„Die Außenfassade müsstest du natürlich auch irgendwann noch machen“, sagt die Eigentümerin am Tag meiner Erstbesichtigung.
„Jaja“, erwidere ich lax, kopflos in das Haus verliebt und strafe die schrammelige Holzwand mit vernichtender Nichtachtung. Schmeiß ich einen Pott Farbe dran und dann läuft das.
Danach unterschreibe ich Anfang Januar, renoviere die Innenräume 16 Tage (und Nächte…) lang komplett alleine, sterbe kurzzeitig im Krankenhaus und düse auf Europa Road Trip. Als ich Mitte März wiederkomme, stelle ich fest, dass ich noch genau sechs Wochen Zeit habe, mich um die Außenfassade zu kümmern, bevor ich den ganzen Sommer lang in die USA fliege. Zum ersten Mal betrachte ich das Holz etwas eingehender. Es ist alt, abgeblättert, schutzlos der Witterung ausgeliefert und sieht einfach aus wie Ziegenscheiße.
„Das würde ich dringend mal streichen!“, ruft ein Nachbar von seinem Fahrrad aus. Ich möchte ihm eine Bananenschale in den Weg schmeißen.
Dann gehe ich rein, hole einen von den Zollstöcken, die ich noch nicht abgebrochen habe, und klappe ihn fachmännisch-falsch auseinander. Ich ramme ihn im Garten in den Boden und lehne ihn an die Wand, die natürlich viel höher ist, als der beknackte Stock. Der Nachbar kommt zurück. „Haha, hast du etwa noch einen Zollstock?“, ruft er. Ja – und kurz darauf auch eine neue Großbaustelle. Hier kommt: Mission Anstreichen der Außenfassade! Mit windschiefer Leiter, Ätz-Farbe und dem unbedingten Willen, mein Tiny House optisch in eine echt amerikanische Cabin zu verwandeln!
Fertig. Ich kritzel die letzte Zahl auf das Papier und schwitze wie eine Biber. Von Zahlen habe ich ja in der Schule immer schon Brechreiz bekommen. Ich jammere meinen Freund voll, der eine Exceltabelle anlegt, die für mich Quadratmeter berechnet und auch über 8.000 Kilometer Entfernung funktioniert. 96. Sechsundneunzig Quadratmeter Fläche hat meine Butze von außen. Plus-minus ein paar Zollstock-Ausraster, bei denen ich eher ungenau in der Luft herumgefuchtelt habe, statt wirklich zu messen.
Ich fahre in den Baumarkt. „Ich brauche Farbe für schäbbiges Holz“, sage ich.
Der junge Typ glotzt. Ich zeige ihm auf dem Handy Fotos von der sterbenden Fassade, damit wir mal in die Pötte kommen. In die Farbpötte bestenfalls.
„Das würde ich mit Schutzgrund vorstreichen und dann erst die neue Farbe drauf“, erklärt er. Das hatte ich mir schon gedacht. Auch dass ich mal wieder meine Kreditkarte schreddern muss. Aber mein Tiny Home ist mein Traumhaus und Refugium – das geht schon klar.
„Vorher muss natürlich alles einmal abgeschliffen werden“, sagt er dann noch so nebenbei, als hätte ich gefragt, ob es den Kakao auch mit Sahne gibt.
„Alles?“, frage ich etwas fiebrig.
„Ja, schon“, erwidert er und geht weg.
„Kann ich da so ’ne Maschine ausliehen?“, brülle ich ihm heiser nach. Ich erinnere mich dunkel daran, wie ich um halb 2 nachts meinen Palettentisch per Hand geschliffen habe und mein Handy danach meinen Fingerabdruck nicht mehr erkannt hat.
„Ja, hinten in der Baustoff-Abteilung. Da haben wir Mietgeräte.“
Ich kriege kurz Kreislauf. Dann drehe ich mich um und stapfe auf die Halle zu. Okay. Wir müssen die ganze Fassade schleifen. Das kriegen wir hin. An einem Tag. Irgendwie.
Der Kerl in der Abteilung zeigt mir eine winzige Schleifmaschine.
„Ich habe ein ganzes Haus!“, protestiere ich.
