Vor dem Fenster stehen Zypressen wie Zinnsoldaten. Streng scheinen sie zu beobachten, was ich mit der Weinkarte vorhabe. Erstmal versuche ich, sie richtig herum zu halten und nicht wie ein totaler Volldepp zu wirken.
Wir haben oben am Schloss Brolio einen Gutschein für eine Weinprobe bekommen, den wir im Tal in einem noblen Schuppen mit holzvertäfelten Wänden einlösen können. Das Gute: Wir mögen Wein. Das Problem: Wir haben keine Ahnung davon. Deshalb blamieren wir uns direkt bei der Bestellung heftig, indem wir irgendwelche Sorten und Aromen durcheinanderwerfen. Weil die Damen hinter der Theke noch zinnsoldatiger gucken als die Bäume, schütten wir die edle Plörre hastig runter und kommen dementsprechend angeheitert an unserem Wagen an.
Aber keine Sorge: Auch ohne alkoholische Einbildungen ist die Toskana wunderschön – und gehört damit neben einem Vulkan, einem abenteuerlichen Flusswanderweg, einer malerischen Küste und einer schmucklastigen Insel zu meinen fünf liebsten Naturerlebnissen in Italien!
Übelster Geheimtipp – nicht. Jeder kennt die Toskana. Irgendwie. Sind da nicht diese Hügel und Baumreihen und Steinhäuser? Andererseits ist das Ziel schwer greifbar, denn die Toskana umfasst mal eben knapp 23.000 km². Sie ist nicht der eine Punkt, zu dem man hinfährt, seine 250 Fotos schießt und wieder wegfährt. Deshalb lohnt es sich, für ein paar Tage ein Auto zu mieten und einfach mal kreuz und quer durch die Landschaft zu fahren. Denn die Postkarten lügen nicht: Über die grünen und goldenen Hügel verteilt liegen immer wieder kleine Anwesen aus braunem Stein mit leuchtenden Ziegeldächern. Manchmal führen dunkelgrüne Zypressen-Alleen an den Auffahrten hinauf, manchmal sind sie umgeben von Weinbergen. Die Straßen sind in einem verhältnismäßig guten Zustand und nicht zu eng. Oft ist es möglich, 70 oder 90 km/h zu fahren. Dem Italiener ist das zu stressig – er rundet gemütlich auf und kommt dabei auf etwa 120 km/h. Behaltet also die Nerven und lasst sie einfach überholen. Winken und lächeln. Richtige Parkbuchten gibt es unterwegs selten, aber meist sind die Ränder der Straßen nicht mit Leitplanken begrenzt und ihr könnt immer mal wieder kurz an die Seite fahren, anhalten und die Aussicht genießen.
Eine Sache klappt übrigens in der Toskana besonders gut: Geld aus dem Fenster werfen. Hier ein Wein, dort eine Übernachtung in einem abgelegenen Ferienhaus und dann noch der Sprit, der unschlagbare 30 bis 40 Cent teurer ist als in Deutschland [September 2018]. Doch wenn ihr euch nicht strikt an einen Ort bindet und die Suche nach Unterkünften auf mehrere größere Städte ausweitet, wie Livorno, Siena, Arezzo oder Grosseto, findet ihr immer etwas Bezahlbares. Außerdem ist es möglich, die Toskana zu durchqueren, ohne ein einziges Mal Maut zu zahlen. Abseits einiger kostenpflichtiger Autobahnen wie der A12 zwischen Grosseto und Livorno oder der A1 zwischen Florenz und Arezzo führen alternativ viele gebührenfreie Landstraßen. Der zusätzliche Vorteil: Ihr seht mehr von der Landschaft. Der Haken: Es dauert länger.
Mit dem Routenplaner des ADAC könnt ihr deshalb ganz einfach berechnen, wie viel Maut auf eurer persönlichen Strecke anfällt (meist werden es auf den Teilstücken innerhalb der Toskana um die 5 Euro sein) und entscheiden, ob ihr im Urlaub oder auf der Flucht seid.
