„Haste Sauerstoffmaske und Schneeschuhe dabei?“, frotzel ich in der sonnig-heißen Stadt Pokhara, die auf entspannten 822 Metern Höhe ziemlich genau im geographischen Mittelpunkt von Nepal liegt. Pokhara ist Ausgangspunkt von verschiedenen Trekkingrouten, die in den Himalaya führen. Nachdem wir erst wild durch Kathmandu spaziert sind und dann mit Nashörnern im Busch übernachtet haben, wollen wir am Ende unseres Nepal-Trips noch in die Berge.
Wie jeder weiß, ist der Himalaya kälter als Frozen Yogurt und achttausend Meter hoch. Da tritt man quasi schon versehentlich beim Aufstehen in die Fußstapfen von Edmund Hillary und Tenzing Norgay – ha!
Weil wir nicht genug Zeit für einen zwei- oder dreiwöchigen Trek zu Everest Basecamps und Annapurna Circuits haben, entscheiden wir uns, eine Light-Variante zu machen. Vier Tage Poon Hill. Ein Trek zu einem der sehenswertesten Aussichtspunkte in Nepal.
Ach, das bisschen Trekking zu diesem Hügel sollte kein Problem sein, wir sind ja gerade erst 300 Kilometer durch England gewandert. Außerdem freue ich mich, nach der Hitze im Tal von Pokhara mal ein bisschen Schnee und Eis zu sehen.
Ganz ehrlich: So unfassbar falsch habe ich selten gelegen. Vielleicht hätte ich mich vorher lieber mit den harten Fakten statt mit Pulverschnee-Illusionen beschäftigen sollen: Der Poon Hill Trek sind 4000 Höhenmeter, 6000 Steinstufen, 40 Kilometer und heißer Dschungel mit Luftfeuchtigkeit to die for. Und dann kam noch Magen-Darm.
Dies ist eine Geschichte darüber, was es bedeutet, unter einem Himmel voller Sterne um 4 Uhr nachts schreien zu wollen. Vor Erschöpfung und vor Glück – im Angesicht der höchsten Berge der Welt.
Fröhlich wie ein Gummibärchen halte ich meine Trekking-Erlaubnis in den Händen. An einem
Checkpoint am Startpunkt im Dorf Birethanti gibt’s einen Stempel und dann geht’s los. Aufregend! Mein Freund und ich sind mit einem Guide unterwegs, den man für diesen Trek zwar nicht
zwangsläufig braucht, der aber einiges zu Kultur, Natur, Geschichte und Landschaft weiß. Es ist extrem heiß und die Sonne feuert aus allen Ofenrohren, als wir eine steinige Straße an einem
Fluss entlanglaufen. Wo ist denn jetzt der Schnee? In Everest-Dokumentationen sind doch immer massenweise Todesstürme, Lawinen und Gletscherspalten. Vor uns brüten grüne Reisterrassen in
flirrender Hitze. Na, kommt bestimmt noch.
Einige Stunden später fühle ich mich wie ein gebratenes Reiskorn und das Gesicht von meinem Freund erinnert mich die Wandfarbe „Garnelenpink“. Gefühlt sind wir vielleicht gerade mal zwei Kilometer gelaufen. Auf der Stelle. Alles klebt und ist staubig. Ich fühle mich wie Moses nach 40 Jahren in der scheiß Wüste.
Dann deutet unser Guide Resham auf ein winziges Haus an einer Steilkante, 30.000 Kilometer entfernt von uns. Ich nicke und schnaufe: „Pittoresk!“ Wahrscheinlich ein Foto-Tipp.
„Da übernachten wir heute“, sagt Resham strahlend.
Ja nee, ist klar. Und wie kommen wir da hin?
„Dreitausend Steinstufen“, ergänzt er. Das ist auch der Moment, in dem ich herausfinde, dass wir an jedem der vier Tage zehn Kilometer und tausend Höhenmeter machen werden. Nicht durch Schnee und Eis, sondern durch Dschungel. Ich würde ja ausrasten, aber mir ist zu heiß.
Stufe um Stufe schleppen wir uns zu dem kleinen Haus im Bergdorf Ulleri hinauf. Unterwegs kommen uns Ziegen und Esel entgegen. Ich möchte auf einer Ziege reiten. Mir auch egal, wohin.
Am späten Nachmittag erreichen wir das die winzige Unterkunft, die von Nahem ein mehrstöckiges,
einfaches Gästehaus ist. Ich entdecke einen Brunnen in Form eines Tierkopfes mit Hörnern und versuche, meine Arme, Beine und meinen Kopf gleichzeitig unter das eiskalte Bergwasser
zu halten. Ich bin der brennende Dornenbusch nach 80 Jahren im Fegefeuer. Als ich aufschaue, sehe ich den weißen Gipfel des Annapurna zwischen den bewaldeten Hügeln. Einer der vierzehn
Achttausender. Mir stockt der Atem – wow!
