Die orangefarbene Straßenbahn knattert an dem violetten Haus vorbei, an dessen Fassaden Regenbogenflaggen im Wind wehen. Es riecht ein bisschen nach Meer und ein bisschen nach Gras. An der Bushaltestelle gegenüber schaut Janis Joplin von einem Plakat. Es 2017. Fünfzigjähriges Jubiläum des „Summer of Love“. Ich setze meine Kopfhörer auf und drehe Jimi Hendrix lauter. Dann verschwinde ich zwischen glänzenden Hochhäusern und bunten viktorianischen Häusern, die an Straßen stehen, auf denen eigentlich alle Autos umfallen müssten.
Meine Fahrt von Los Angeles nach San Francisco an den Tagen zuvor verläuft etwas holperig. Ich vergesse einfach mal meine gesamten Jacken in LA und entdecke dann auch noch einen Nagel in meinem Reifen. Außerdem muss ich in Los Angeles viele nette Menschen zurücklassen, die ich dort kennengelernt habe. Natürlich ist dann auch noch ein großer Teil des szenischen Highway 1 wegen eines massiven Felssturzes gesperrt und ich muss durch hochspannende, braune und gleichförmige Hügel fahren.
Mein Gemütszustand befindet sich mehrere Tage irgendwo zwischen Ausrasten und Galgenhumor. „Am besten zieht man hier an der Küste immer mehrere Schichten an“, rät mir ein Einheimischer, während ich an die drei T-Shirts denke, die ich gerade übereinander trage, weil ich nichts anderes mehr habe außer einem Wintermantel. Und damit wäre ich hier definitiv klimatisch overdressed.
Kurz vor San Francisco ist der Reifen jedoch anstandslos geflickt, meine Jacken treffen per Post ein und meine Unterkunft in einem alten, viktorianischen Haus in Oakland ist einfach nur ein Traum mit Bambus und Palmen vor dem Fenster. Na also.
Endlich erreiche ich die Golden Gate Bridge. Der braun-graue Sand unter meinen Füßen ist heiß, das dunkelblaue Wasser eiskalt. Wellenberge rollen heran und überschlagen sich grollend. 80 Jahre ist die Brücke nun alt. Jeden Tag hält sie ungefähr 120.000 Autos aus. Orange ist sie nur aus Zufall – das Rostschutzmittel hatte genau diese Farbe und irgendwann blieb man dabei. Beeindruckend windet sie sich über die San Francisco Bay. Wenn man auf dem Asphalt steht, spürt man die Schwingungen, mit der sie sich Winden und Erdstößen widersetzt. Eines meiner Traumziele. Erreicht!
Einige Tage später durchstreife ich Haight-Ashbury. Das Viertel, in dem 1967 die Hippie-Bewegung ihren Höhepunkt fand. Für mich ein sehr besonderer Ort, da ich mich persönlich mit der Musik und den Idealen der Bewegung sehr identifiziere. In den meisten Geschäften finden sich immer noch alternative Kleider oder künstlerische und psychedelische Kuriositäten. Ich mache das Haus ausfindig, in dem Jimi Hendrix gelebt hat. Natürlich ist es total unspektakulär. Dafür sind viele andere Gebäude mit ihren runden Erkern und bunten Farben wie ein architektonischer Regenbogen.
Nicht nur in Haight-Ashbury, sondern überall in der Stadt gibt es deutliche Hinweise auf die Offenheit, mit der San Francisco in die Welt blickt. Egal ob „Peace“, „Gay Pride“ oder „No matter where you are from we’re glad you’re our neighbor” – hier nimmt man kein vertrocknetes Blatt von vorgestern vor den Mund. Und so weckt die Stadt schließlich auch wieder eine Leidenschaft in mir, die lange hinter Studium und Bürozeiten anstehen musste: das Schreiben. Das Schreiben von ganzen Büchern, nicht nur von Blogeinträgen. Fast jeden Abend sitze ich nun bei offenem Fenster im Schatten des Bambus, höre Jefferson Airplane, Leonard Cohen oder Neil Young und entwerfe den ersten, neuen Roman seit Jahren. Längst habe ich aufgehört, in diesem Land einfach nur als Tourist zu reisen, sondern angefangen, hier zu leben. Mit Blumen im Haar und Musik im Herzen.
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