Ich stehe an einem schroffen Berghang. „Und wenn ich gleich anzähle, rennst du los und hörst nicht auf zu rennen, bis wir in der Luft sind!“, beschwört mich mein Flugkapitän. Rennen? Auf dieser fast senkrechten Piste? Wenn ich nur einen Schritt mache, kippe ich vorne über und dann war’s das. Panne ey.
Was mache ich hier eigentlich schon wieder? Mit einem Fallschirm von einem Berg springen, obwohl ich nach fast hundert Flugzeugflügen immer noch mit fahlen Händen nach den Armlehnen neben meinem Sitz greife, wenn ein winziges Luftloch kommt.
Aber auf meiner Bucket List stand „Paragliding“. Weil ist bestimmt geil. Vor allem in den Alpen. Wir sind in den Alpen. Drei Wochen Wandern und Abenteuer in Bayern. Habe ich meinem Freund versprochen, der unbedingt noch mehr von Germany sehen will. Und so sehr ich auch einen Anfall von Schummtata-Musik und Oktoberfest-Gedödel bekomme, so grandios sind einfach die Berge in diesem manchmal etwas seltsamen Bundesland. Und da springen wir jetzt runter. Jetzt. Mein Tandemsprung-Guide hat bis drei gezählt und ich liege auf der Nase. Hab ich ihm doch gesagt.
Nachdem er mich irgendwie wieder aufgelesen hat und uns der Gleitschirm mit einem riesigen Ruck in den Himmel gerissen hat (und er trotzdem noch die Lenkfäden in der Hand behalten hat!), schweben wir einfach über die steile Bergkante hinaus. In den Himmel. „Woooooah!“, rufe ich. Es ist total surreal und meine Beine baumeln im Nichts.
Den ganzen Tag lang bin ich nicht nervös gewesen. Die Freude, etwas richtig Fettes zu machen, war größer als die Angst. Doch dann muss natürlich zwei Minuten vor unserem Start der Wind abflauen. Während mein Freund mit seinem Guide schon 30.000 Kilometer hoch über dem Äquator hin- und herkreuzt – die beiden sind vor uns bei besten Bedingungen gestartet – stehen wir noch am Abhang. Die Windhose so enthusiastisch wie Olaf Scholz während einer Brandrede. Kein Luftzug. Fast 20 Minuten müssen wir warten. 20 Minuten, um doch noch nervös zu werden.
„Bist du nervös?“, fragt mich mein Guide Franz. Ja, scheiße, Mann, wir springen von einem verdammten 2.000 Meter hohen Berg ins Nichts!
„Geht so“, formuliert mein innerer Trafo meine anfliegende Panik in mutige Worte um.
Dann bewegt sich die Windhose endlich. Franz zählt an, ich verpasse den richtigen Moment, er rennt in mich rein und irgendwie sind wir trotz allem plötzlich in der Luft.
Der Wind weht warm um meine Pelikan-Nase. Unten sind über 30 Grad. Hier oben ist es angenehm. Aber kann sicherlich auch eisig kalt werden, wenn es unten nur 10 Grad sind. Franz erklärt mir die verschiedenen Gipfel und Namen.
„Willst du dich nicht mal entspannt hinsetzen?“, fragt er dann, während wir die Thermik nutzen, um uns in Kreisen weiter nach oben zu blicken. Hinsetzen? Ich die fucking Luft? Ich versuche, mich auf dem wirklich sehr bequemen Sitz niederzulassen, der an den dünnen Fäden hängt. Krass, der kack Fallschirm reißt echt nicht ab! Wer hätte das gedacht!
Je länger wir fliegen, desto höher kommen wir. Desto grandioser wird die Aussicht und desto sicherer fühle ich mich. Ein wahnsinnig schönes Gefühl!
In einem Flugzeug habe ich immer den Gedanken, dass ich in einer unkontrollierbaren Blechbüchse feststecke. Alles dröhnt und vibriert. 10.000 Meter über dem Meer. Das sind zehn Kilometer, ey! Der Kapitän heißt Arnold Meierkurt sitzt seinem Höllencockpit hinter einer luftdichten Tür und ist wahrscheinlich übermüdet und betrunken während er in suizidalen Gedanken schwelgt. Irgendwo draußen röhren Turbinen, in die brennende Enten fliegen und dafür sorgen, dass gleich 12.000 Liter Kerosin Düsseldorf in einen Feuerball verwandeln.
Mein Tandem-Guide dagegen sitzt direkt hinter mir. Er redet mit mir, er hält buchstäblich die Fäden in der Hand. Er ist definitiv nüchtern, hat elf Jahre Erfahrung und wenn ich nach oben schaue, sehe ich ganz klar den Gleitschirm und verstehe sogar als Physik-Honk, wie der Wind in ihn reinpackt und ihn trägt. Ganz kurz denke ich natürlich, dass gleich auf einmal alle Winde der Welt auf einen Schlag aufhören und wir nach unten fallen. Auf die kleinen braunen Punkte, die mutmaßlich Kühe sind. Das wäre dann „Kühe umschubsen“ in der Action-Variante.