„Na, dann müssen Sie mal über die Straße gehen, da ist der Baumaschinen-Fachhandel. Die verleihen auch Großgeräte.“
Ich bewege meinen Hintern also in das Geschäft der Konkurrenz. Schon im Eingang stehen Schaufel-Ketten-Dingsbums-Ungetüme für die man sicher Führerscheinklasse F für „fett“ braucht.
Fünf Minuten später habe ich eine dicke Schleifmaschine gebucht. Für den kommenden Freitag, 7 Uhr morgens. Wir wollen ja keine Fingernägel feilen hier!
Es ist der kommende Freitag. 7 Uhr. Ich habe übelst keinen Bock auf die Scheiße. Hoffentlich ist das Teil nicht so laut. Ich bin nämlich noch überhaupt nicht wach.
„An EINEM Tag wollen Sie das machen?“, der Typ in dem Schuppen lacht. „Planen Sie mal drei. Ich sag’s nur.“
Ich zeige ihm innerlich einen Vogel und fahre zurück zum Haus. Dann fallen mir erst die Ohren ab, dann die Arme und am Ende endlich auch mal ein paar Krümel Holz. Ich werfe mir zwischendurch nur kurz ein Sandwich ein und sterbe danach direkt wieder auf der hohen Leiter, die nur schwach am 3,30 Meter hohen Dachfirst lehnt, während ich mich mit dem Verlängerungskabel erdrossele. Nach sechs Stunden bin ich fertig. Mit allem. Ich fahre um 16 Uhr zurück zum Maschinen-Großhandel und donnere dem Typen das Gerät auf den Tisch. „Ist fertig. Ganz“, sage ich. Er starrt die Schleifmaschine an. Ich lege den großen Haufen abgeschliffenen Papiers daneben. Er glaubt mir. Danach fahre ich 90 Kilometer nach Köln auf einen Abendtermin, wo ich einen Job als Fotografin habe. Wie sagt man doch immer: erst das Vergnügen, dann die Arbeit.
Holzschutz-Lasur. Ich lasse den dicken Eimer auf die Wiese fallen. Dunkelbraun. Ich möchte die ganze Hütte dunkelbraun streichen. Vor allem das Hundehaufen-Ocker am Anbau geht mit gewaltig auf den Zeiger. Wahrscheinlich waren die Vorbesitzer blind. Oder geschmacklos. Als ich die Dose der Pandora öffne, dringt todbringender Ätz-Gestank heraus. Ich kriege eine kurze Lungen-Insuffizienz und fange dann an, mutig zu streichen.
„Das ist eine Arbeit für jemanden, der Vater und Mutter totgeschlagen hat!“, ruft mein Nachbar motivierend.
„Ja!“, sage ich fröhlich, während ein Bein der Leiter geradewegs in den Kies abrutscht, während ich mir das Giftzeugs ins Gesicht sprenkele. „Ich flippe enorm aus vor Freude!“
Irgendwie merke ich aber, dass ich tatsächlich enorm ausflippe vor Freude. Nachdem die Schleif-Aktion nur zur Folge hatte, dass mein Haus noch mehr aussah wie ein Scheiterhaufen, kommt nun endlich sichtbare Besserung ins Spiel. Außerdem liebe ich Heimwerkern und alles, was ich an meinem Tiny Home verbessern und gestalten kann.
Es ist mein kleines, großes Herzensprojekt.
Nach nur acht Stunden bin ich fertig und habe das komplette Haus samt Dachfirst einmal lasiert. Mein Arm fällt ab, mein Nacken rollt sich auf und ich habe mal wieder noch dreieinhalb Fingernägel. Aber es gibt nur ein Gefühl, das alles beschreibt: großartig!
„Das ist eine echt schöne Farbe für unser Haus!“, diagnostiziert mein Freund auf den Fotos. „In den USA heißt sie Sommerhimmel-Blau.“
Ich blicke auf den Farbtopf. „Hier steht Taubenblau“, sage ich trocken. Deutschland.
Doch der Ton, mit dem ich sämtliche Fensterrahmen- und läden sowie die Tür und die alte Bank streichen möchte, hat mich tatsächlich gereizt, weil sie aussieht wie der Himmel. Ich möchte ein waldiges Holzhaus mit Blick in die Wolken zum Träumen.
