„PUFFINS!“, rufe ich aufgekratzt und schüttel meinen Freund mit beiden Händen, als hätte ich
gerade einen Award gewonnen. Wahrscheinlich den Award für die Passagierin mit dem größten Vogel. Aber genau darum geht’s heute. Um den Vogel. Den Vogel, den ich schon so lange in freier Wildbahn
sehen will: einen Puffin, einen Papageitaucher. Diese puffeligen schwarz-weißen Vögel mit dem großen, orangenen Schnabel, die aussehen, wie flauschige, fliegende
Pinguine!
Wir sind auf der Fähre nach Røst, rund drei Stunden Seeweg von den Hauptinseln der norwegischen Lofoten entfernt. Røst ist eine winzige Landmasse weit draußen auf dem Atlantik, wo es keinerlei Verbindung zur Außenwelt gibt, außer dieser einen Fähre und einem Mini-Flughafen für Kleinflugzeuge. Dort in der Nähe gibt es Puffins.
Wenn ich Puffin wäre, würde ich auch dort leben. Weit weg von dem ganzen Gedöne und Krach der Menschen.
Nervös schaue ich zum dreihundertsten Mal, ob ich auch alle Ersatzakkus für die Kamera dabeihabe. Was, wenn Möwen kommen und sie mir klauen?
Gegen 13 Uhr sind wir schließlich da. Røst. Ein paar rote, norwegische Holzhäuser, ein kleiner Hafen. Dort erwarten uns ein kleines Nussschalenboot und ein Guide. Jetzt geht es vier Stunden lang zu winzigen Felsen, Klippen und Buchten. Ausschau halten. Warten. Hoffen.
Die Sonne steht hoch am Himmel, es ist überraschend heiß. Ich blinzel aufs Wasser. War da nicht was?
Unser Guide schaut ganz woanders hin und erzählt Seemannsgarn. Offenbar ist er nicht so schrecklich aufgeregt wie ich. Aber er sieht ja auch jeden Tag Puffins.
Bei manchen Jobs weiß man nicht, ob sie obercool sind oder irgendwann oberlangweilig werden.
Aber wie kann Tierbeobachtung jemals langweilig
werden!
Auf einem Felsen stehen mehrere schwarze Zahnstocher. Als wir näherkommen, sehen sie plötzlich aus wie Kormorane. Sie lassen sich durch unser Boot nicht stören, sondern genießen die Wärme und den Wind auf ihrer steinernen Strandliege. Gleich daneben geiert ein Graureiher auf Fisch. It’s all about fish. Niemand fliegt oder schwimmt hier aus Spaß rum.
Fisch, oder besser gesagt kein Fisch – dank der Überfischung durch den Menschen – hat dafür gesorgt, dass Tierarten wie der Papageitaucher von der Anzahl her stark abgenommen haben. Viele Küken verhungern. Ende der 1970er Jahre gab es rund um Røst die größte Puffin-Kolonie der Welt mit knapp 1,5 Millionen Brutpaaren. 2015 waren es nur noch 289.000 Paare. Auch die Klimaerhitzung spielt eine Rolle. Die Temperatur vom Wasser wird wärmer, wodurch sich Strömungen verändern und weniger Fische zu den Puffins schwimmen. Die müssen für ihr Futter dann länger fliegen und suchen und sind erschöpft.
Das sind Insights und Geschichten, die mich auf solchen Touren mindestens genauso interessieren wie schöne Fotos. Sie machen traurig, aber motivieren auch, etwas zu tun, um Dinge zu ändern. Vielleicht kann man nicht gleich die ganze Welt retten, aber mit einem kleinen Vogel durch die Unterstützung von Tierschutzprojekten oder Studien anfangen.
Schließlich erspähen wir in einer Bucht ganz viele, dunkle Flecken, die auf dem Wasser in den Wellen hüpfen. Puffins! Ich flipp aus. Wenn man etwas schon ganz lange sehen wollte und dann ist es auf einmal da – das ist wie Weihnachten! Schwarz-weiß, puffelig und mit großen, roten Schnäbeln dümpeln sie im blau-grünen Wasser. So niedlich und wunderschön! Wirklich nah kann und sollte man allerdings nicht heran, weil das die Vögel stresst. Sie sind scheu und fliegen schnell auf. Dabei flattern sie wirr mit ihren Flügeln wie ein Schmetterling – bis zu 400 Mal pro Minute. Praktisch sind die Flügel aber vor allem unter Wasser, wenn sie zu Tauchflossen werden. Puffins können damit 60 Meter tief tauchen. Außerdem verbringen sie den Winter komplett auf dem Wasser, wo sie auch schlafen. Sie leben bis zu 30 Jahre.
Puffins sind sehr intelligent. Forscher haben entdeckt, dass die Vögel Stöcke benutzen, um sich selbst zu kratzen.
Ich schaue auf das Meer unter uns. Im Januar wahrscheinlich nicht wärmer als 4 Grad. Darauf den ganzen Winter mit dem Hintern rumzuschippern, klingt nicht verlockend. Andererseits habe ich auch keinen flauschigen Federhintern.
Neben Papageientauchern sehen wir auch noch Lummen und Tordalks, die noch mehr wie kleine Pinguine aussehen. An einer Klippe brüten Möwen. Ich hab’s nicht so mit Möwen, nachdem mir mehrfach Essen (Eis, Pommes, Waffeln, Brötchen,…) geklaut wurden. Selbst die kleine Babymöwe, die oben aus dem Felsloch späht, sieht aggro aus. „Ich hab mein Sandwich schon aufgegessen“, sage ich laut.
Wir machen noch einen kurzen Stopp auf Skomvær, einer winzigen Insel am äußersten Ende des Archipels. Dort steht ein Leuchtturm und sogar zwei Menschen leben hier im Sommer mit Schafen und Gemüsebeeten. Wir bekommen eine kurze Führung durch den noch aktiven Leuchtturm. Besonders beeindruckend ist das riesige Schussloch im Glas jener Linse, von der bei Dunkelheit das Licht in die Ferne ausstrahlt. Im Zweiten Weltkrieg haben Nazis versucht, den Leuchtturm zu beschießen, um den Kerosintank zu treffen und damit den Turm zum Explodieren zu bringen (was stimmt nicht mit uns Menschen?). Zum Glück hat die Patrone nicht ganz getroffen. Das Glas ist allerdings bis heute kaputt, weil (im Krieg?) auch das Wissen darüber verloren gegangen ist, wie man dieses spezielle Glas herstellt und bearbeitet.
Unsere Tour mit Day@Sea war so viel mehr als die Erfüllung meines Wunschs, Puffins zu sehen. Es gibt so viele wundersame und erschreckende Dinge in unserer Welt – und jeder Ausflug hinaus in diese Welt macht ein kleines bisschen weiser.
Mehr Abenteuer von uns aus dem wilden Norden findet ihr hier:
SquirrelSarah (Samstag, 09 September 2023 13:40)
Hi Simone,
schön, dass du hier warst und mitgelesen hast. :) Es war ein ganz tolles Erlebnis mit den kleinen Puffins.
Liebe Grüße
Sarah
Simone Barenyi (Freitag, 08 September 2023 21:24)
Einfach nur wundervoll❤️