten Lampions starre. Es sind 25 Grad und ich habe lauen Apfelsaft in der Hand. „Lieber Mond, liebe Götter und Geister – helft mir“, sage ich leise. In einem Buch von Paulo Coelho, "The Alchemist", heißt es, dass einem das Universum hilft, wenn man für etwas bestimmt ist und selbst schon genug Vorarbeit geleistet hat. „Also mach jetzt was“, knurre ich die Sterne an.

 

Derweil rennt mein Freund über den Flughafen in Washington, wenige Minuten bevor das Gate schließt. Bis ihn eine Mitarbeiterin aufhält. „Nach Deutschland?“, fragt sie und schaut auf sein Ticket nach Frankfurt. „Das geht nicht.“

„Doch, das geht. Ist nur Transit“, erklärt mein Freund. Die Mitarbeiterin guckt wie eine Kuh und muss eine zweite Person hinzuholen. Gemeinsam schlagen sie in aller Ruhe die aktuelle Gesetzeslage nach. Zum Glück bin ich nicht dabei. Herzinfarkt und so. Am Ende schafft mein Freund es fünf Minuten vor Abflug in die Maschine. Und ist auf dem Weg nach Deutschland. Endlich.

Überraschung!

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Scheiß auf den Pass!

Frankfurt. Dienstag, 9 Uhr morgens. Ich tanze hibbelig durch die Security. Mein Freund ist gelandet, niemand hat ihn aufgehalten. Er ist am Gate und wartet auf mich. Ich möchte dem Security-Typen laut „Hosianna!“ ins Gesicht schreien, doch beschließe, dass das eher kontraproduktiv ist. Dann komme ich aber auch ohne Hosianna eine Weile nicht weg, weil ich vergessen habe, das Navigationsgerät für unseren Roadtrip aus dem Handgepäck zu nehmen. Das Sicherheitsmoppet hat Alarm geschlagen. Nachdem ich am Band fast meine ganze Unterwäsche ausgepackt habe, finden wir das Navi in den tiefen meines Koffers und ich fühle mich kurz wie ein Hirni. Ist aber auch egal.

 

Ich sprühe mir Desinfektionszeug auf die Hände und renne durch die Geruchshölle der zollfreien Parfümerie zum Passhäuschen, wo ein Passmensch schier endlos auf meinen Pass starrt. Als er nickt und ihn mir zurückgibt, stolpere ich in einen dunklen Gang und versuche herauszufinden, wo die Gates sind. Ich glotze dämlich und entdecke zu allem Überfluss noch einen Typen, der in einer Ecke steht und meine Planlosigkeit beobachtet. Auf einmal bewegt er sich. Auf mich zu. Ich blicke auf. Es ist mein Freund. Ich lasse meinen Koffer stehen und renne. Auf ihn zu. Ich will ihn umarmen und nie wieder loslassen, aber habe immer noch meinen Pass in der Hand. Also werfe ich ihn weg. Einfach so. Er fliegt quer über den Fußboden, während ich meinem Freund in die Arme springe und das Glück in Flocken von der Decke regnet. Minutenlang halten wir uns einfach nur fest, als könnten wir nicht glauben, dass das alles real ist.

Landung in Zagreb mit Happy End

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Endlich in Zagreb!

Auf dem Flug nach Zagreb sitzen wir nebeneinander. Ich berühre sein Gesicht mit der Maske und grinse wie ein Honigkuchenpferd. „Ich muss das tun. Ich glaube sonst nicht, dass du echt bist“, erkläre ich. Er lächelt. Mit seinen blauen Augen.

In Zagreb legt er seinen inzwischen 2000 Jahre alten Coronatest vor. Der Beamte fotokopiert ihn, überfliegt den Pass, stempelt ihn und sagt „Herzlich willkommen in Kroatien.“ Kein zweiter Test. Keine Quarantäne. Meine Kinnlade liegt auf dem Fußboden. Wir sind frei. Ich nehme die Hand von meinem Freund und dann gehen wir aus dem Flughafen hinaus und laufen einfach nur die Straße hinunter. Als wären wir zwei ganz normale Menschen in einer ganz normalen Welt.

 

Sind wir aber nicht. Die Welt ist irre und wir sind auch nicht weit entfernt davon. Aber wenn man zwischendurch ein paar irre Ideen am Start hat und ein bisschen irren Mut hat, dann kommt man schon ganz gut klar in diesem irren Leben.

Die nächsten vier Tage verbringen wir in Zagreb in einem riesigen Airbnb mit Hawaii-Motiven an den Wänden. Es sind 56 Grad im Schatten und wir gehen kaum raus. Bekloppt – jetzt wo wir es könnten. Aber nach vier Monaten ohne einander kann die Altstadt Zagrebs auch noch ein paar Minuten länger warten. Denn wir leben jetzt erstmal den Moment. Solange es ihn gibt.

Kommentare: 4
  • #4

    Lonelyroadlover (Samstag, 17 Oktober 2020 21:23)

    Liebe Kasia,
    danke mal wieder fürs Lesen. :) "Bloß nicht aufgeben" ist mein Lebensmotto. Ich denke, jeder hat in dieser irren Zeit seine ganz eigenen Probleme, Sorgen und Ängste. Um den Job, die Gesundheit, den Partner, die Zukunft. Es ist schwer zu sagen, wem es schlechter geht. Das Wichtigste ist, dass wir schätzen, was wir haben und um das kämpfen, was uns wichtig ist. Immer. Und besonders in einer schweren Zeit.
    Ganz liebe Grüße!
    Sarah

  • #3

    Kasia Oberdorf (Mittwoch, 26 August 2020 08:47)

    Hallo Sarah,

    eine irre Geschichte. Und bloß nie aufgeben :-) ich wäre verrückt geworden. Wie gut es doch diejenigen haben, deren Partner bei ihnen sind...

    Ich hoffe für euch das Beste, finde es toll, wie gut ihr das gemeistert habt. Alle warten darauf, dass sich der Wahnsinn legt.

    Liebe Grüße
    Kasia

  • #2

    Lonelyroadlover (Sonntag, 23 August 2020 12:20)

    Hi Peter,
    danke wie immer fürs Mitlesen und Mitfiebern. Ich hoffe auch, dass dieser ganze Scheiß bald zu Ende ist. Je länger es sich hinzieht, desto prekärer wird die Lage für viele. Menschen mit Partner im Ausland sind ja nur ein Teil der Wahrheit. So viele andere stehen vor den Scherben ihrer Existenz oder wachen jeden Tag mit Angst auf, wie es weitergeht. Diese Unsicherheit ist das Schlimmste an allem.
    Naja. Wer mich unterkriegen will, muss erstmal meine Klappe totschießen.
    Liebe Grüße
    Sarah

  • #1

    Don Pedro (Sonntag, 23 August 2020 10:29)

    Ja Sarah, das ist echt eine irre Story.
    Möge der Corona-Scheißendreck-Wahnsinn möglichst bald ein Ende finden, sonst müssen es die Systemaffen mit immer mehr durchgeknallten Menschen aufnehmen (Du warst ja kurz davor ...). Die Gebeutelten werden sich diese Restriktionen nicht mehr lange gefallen lassen. Aber was schreibe ich ... es ist, wie es ist.
    Hauptsache, Ihr habt Euch wieder in die Arme nehmen können und eine tolle Zeit miteinander verbringen können - wo auch immer.
    Dem Cowboy und Dir eine schöne Zeit und liebe Grüße.

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