Aber dann ist kurzzeitig ausgeträumt, denn ich stelle fest, dass ich ja alle Rahmen erstmal abkleben muss. Nach zwei Minuten ist die Rolle aufgebraucht. Ich werfe das leere Pappdingens quer durch den Garten, fluche und fahre in den Baumarkt. Der ganze Mist dauert fast so lange wie das Abschleifen der gesamten Fassade. Ich denke wieder an die Menschen, die Vater und Mutter totgeschlagen haben. Wann kommen die endlich, um mich abzulösen?
Als ich fertig bin, fällt mir ein, dass ich erstmal weißen Isoliergrund auftragen muss, bevor es wirklich bunt wird. Ich breche. Nachdem ich jeden Rahmen damit angepinselt habe und die Dose am Abend missmutig in den Vorraum scheuere, fällt mein Blick auf das Etikett. Der Isoliergrund isoliert nur richtig, wenn man ihn zwei Mal aufträgt. Ich bin kurz darauf, den Isoliergrund einfach wegzuschmeißen und die Fenster zuzumauern. Dann löffel ich Eis aus der Packung auf dem Boden vor der Gefriertruhe.
Nachdem ich weitere zwanzig Jahre meines Lebens auf der Leiter mit dem Bepinseln von widerspenstigen Fensterläden und dem Bekleckern der bereits braunen Fassade zugebracht habe, ist endlich alles erledigt. Ich trete zurück und schaue das Ergebnis an. Eigentlich wollte ich ja das gesamte Haus Schokobraun streichen. Aber nun gefällt mir der Anbau mit der halb-transparenten Lasur auch so schon ganz gut. Planänderung. Ich lasiere nur noch mal klar drüber und lasse die Hütte ansonsten so. Ein bisschen schroff, ein bisschen wild, ein bisschen ehrlich.
Als ich nachts um vier sinnloserweise aufwache, habe ich die spontane Idee, Bäume an die Fassade zu malen. Nee, jetzt nicht sofort im Dunkeln! Aber dafür schnappe ich mir am kommenden Tag meine Kopfhörer, lasse meine Yellowstone-Playlist durchlaufen und werfe frei Hand Tannen an die Fassade. Ich spüre die Verbindung von mir zum Haus. Dass ich hierher gehöre. Dass ich mich das erste Mal in Deutschland irgendwo richtig zu Hause fühle. Etwas mit meinen eigenen Händen geschaffen habe. Alles. Das alles hier. Nichts ist nur geliehen, gemietet, geduldet. Nichts ist erschlichen und niemand hat mir geholfen. Nicht weil es niemanden gegeben hätte, sondern weil ich es so gewollt habe. Es ist, als hätte ich einen Baum ausgerissen und würde ihn nun vor mir hertragen.
Ich weiß, es sind noch zwei Wochen bis ich in meine andere Heimat fliege. Wo die Häuser wirklich so aussehen wie mein Tiny Home. Wyoming, USA. Ich schmeiße mich glücklich ins nasse Gras und freue mich, dass das Leben so einen Knall hat.
Lonelyroadlover (Sonntag, 14 April 2019 18:34)
Huhu Peter!
Dankeschön für den Blumenteppich! :) Ich stehe im Moment noch selbst davor und denke BOAH - das ist ganz schön schön geworden. Ich habe ja immer meine Pläne - aber man sieht erst am Ende, was bei rauskommt. Und ich bin sooo happy!!
Ach, ich denke nicht, dass es darauf ankommt, WANN man seinen Lebensweg findet. Hauptsache man findet ihn überhaupt und GEHT ihn. Denn die meisten Menschen STEHEN nur. Ihr ganzes Leben lang. Und das ist das Schlimmste überhaupt. Sie lassen das Leben vorbeiziehen, statt selbst loszuziehen.
Und Wyoming in 2 Wochen - aaaaaaaaaaarrrh!! :)
Liebe Grüße!
Sarah
Don Pedro (Sonntag, 14 April 2019 18:27)
Perfekt Sarah,
Du hast es wirklich drauf, aus einem schrottigen Häuschen eine schmucke Bude zu zaubern; Respekt. Du kannst sehr stolz auf Dich sein.
Wenn das bei Dir so weitergeht, werde ich über Deinen Lebensweg ganz neidisch.
In Deinem Alter habe ich noch nicht genau gewusst, was ich wirklich will und wie es weitergeht.
Beste Grüße, auch nach Wyoming.
Don Pedro