Es ist Sommer auf der Route 66. Die Sonne knallt, der Asphalt schimmert. Doch nicht an diesem Vormittag in Joplin. Schwere, schwarze Wolken stehen am Horizont wie eine Wand. Ich packe, mal wieder, meine Sachen und fahre los. Es geht von Missouri durch Kansas nach Tulsa in Oklahoma. Jeden Tag habe ich zahlreiche Stopps an alten Tankstellen, Museen und urigen Läden. Meistens treffe ich lachende Menschen aus der ganzen Welt und höre unzählige tolle Geschichten. Heute nicht. „Du fährst nach Tulsa?“ Der Frau am Route 66-Nippes-Stand fällt alles aus dem Gesicht. „Da kommen heute Nachmittag große Stürme.“ Ich nicke. „Ich weiß.“ Am Abend weiß ich: Einen Scheißdreck habe ich gewusst.
Ich passiere die Grenze zu Kansas. Die Landschaft wird immer einsamer. Rostige Eisenbahnlinien zerschneiden das Land. Die Dörfer sind meist sehr dünn besiedelt und liegen weit auseinander. Ich besichtige eine historische Tankstelle, finde aber keine Ruhe. Die dunklen Wolken drücken sich über den Rand der Erde, quellen hervor wie schwarzer Qualm.
Schon wenige Meilen später erreiche ich Oklahoma. Die Route 66 kreuzt Kansas nur sehr kurz. In einer anderen alten, restaurierten Tankstelle treffe ich Simon und Michael aus England. Sie bereisen ebenfalls die Route 66 und fahren an diesem Tag nach Tulsa. Wir mampfen Burger und quatschen. „Beeilt euch besser, es zieht ein großes Unwetter auf“, mahnt die Besitzerin der Gas Station.
Als wir aus den Untiefen des Schauspiels wieder auftauchen, prasselt draußen der Regen. „Ach, wir fahren“, sagt Simon. Das Wasser schlägt vom Boden wieder hoch. Es riecht nach nassem Sommer. „Schaut hier!“ Einer der Aufseher vom Theater zeigt uns sein Wetter-Radar. „Für hier unten ist gerade eine Tornado-Warnung rausgegangen. Ich meine, man kann da reinfahren. Wenn man verrückt ist.“ Er lacht. Ich nicht.
Ich gehe mit Simon und Michael in das Motorrad Museum um die Ecke und wir überlegen, was wir tun. Der Regen lässt nach und die beiden wollen weiterfahren. Sie geben mir ihre Nummer, falls etwas ist. Ich zögere und renne anschließend alleine konfus in Deonna Whitworths Frisörladen. Dort werde ich herzlich empfangen, als hätten sie auf einen panischen Route 66- Reisenden gewartet. Ich bekomme sofort Kaffee mit Schokoladen-Flavour und neue Auskunft über das Wetter. „Richtig schlimm wird es erst heute Abend. Du könntest also jetzt noch fahren“, sagt eine Mitarbeitern. „Du hast noch drei Stunden oder so.“
Mut zum Risiko. Anders wäre ich wohl überhaupt nicht hier. Ich bedanke mich und springe in mein Auto. Schon kurz darauf wird es wieder einsam. Kaum ein Auto ist zu sehen, Menschen allgemein erst recht nicht. Und dann passiert es. Während die Wolken neben mir immer violetter werden, unterbricht das Radioprogramm für eine Wetterwarnung. „We have a tornado warning for you.“ Der Sprecher zählt die betroffenen Countys auf und ich schwitze. Eine Tornado-Warnung bedeutet noch nicht, dass einer gesehen wurde. Aber dass jederzeit einer entstehen kann. Am besten sucht man sofort Schutz auf. Ich blicke auf die grünen Wiesen neben mir und sehe ein Holzhaus mit zwei Wänden ohne Dach. Mein Herz rast. Ich halte an und fange an, alle wichtigen Dokumente zusammenzusuchen und in eine einzige Tasche zu packen. Was braucht man eigentlich wirklich? Ich meine, wirklich?
Die Amerikaner gehen allgemein sehr entspannt mit solchen Warnungen um. Ich kann das einfach nicht. Ich kenne das nicht. Normalerweise habe ich keine Angst vor
Dingen, die ich nicht kenne. Man kann reden, lachen, etwas regeln. Ein Tornado spricht nicht. Ich senke meinen Fuß aufs Gaspedal. Noch zwei Stunden bis Tulsa. Ich starre das Navi an. Als ob davon
die verbleibende Zeit weniger werden würde.
Der Sprecher wiederholt die Warnung, die dunklen Wolken biegen sich wie Türme über mich. Ich unterquere sie und fahre und fahre und fahre. Meine Augen kleben an den Wolkenformationen. Im Radio plärrt Musik aber ich höre sie nicht. Ich rumpele durch Schlaglöcher aber spüre sie nicht. Meine Finger klammern sich fest in das weiche Leder des Lenkrads.
Dann kurz vor Tulsa gerate ich noch in ein dickes Gewitter. Der Regen ist so dicht, dass einfach alles nur noch weiß ist. Aber dann klart der Himmel auf und ich habe meinen Host erreicht. Ich bleibe kurz im Auto sitzen, bevor ich auslade. Erst Stunden später realisiere ich, dass die Todesangst hinter mir hergewesen ist. Die Sonne scheint, als wollte sie mir zeigen, wie lächerlich das war. Am nächsten Morgen höre ich im Radio, dass es zwei „Touchdowns“ gegeben hat. Ein Tornado wird nämlich erst als Tornado gewertet, wenn er den Boden berührt hat. Der Himmel ist blau, als ich nach Oklahoma City aufbreche. Es ist etwas, das nicht selbstverständlich ist und ab jetzt meine volle Dankbarkeit hat.
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