Zum Schluss möchte ich euch neben dem allgemeinen Charme der Toskana noch drei Orte ans Herz legen, die mich besonders beeindruckt haben. Zum einen ist das die Stadt Siena. Ihre Architektur ist einfach gewaltig und der riesige Marktplatz in Form eines Amphitheaters scheint einen zu verschlucken. Hier könnt ihr mindestens einen ganzen Tag verbringen. Mit Staunen. Dann ist da noch das anfangs erwähnte Schloss Brolio, das sich zwar in Privatbesitz befindet und nicht von Innen zu besichtigen ist – doch die Aussicht von der Anlage aus ist neben der rötlich-grauen Fassade unglaublich schön. Und zuletzt solltet ihr nicht die heißen Quellen von Bagni San Filippo verpassen. Wie weiße Walrosse türmen sich die Kalksinterablagerungen mitten im Wald auf. Von dort fließt in Kaskaden ein weißer Fluss ins Tal, was wie ein Strom aus 5000 Litern warmer Milch aussieht. Ich habe jedoch den Honig und die gebratenen Tauben in der Luft vermisst.
Ach ja: Wem schnell langweilig wird, der sollte für die Toskana maximal zwei bis drei Tage einplanen, denn irgendwann wiederholt sich selbst der schönste Olivenhain. Wer abschalten und entspannen möchte, ist mit fünf bis sieben Tagen besser aufgehoben.
Einmal auf einem Vulkankrater tanzen! Wie geil ist das denn? Erstmal überhaupt nicht, denn wir sitzen in einem vollgestopften Bus und haben einen mysteriösen roten Punkt auf der Jacke kleben, bei dem uns keiner sagt, was er bedeuten soll. Ich bin kurz darauf, mir das Ding an die Stirn zu heften. Einfach um den böse guckenden Busfahrer aufzuheitern.
Ihr könnt sowohl mit dem Auto zu einem Wanderparkplatz unterhalb des Gipfels fahren (5 Euro Parkgebühr [Sept. 2018]), als auch mit einem Shuttlebus (10 Euro [Sept. 2018]) direkt vom Bahnhof Ercolano Scavi aus bis zur Endhaltestelle auf dem Berg. So wie wir. Zum Bahnhof kommt ihr übrigens mit der Regionalbahn Circumvesuviana, die unter anderem in Neapel hält. Vom Wanderparkplatz und auch von der Bushaltestelle aus müsst ihr dann noch etwa eine halbe Stunde lang einen staubigen Pfad hinauf zum Kraterrand warten. Vor dem Pfad findet ihr ein Kassenhäuschen, an dem ihr die Eintrittskarten für den Krater bekommt (nochmal 10 Euro [Sept. 2018]). Wer den Shuttlebus nimmt, kann direkt am Bus die Tickets mitkaufen.
Nachdem der Busfahrer einen Haufen schrecklicher italienischer Schnulzen bis zum Anschlag aufgedreht hat, gewinnen wir rumpelnd an Höhe. Oben marschieren wir direkt los. Naja. Dani rennt und ich krieche. Ich tue so, als würde ich Fotos machen, damit keiner merkt, dass ich eine Sauerstoffmaske brauche. Dabei ist der Vesuv nur 1.281 Meter hoch. Nach etwa einer halben Stunde sind wir da. Man hat einen fantastischen Ausblick über Herculaneum, Neapel und das Meer. Am Horizont sind im blauen Nebel des Morgens sogar einige Inseln erkennbar. Danach stürzt mein Blick hinab in den Krater. Der irgendwie ziemlich voll mit Steinen ist. Als würde man in eine Schutthalde blicken. „Und da drinnen ist wirklich mal alles explodiert?“, frage ich etwas zögernd. Klar, die Ausmaße des Kraters sind enorm und man kann ihn fast zur Hälfte umrunden. Aber dennoch bleibt die historische Katastrophe – die unter anderem die Verwüstung von Pompeji und Herculaneum verursacht hat – nicht greifbar.
Falls ihr vorhabt, Postkarten vom Vesuv zu kaufen, dann tut das unbedingt auf dem Krater. Unten in der Stadt, direkt am Fuße des Vesuvs, gibt es so etwas Verrücktes nämlich nicht. Touristische Halbwüste.
Ach ja. Wir haben nie herausgefunden, was der bekloppte rote Punkt sollte.
Wem der Vesuv zu konventionell ist, der kann sich auch mal todesmutig ins Eiswasser schmeißen und sich die Füße an scharfen Felsen aufschlitzen. Immer nur normale Wege zu latschen war uns nämlich zu langweilig – deshalb haben wir uns entschieden, eine Flusswanderung machen. Da latscht man nämlich durch einen Fluss. Echt jetzt.