„Hier oben sind immer Winde“, sagt Franz. „Immer. Selbst wenn unten oder auf dem Berg Windstille ist.“ Ich versuche, eine Doku vom Mars aus meinem Kopf zu verscheuchen, in der erklärt wurde, wie seine Atmosphäre in den Weltraum davongeblasen wurde. Warum denke ich nicht stattdessen einfach ans Krümelmonster oder an Schokolade!
Wir sind über 2.000 Meter hoch. Mein Freund und sein Guide sogar 2.800 Meter, erzählen sie später. Ich sehe den Königssee wie einen blauen Fjord im Tal, Berchtesgaden, die Spitze des Jenners, von der wir runtergesprungen sind. Steilwände sind direkt neben uns. Gräser auf grauen, rauen Felsen. Wow! Fast 40 Minuten fliegen wir. Einfach nur runterspringen kann ja jeder.
Als der Flug zu Ende geht, nähern wir uns einem Acker. Hoffentlich lande ich eleganter als ich gestartet bin. Doch dann ist alles ganz einfach. „Halte die Beine hoch und dann landen wir auf dem Hintern“, erklärt Franz. „Das ist das Körperteil, was am meisten wegstecken kann und am wenigsten bricht.“
Jetzt noch den Arsch brechen, das wär’s.
Die Landung ist so sanft wie der gesamte Flug. Wir gleiten über die Wiese wie auf einer Kinderrutsche und stoppen einfach im hohen Gras. Ein Haufen Gurte bimselt um meine Beine. Das ist alles, was mich in der Luft gehalten hat. Ich grinse.
Leute, das Paragliding in den Alpen war eine der schönsten und sichersten Sachen, die ich je gemacht habe! Selbst als jemand mit Flugangst ist das nicht nur machbar und überlebbar, sondern hat mir ein ganz neues Vertrauen in die Luft gegeben.
Über Probleme mit Höhenangst kann ich allerdings wenig sagen.
Was ich allerdings sagen kann und immer sagen werde: Probiert Dinge, die ihr noch nie probiert habt! Alles, was oft zwischen euch und einer neuen Erfahrung steht, ist die Angst vor dem Unbekannten, vor Veränderung oder vor einer Vorstellung, die ihr euch von etwas gemacht habt. Manchmal kann man sie nicht einfach überspringen, sondern überstolpert sie eher. Aber trotzdem: Weiterlaufen. Und dann Fliegen.
Mehr Abenteuer aus Bayern von meinem Solotrip 2020 findet ihr hier:
SquirrelSarah (Samstag, 16 September 2023 20:54)
Hallo Katja,
wow, vielen lieben Dank für deine wunderbare, offene und vertrauensvolle Nachricht. � Wie schön, dass du uns in der Sendung entdeckt hast und dass du genau das empfunden hast, was wir gehofft hatten, in Menschen auslösen zu können. Dass Zeit das Kostbarste ist, das wir haben. Dass kein Geld der Welt uns hilft, wenn die Gesundheit nicht mitspielt. Dass wir nur ein Leben haben und ganz besondere Menschen nur ein einziges Mal im Leben treffen. Und dass es wichtig ist, sich nicht von den Meinungen anderer oder den eigenen Ängsten, ja sogar Schicksalsschlägen, vom Leben abhalten zu lassen. Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr noch ganz ganz viel Zeit habt und dass die Remission gaaaaanz lange anhält. Ich denke, das Mindset hilft da auch immer. Nicht aufgeben - leben und lieben. Alles Gute!!
Liebe Grüße von uns beiden!
Katja (Samstag, 16 September 2023 17:50)
Liebe Sarah, lieber Rand,
ich habe Euch beide in der letzten Sendung "Wo die Liebe hinfällt" bei VOX gesehen und war von Eurer Geschichte tief berührt und beeindruckt. Ihr seid eine Inspiration für so viele Menschen, die das Leben nicht bewusst auskosten und nicht
die Zeit zu schätzen wissen und all diejenigen, die glauben, dass ihr Job das einzig Wichtige im Leben ist. Ich bin total auf Eurer Seite und danke Euch dafür, dass Ihr Eure Geschichte erzählt habt. Ich selbst habe auch einen 21 Jahre älteren Freund, den ich so sehr liebe. Auch er hatte vor zwei Jahren eine Krebsdiagnose und ich weiß, dass die Krankheit jederzeit wieder kommen kann und jeder Moment so unsagbar kostbar ist. Ich drücke Euch beiden von Herzen die Daumen. Genießt Eure gemeinsame Zeit.
Don Pedro (Sonntag, 21 August 2022 10:52)
Hey Sarah,
klasse, dass ihr so viel unternehmt und sogar in den Alpen paragleitet?
Mittlerweile dürften sich Deine verkackten multiblen Ängste ins letzte Loch verkrochen haben.
Bei unserem letzten Treffen in München hast Du mir schon einen sehr souveränen Eindruck gemacht.
Deine Entwicklung freut mich außerordentlich.
2023 ist für mich meine erste Ballonfahrt im Chiemgau angesagt; das wird spannend.
Weitere aufregende Erlebnisse und eine Menge Spaß wünsche ich Dir.
Grüße, auch an Rand
Don