Das deutsche Ehepaar schaut hilflos auf seinen Vertrag vom Mietwagen. Ich zögere kurz und spreche sie dann an. Die beiden sind erleichtert, als ich einen Blick auf die englischen Papiere werfe. Der Typ von Alamo ist erleichtert, dass jemand das offensichtliche Kommunikationsproblem für ihn löst. Ich bin erleichtert, dass ich kurz nicht daran denken muss, wie ich meinen Wagen aus der Verkehrshölle von Downtown Chicago herausbekomme. Dann breche ich auf. Elf Wochen Road Trip. Mit einem Schlachtschiff in die amerikanische Provinz. Mit getrockneten Bananenchips und zehn Litern Wasser im Kofferraum. Auf dem Weg rostige Tankstellen, Hitze und Menschen mit weit offenen Türen und Herzen.
Ich habe gerade einmal zwei Meter in der Tiefgarage zurückgelegt, als ich die erste Vollbremsung hinlege. Man merke: Ein Automatikwagen hat und braucht kein Kupplungspedal. Erheiterung unter Tage bei Alamo. Kurz vorher habe ich einen riesigen GMC bekommen. „Aber ich hatte einen Kleinwagen gebucht!“, protestiere ich. „Das ist der kleinste Wagen!“ Die Dame von der Autovermietung strahlt.
Ich steige in den Schlitten ein wie Queen Elizabeth und fühle mich, als hätte ich Schuhe in Größe 53 an. Ich lächele zum Schein und sage „awesome“, während mir der Schweiß ausbricht. Hier beginnt auch zum ersten Mal mein Lieblingsdialog, der sich noch 50 Mal wiederholen wird: „You are doing Route 66?“ - „Yeah!“ - „Aaaaall the way down to California!?“ - „Yeah!“ - „... all alone?!“ - „Yeah!“ - „That's awesome/brave/crazy!“
Meine erste Nacht verbringe ich im rund 70 Kilometer entfernten Joliet. Leider gab es hier keine brauchbaren Airbnbs, also ziehe ich in ein Motel 6, dessen allgemeine Kundschaft etwas shady wirkt. Später erfahre ich, dass es ein großes Gefängnis gibt in Joliet. Doch mein Wagen ist auch am nächsten Tag noch da und ich fahre weiter nach Bloomington. Dort treffe ich Kevin und Rob, bei denen ich privat wohne. Ich werde mit Umarmungen, drei Hunden und zwei Katzen empfangen und am nächsten Tag mit einer Tonne geschenkter Donuts verabschiedet. An dieser Stelle noch mal: Ihr wart der Wahnsinn, Jungs!
Weiter geht es nach St. Louis. Fast 300 Kilometer. Für Amerikaner ein Katzensprung – für mich ein sehr anstrengender Tag. Es ist durchgehend sonnig und wird jeden Tag heißer, bis über 30 Grad. Unterwegs mache ich zahlreiche Stopps an alten Tankstellen, bei urigen Läden und Sammlern, Museen und historischen Gebäuden. Naja, was für die Amerikaner halt „historisch“ ist. Wenn hier etwas als alt bezeichnet wird, dann stammt es meist von 1860.
Ich halte immer wieder an. Die Straßen sind extrem breit – sonst würde mein Auto da ja auch nicht durchpassen! – und der Himmel scheint unendlich viel größer als in Europa. Wolken liegen wie auf einer Glasplatte, Hitze flirrt auf dem Asphalt und projiziert Seen auf die Straßen, die sich dann kurz vorher wieder auflösen.
Ich tanke zum ersten Mal. Nur so zur Sicherheit. Kreditkarte in die Zapfsäule, mit einer Taste die Sorte wählen und los geht’s. Die Preise liegen aktuell ungefähr bei zwei Dollar pro Gallone. Eine Gallone sind ungefähr drei Liter. Als ich Abend in St. Louis ankomme, bin ich fertig wie ein Brötchen, durchgeschwitzt und glänze unter fünf Schichten Sonnencreme. Ich bin wieder einmal froh, dass ich keine Unterkünfte suchen muss, sondern für die gesamte Route 66 Airbnbs und Motels vorgebucht habe. Das ist nicht Road Trip-alike? Das ist mir scheißegal. Ich genieße nach diversen Schweißausbrüchen die Dusche und das gemütliche Bett in Jons Wohnung, ohne abends noch lange nach bezahlbaren Motels suchen zu müssen.
Am nächsten Tag sehe ich mir St. Louis genauer an, denn hier habe ich einen gesamten Tag eingeplant. Eine gute Entscheidung. Die Stadt mit dem „Tor zum Westen“, dem Gateway Arch, ist sehr schön und sehenswert! Willkommen in Missouri. 500 Kilometer liegen jetzt schon hinter mir und Illinois ist Geschichte. Abends treffe ich Pat, die ich bisher nur von Instagram kannte. Wir fahren nach Ferguson, in das Viertel der Unruhen wegen des erschossenen schwarzen Jungen, wo alles völlig normal ist. Kinder spielen auf der Straße, ein Rentner fegt seine Einfahrt. Danach lädt sie mich in die Ferguson Brewing Company ein und schenkt mir noch ein T-Shirt („In Amerika gibt es von allem ein T-Shirt!“). Nur eine von vielen tollen und sehr herzlichen Begegnungen, die ich bis dorthin entlang der 66 hatte.
Kommentar schreiben