Da machen die den Yellowstone National Park zu. Im Winter. Einfach so. Weil es schneit! Ist der Scheiß aus Zucker oder was?
Als ich in Montana nach 18 Stunden aus dem Flugzeug falle und mir nach zwei Sekunden die Augenlider zufrieren, bekomme ich eine leise Ahnung, dass nordamerikanischer Winter mehr bedeutet, als einmal im Jahr auf dem Weg zu Aldi auf Streusalz auszurutschen.
Da ich jedoch nie warte, bis mir Dinge passieren, sondern ich Dinge passieren lasse, finden mein Freund und ich schon nach drei Tagen heraus, dass man auf einer geführten Schneemobiltour durch den Park zwiebeln kann. Als mein Freund den Preis sieht, fällt ihm fast der Kaffee aus der Hand. „Yolo!“, sage ich fachmännisch. „Ich habe zum Geburtstag Geld bekommen. Das wollte ich sowieso gut anlegen. Ich buche den Mist!“
Wer hätte wissen können, dass dieser Tag zu den schönsten meines Lebens werden würde. Dass ich beinahe die Hand nach einem Kojoten ausstrecken konnte und majestätische Bisons mit goldenem Fell nur zwei Meter neben mir durch den Schnee stapfen würden. Das Leben ist nicht morgen oder in zwanzig Jahren. Es ist jetzt. Halleluja!
Ich sitze in einem Raumanzug mit Moonboots am East Entrance des Yellowstone National Parks. Auf einem Schneemobil. Es ist 8 Uhr morgens, die Sonne malt feuerrote, scharfe Kanten auf die Berge und es sind schümmelige minus 14 Grad. Unser Guide fragt irgendwas. Ich verstehe nix, weil ich einen fetten, knallgelben Helm aufhabe, mit dem ich aussehe wie Biene Maja bei den Hells Angels. Macht aber nichts, denn ich kann sowieso nichts antworten, weil ich eine Skimaske in der Fresse habe.
Kurze Zeit später donnern wir Sylvan Pass hinauf, der auf 2.500 Metern Höhe liegt. Ich fühle mich wie auf einem Motorrad: Das Schneemobil ist laut, nimmt jedes Schlagloch mit und fetzt. Es schneit. Ich öffne kurz das Visier meines Neil-Armstrong-Outfits, um mich an der Nase zu kratzen. Dann ist meine Nase auf einmal weg. Eigentlich mein ganzes Gesicht. Weggeschnitten vom minus 25 Grad kalten Fahrtwind. Egal – wer hat gesagt, dass man ein Gesicht braucht, um was zu sehen? Ich knalle das Visier zu und bewundere stattdessen die tief verschneiten Serpentinen auf dem Weg ins Tal zum Yellowstone Lake.
Mit dem Auto im Winter durch Yellowstone. Dämliche Vorstellung. Ich muss laut lachen. Weil das Schneemobil so laut knattert, bekommt keiner mit, wie bekloppt das ist. Der Asphalt ist unter einem halben Meter Schnee begraben. Ohne Kufen oder Panzer geht hier gar nichts. Ich beginne, trotz Moonboots das Gefühl in meinen Zehen zu verlieren. Gut, dass das in der ersten halben Stunde unseres neunstündigen Trips passiert. Wenn man kein Gesicht zum Sehen braucht, braucht man vielleicht auch keine Zehen zum Gehen.
Der gesamte, riesige Yellowstone Lake ist weg. Ich meine: Ein See mit einem Umfang von 177 Kilometern. Verschwunden unter Eis, auf das es dick geschneit hat. Auf der linken Seite dampfen heiße Quellen wie Nebelkerzen. Dann auf einmal vor uns auf der Straße eine Herde Bisons. Langsam fahren wir an ihnen vorbei. Wie zwei Planeten auf ihren Umlaufbahnen. Unser Guide bedeutet uns, den Motor abzustellen. Auf einmal ist es unfassbar still. Eisig still. Wir steigen ab und stellen uns hinter die Schneemobile. Friedlich und majestätisch kommen die wunderschönen Tiere mit dem langen, goldenen Fell auf uns zu. Schreiten an uns vorbei. Schneekristalle in den dichten Haaren und auf den langen, dunklen Wimpern. Die warmen, schwarzen Augen in die Ferne gerichtet. Ich höre das Knirschen unter ihren Füßen. Es geht kein Wind. Fast höre ich den Schnee fallen. In der Unendlichkeit dieses magischen Moments. Ich bin hier draußen. Mittendrin. Ich bin Teil dieser Natur, dieser Welt. Wir und die Bisons. Alles ist Eins. Wo wir herkommen, wo wir hingehen. Die Erde, auf der wir stehen.