Die Stretti di Giaredo („Schlucht von Giaredo“) ist eher ein Geheimtipp als ein bekanntes Großereignis. Ausgangspunkt ist das wunderschöne Pontremoli, wo ihr am Bahnhof ein Taxi zum Anfang des Trails bestellen könnt – oder vorab schon einmal fünf Kilometer lang an einer Straße entlang wandert, damit ihr bereits tot seid, bevor es losgeht.
Vom Beginn des Wanderweges aus lauft und klettert ihr dann erst einmal etwa eine halbe Stunde lang durch den Fluss bis ihr den Eingang der Schlucht erreicht. Ja, das ist alles kein Spaziergang!
Die halbe Stunde bezieht sich übrigens auf einen Marsch mit Outdoor Sandalen oder wasserfesten Trekkingschuhen. Wir hatten natürlich nix dabei und sind barfuß gelaufen. Das hat dann mal eben eine ganze Stunde gekostet und für ordentliche Hornhautbildung gesorgt. Dennoch war es ein unheimlicher Spaß!
Jetzt kommt aber der wichtige Punkt: Ab dem Moment, wo die Schlucht beginnt, wird das Wasser so tief, dass ihr nur noch schwimmen könnt. Und das solltet ihr auf gar keinen Fall ohne Neoprenanzug tun. Denn das Wasser ist einfach nur kalt wie der Arsch eines Pinguins. Und wenn euch das alles allein zu heikel ist, werden rund um das Gebiet verschiedene Touren mit Guides angeboten. Wir hatten leider keine passende Kleidung dabei und mussten uns deshalb mit einem aufregenden Blick in den Eingang der Schlucht zufriedengeben. Immerhin haben wir uns bis weit über die Knie ins Verderben gewagt. Danach habe ich zwar vor Kälte so gezittert, dass ich meinen halben Wrap im Fluss verteilt habe, aber bestimmt hat sich irgendein weißer Hai darüber gefreut.
Auf dem Rückweg hatte ich dann nicht nur vermehrte Hornhautbildung, sondern auch urplötzliche Arthrose. Meine Knöchel fühlten sich an, als wäre ein Panzer darüber gefahren. Außerdem bin ich mindestens 27 Mal mit meinem mittleren Zeh in einen Spalt zwischen zwei mittelgroßen Steinen geraten, was zu mittelmäßigen Schmerzen und enormen Flüchen geführt hat. Aber das war es wert!
„Ihr steckt fest!“, brüllt der freundliche, junge Italiener durch das Autofenster. Ich bekomme eine Herzattacke und Dani wird bleich wie der Himmel gleich hinter der Sonne. Irgendwie haben wir es geschafft, mit dem Mietwagen auf dem Boden einer fast vertikalen Einfahrt aufzusetzen. Weil diese verschissenen Straßen hier so eng sind, dass man immer irgendwem ausweichen muss. Ein älterer Italiener brüllt irgendetwas Italienisches auf der anderen Seite unseres Autos. Dann brüllen beide Italiener etwas, dass nach fanatischem Fußballkommentator klingt. Ich sehe in meinem Geiste schon den aufgeschlitzten Tank auslaufen und mich mit einer italienischen Versicherung herumstreiten.
Schließlich beschließen die beiden, sich nicht umzubringen, sondern uns anzuschieben und wir kommen frei. So viel zu unserem Eintreffen an der Amalfiküste.
Ob ihr euch wirklich mit einem Leihwagen hierher trauen solltet, müsst ihr selbst entscheiden. Ich würde euch abraten, da nicht nur die Straßen, sondern auch die Dörfer winzig sind und es kaum Parkplätze gibt. Wenn ihr euch aber nicht nur den Unterboden, sondern auch die Nerven aufreiben wollt – dann nur zu!
Wir entschließen uns am Ende, das Auto in eine dunkle Ecke am Rande unserer Ferienwohnung verschwinden zu lassen und stattdessen mit der günstigen Fähre an der Küste entlang zu schippern.