Am Abend sitzen mein Freund und ich auf zwei Plastikstühlen auf der Beton-Dachterrasse der Unterkunft. Es ist ganz still bis auf ein paar Ziegenglöckchen und den zarten Tönen von einem Instrument, das wie eine nepalesische Geige klingt. Es gibt keine Autos, keinen Krach. Blaues und orangefarbenes Licht zieht in Streifen über den Himmel. Weit unter uns liegen die Reisterrassen, hoch über uns berührt der Annapurna die ersten Sterne der Nacht. Dann geht der Mond auf. Es ist liegt ein vollkommener Friede über diesem Moment, den ich für immer als kleines Stück in mein Herz einschließe.
Ganz und gar unfriedlich ist der nächste Morgen. Mein Magen rumort, mein Darm macht Faxen. Haben wir das Trinkwasser aus den Brunnen gestern nicht korrekt gefiltert? War es das Abendessen? Keine Ahnung, aber ich weiß, dass wieder zehn Kilometer und tausend Höhenmeter anstehen. Dieses Mal „mitten durch den Wald“, fast ohne Toiletten. Und nepalesische Toiletten sind – besonders hier draußen – ohnehin nur ein Loch im Boden ohne Klopapier und Wasser. Der perfekte Moment, um Durchfall zu bekommen. Ich donnere mir ein trockenes Stück Toast mit einer Immodium rein, sage „Geht schon“, und krieche hinter meinem Freund und Resham her durchs Dorf, weiter hinauf. Vorbei an atemberaubenden Ausblicken in unendliche Tiefen, durch Urwald-Dickicht, über Brücken an türkisen Bächen, Gebetsflaggen und knorrigen Bäumen.
Als wir nach acht Stunden tausend Meter höher im Bergdorf Ghorepani ankommen, ist mein Bauch so aufgebläht, dass ich mit der richtigen Brise zum Everest entschweben könnte und ich habe so stechende Schmerzen, dass ich mich alle 200 Meter hinsetzen muss.
Den Rest des Tages verbringe ich im Gästehaus erst auf dem Klo und dann im Bett. Selbst nach einer Nacht auf der Reeperbahn war ich nicht so durch.
Um 3 Uhr nachts geht der Wecker. Der finale Anstieg zum Poon Hill zum Sonnenaufgang ruft. Erstaunlicherweise bin ich relativ fit. „Viele Touristen haben nur einen Tag lang Magen-Darm“, erklärt Resham. Hurray! Es ist eiskalt, als wir mit Taschenlampen losstapfen. Der Himmel ist voller Sterne und direkt vor uns türmt sich eine massive, weiße Bergkette auf. Das sind sie. Schnee, Gletscher, alles. Zum Greifen nah. Euphorisiert manage ich eine weitere Armada an Steinstufen.
Oben wehen hunderte bunte Gebetsfahnen im Wind. Oben auf dem Poon Hill „Hügel“, der einfach mal 3210 Meter hoch ist. Vor uns liegen der Dhaulagiri (8.167 m), der Annapurna I (8.091 m), der Annapurna South (7.219 m), der Nilgiri (7.061 m), der Machapuchare (6.993 Meter) und der Hiunchuli (6.441 Meter). Hier bin ich hochgewandert. In zwei Tagen. Trotz und mit allem. Moses in the Sky with Diamonds! Ich will schreien!
Ich bin so ausgelaugt und fertig, so überwältigt und glücklich. Ich atme die eiskalte Luft tief und brennend ein und schwanke beknackt gegen ein Geländer. Dann geht die Sonne auf. Die Himalaya-Gipfel glühen im Morgenlicht, das die Sterne beiseite schubst, um sich seine ganz eigene Bühne zu schaffen. Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd. Und wie ein getoastetes Reiskorn. Jetzt auch tiefgefroren.
Der Rückweg ist überraschenderweise genauso lang und steil (nach unten) wie der Hinweg. Ich sattel meine Kniebandage auf und bete zum Arthrose-Gott, dass ich nach den 3.000 Stufen von Ulleri nicht gänzlich auseinanderfalle.
Alles geht gut. Keine Knie-Zerstörung, kein Magen-Darm, keine Todeshitze – es ist bewölkt – und nicht mal ein Zeckenbiss. Dafür aber ein kleiner Blick in die Unendlichkeit, der jede Schweißperle hundertfach wert war.
Hier könnt ihr mitkommen zu unseren anderen Nepal- und Berg-Abenteuern:
SquirrelSarah (Sonntag, 24 März 2024 15:39)
Hi Peter,
ja, ich war echt richtig durch am Ende... emotional und auch körperlich. Aber es war es so wert! Ich bin auch so dankbar, dass wir das erleben konnten. :) Ganz liebe Grüße und raus mit dir!
Sarah
Don (Samstag, 23 März 2024 19:46)
Hi Sarah,
was für ein Wahnsinnstripp.
Ich freue mich sehr für Dich, dass Du solche Erfahrungen machen darfst und es auch reißt. �
Weiterhin spannende Reisen sind Dir (ausnahmsweise) �vergönnt. �
Prost �
Don