Nach einem kurzen Stopp in einer beheizten Holzhütte, wo ich am liebsten mit den Füßen voran in den Kamin gesprungen wäre und riesige Eiszapfen am Klo fotografiert habe, dröhnen wir durch Hayden Valley. Ich halte mich an den beheizten Griffen des Schneemobils fest, die Sonne scheint und es sind nur noch minus 8 Grad. Ich kriege fast einen Hitzeschlag.
Dann auf einmal halten wir erneut an. Ich gucke scheel in den Wald, während alle anderen in die entgegengesetzte Richtung schauen. „Ein Kojote!“, flüstert mein Freund ehrfürchtig. Ist auch schwierig zu schnallen, wenn man kein Gesicht mehr hat! Endlich habe ich die Peilung und schaue auf die Straße. Auf Samtpfoten kommt das scheue Tier näher. Wie eine Mischung aus Fuchs uns Wolf. Ich vergesse, zu atmen. Eine Weile läuft er einfach auf uns zu, dann nimmt er uns wahr, stoppt und beschließt, lieber um unsere Marsrover herumzulaufen und verschwindet im Unterholz. Ich drücke den Arm von meinem Freund vor stummer Begeisterung wie verrückt. Er lächelt. Er weiß, dass er an einem der schönsten Orte der Welt lebt.
Gegen Mittag sind wir am Grand Canyon of the Yellowstone. Um mal ehrlich zu sein: Der im Sommer surreal bunte Schlund mit dem donnernden, türkisen Wasserfall ist um einiges beeindruckender als der echte Grand Canyon, der hauptsächlich einfach nur tief ist und mich von allen Nationalparks in den USA am wenigsten bewegt hat.
Wir parken und setzen die Helme ab, weil die Atmosphäre offenbar genug Sauerstoff enthält. Der Fußweg zu den 32 Meter hohen Upper Falls ist freigefräst. Als ich an den Schneemauern links und rechts längs gehe, reichen sie mir bis zu den Schultern. „Irre!“, rufe ich und stecke meine Hand hinein, als müsste ich mich im Traum kneifen. Ich denke an den drei Zentimeter hohen, braunen Schmodder, der in Deutschland alle zehn Jahre mal auf den Straßen liegt. Wenn der Berufsverkehr zusammenbricht und der Meteorologe im Fernsehen fast einen Schlaganfall bekommt. Unten an den Upper Falls zirkulieren Tonnen von Eisschollen in der Gischt.
„Sehen wir heute auch Artist Point?“, frage ich neugierig nach einem der berühmtesten Aussichtspunkte in Yellowstone.
„Geduld“, sagt der Guide verschmitzt.
„Geduld ist mein zweiter Vorname“, erwidere ich und rolle mit den Augen.
Natürlich sehen wir Artist Point. Und irgendwas scheint mit den von dort sichtbaren, fauchenden 94 Meter hohen Lower Falls nicht zu stimmen. Sie fauchen nicht. „Holy cow!“, rufe ich schließlich und schüttel meinen Freund an den Schultern. „Sind die echt gefroren?! Ich meine, die kompletten Lower Falls?“ Wir starren auf den Wasserfall, der beinahe doppelt so hoch ist wie die Niagarafälle. Riesenhafte Eiszapfen in schimmerndem Weiß und leuchtendem Hellblau hängen von der Klippe herunter. Wie gewaltige Orgelpfeifen im Symphonieorchester einer Eiskönigin. Nur an einer schmalen Stelle sprüht immer noch tosendes Wasser hervor. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich eskaliere herum und deute immer wieder wie ein kleiner Weihnachtsmann auf die Szenerie.
Auf dem Weg zurück zu den Schneemobilen tritt mein Freund Eisklumpen aus den Schneewänden neben dem Pfad und schießt sie herum.
„Hat das irgendeinen Sinn?“, frage ich ihn.
„Nein. Überhaupt nicht“, sagt er und lacht. Seine eisblauen Augen leuchten.
„Ich liebe dich“, erwidere ich.