Vom Meer aus hat man einen fantastischen Blick auf die Steilküste, die bunten Städte, Häfen und Villen in den Felsen. Wir donnern auf dem Kahn bis Amalfi und sind begeistert von der wundervollen Stadt. Ein bisschen haben die Gassen mit den farbenfrohen Fassaden was von Cinque Terre. Nachdem wir einige schneeweiße Treppenstufen erklommen haben, breitet sich eine fabelhafte Aussicht auf die Stadt und das Meer vor uns aus. Wir warten eine gefühlte geschlagene Stunde, bis wir ein gemeinsames Bild von uns schießen können, weil unsere Köpfe vom Aufstieg aussehen, als hätten wir uns mit Tomaten beworfen.
An der Amalfiküste gibt es neben den Orten auch viele Strände. Aber Achtung – wer an feine Sandstrände denkt, hat verschissen. Denn die kleinen Buchten zwischen den Felswänden haben nur Steine und Brösel zu bieten.
Falls ihr jetzt glaubt, ihr müsstet in ein schweineteures Hotel einchecken, kann ich euch die wirklich coole Unterkunft Ruderi empfehlen. Die absolut bezahlbare Ferienwohnung (ab 65 Euro pro Nacht – nicht pro Person!) ist ein umgebautes Trafohäuschen, das ein bisschen an ein Tiny House erinnert. Eine Treppe führt vom unteren Stock in das gemütliche Schlafzimmer unter dem Dach. Und den Ausblick von der Terrasse beim Frühstück sollte irgendein 5-Sterne-Schuppen erstmal toppen.
Klar – jetzt kommt noch das Sylt Italiens! Um dem morbiden Charme Neapels zu entfliehen, beschließen wir, unseren letzten Tag auf Capri zu verbringen. Von Neapel aus kostet die Hin- und Rückfahrt mit einer reinen Personenfähre (es gibt auch Autofähren) insgesamt etwa 50 Euro. Wir sitzen zwischen 300 Senioren mit Golduhren und geblümten Kleidern in der Kabine und senken den Altersschnitt damit von 105 auf 63. Die See ist etwas rau und ich muss an meinen Ausflug nach Helgoland denken, an dem ich mehrmals die Waschräume aufgesucht habe, um zu prüfen, was genau ich zum Frühstück hatte.
Zum Glück kommen wir ohne größere Inside-Out-Unfälle an. Es ist unheimlich voll und wir nehmen einen kleinen Bus, der uns nach oben in die kleine Fußgängerzone von Capri bringt. Es gibt auf Capri übrigens zwei Dörfer. Capri und Anacapri. Ich lese erstmal „Anticapri“ und bin verwirrt. Wohnt da der Mob der Hautevolee und spielt heimlich Tennis statt Golf? Natürlich nicht.
Die Innenstadt ist mit teuren Läden dekoriert und mir fällt fast die Kreditkarte in die Kanalisation, als ich eine Armbanduhr für 30.000 Euro sehe. Wir beschließen, dass wir auch ohne diese Investition wissen, wie spät es ist und laufen zu Fuß durch sehr viel ruhigere und malerische Gassen bis zu den niedlichen Giardini di Augusto (Gärten des Augustus). Der kleine Park kostet nur einen Euro Eintritt (die wären weggeflogen, wenn ich da mit der Uhr einmarschiert wäre) und ist nicht sonderlich spektakulär. Allerdings hat man von hier eine fantastische Aussicht auf die komplett verrückte Serpentinenstraße Via Krupp und die Faraglioni – mehrere Felsen im Meer.
Wir wandern noch bis zu den Felsen und genießen das tiefblaue Meer und die kleinen Segelboote, die wie Papierschiffchen darauf schaukeln. Capri ist definitiv ein Ort, an dem man sich verlieren und vergessen kann. Sorgenfrei. Alles ist wie eine einzige Postkarte und auch ein bisschen unwirklich und gestellt. Aber das ist egal, denn zugleich sind die riesigen pink blühenden Hecken, schneeweißen Terrassen teurer Restaurants und endlosen Felsklippen einfach etwas, das sich gar nicht schlecht anfühlen kann.
Wenn ihr euch mehr für Städte als für Natur in Italien interessiert, dann schaut doch mal bei meinem humorvollen Vergleich zwischen Florenz und Neapel rein. Und wenn ihr noch andere Landschaftstipps habt, dann labert mir einfach eine Apfelsine ans Ohr.