Nach einem Snack in einem der wenigen offenen und beheizten Gebäude im Park, in dem ich versucht habe, in unter drei Stunden in meinem einteiligen Schneeanzug aufs Klo zu gehen, brausen wir zurück durch Hayden Valley zu Dragon’s Mouth. Das Schneemobil kämpft sich buckelnd durch dichte Schneewehen und mir fällt irgendwo unterwegs der dritte Halswirbel raus. Doch ich kann nicht aufhören, zu grinsen. Geiler Scheiß! Unterwegs frage ich meinen Freund, ob er nach fast sieben Stunden Fahrt nicht langsam müde wird. Er schaut mich an, als hätte ich einen der Waffel. Er ist by gosh a Cowboy from Wyoming. Sorry, hatte ich kurz vergessen.
Zwei der großen Sehenswürdigkeiten in Yellowstone machen übrigens im Winter keinen Sinn: Sowohl der Geysir Old Faithful, als auch die bunte Hot Spring Grand Prismatic produzieren bei Kälte zu viel Dampf. Man sieht nicht wirklich was außer weißem Hasen mit weißen Augen auf weißem Grund.
Beeindruckend ist jedoch Dragon’s Mouth. Diese mysteriöse Höhle, in der es brodelt und kocht, als würde ein Ungeheuer darin Schokoladenpudding mit Strohrum kochen.
„Schau mal die kleinen, lustigen Schneeflecken im heißen Wasser“, sage ich und schaue nach links.
„Guck mal die zwanzig Bisons“, sagt mein Freund und blickt nach rechts. Die beinahe direkt neben uns grasen. Irgendwas stimmt wirklich nicht mit meinem Gesicht heute.
Nach neun Stunden landen wir wieder auf dem kleinen Parkplatz von Pahaska Tepee außerhalb des East Entrance. Meine Füße sind abgestorben und mein Hintern tut weh. Ich fuchtel mit den letzten Kräften enervierend in der Gegend herum und johle: „Das war mit das Beste, was ich je in meinem Leben getan habe!“
Der Yellowstone National Park eröffnet meist erst im Mai für den normalen Autoverkehr und schließt oft schon im Oktober. Ich weiß jetzt auch warum: Es ist schweinemäßig Winter hier draußen! Schneemobiltouren und Rundfahrten in beheizten Bussen mit riesigen Traktorrädern (für Loser) könnt ihr an allen Eingängen des Parks buchen. Dabei müsst ihr mit mittleren dreistelligen Beträgen für einen Tagestrip rechnen. Für den East Entrance bietet im Moment (Stand Februar 2020) nur Gary Fales Outfitting Schneemobiltouren an. Um ohne Guide mit einem Schneemobil in den Park zu fahren, müsst ihr erst einen Kurs besuchen und eine Erlaubnis erlangen. Yellowstone im Sommer ist fabelhaft. Doch wer den Park mal von einer ganz stillen, magischen und harschen Seite erleben möchte, sollte unbedingt mal im Winter herkommen.
Mehr Abenteuer in den winterlichen Rocky Mountains von Wyoming und Montana findet ihr in meinem Bericht Es friert die Nase, es brennt die Haut: Eis im Canyon und ein Tattoo für die Ewigkeit.
Lonelyroadlover (Mittwoch, 22 April 2020 13:55)
Hallo Helen,
lieben Dank! Ich freue mich, dass der Bericht noch neugieriger gemacht hat. Vielleicht kommst du ja auch mal nach Yellowstone. Im Winter und im Sommer eine echte Sensation. :)
LG
Sarah
Helen (Samstag, 04 April 2020 19:34)
Richtig witzig!
Der Bericht stachelt die Hummeln in meinem Allerwertesten nochmal so richtig an.
Atemberaubend!
Lonelyroadlover (Samstag, 29 Februar 2020 12:30)
Huhuuu! Danke ihr Zwei! :) Es bedeutet mit total viel, dass ich euch mitnehmen konnte. Nicht nur mit Fakten wie "Und dann waren es drei Grad", sondern so richtig emotional. Genau das möchte ich! :)
Liebste Grüße!
Sarah
Tani und Sarah (Montag, 24 Februar 2020 03:00)
Wow.... Einfach wow.... Diese Tour klingt einfach so wahnsinnig aufregend und spannend und durch deinen großartigen Erzählstil waren wir direkt dabei. Wir saßen hinter euch auf dem Schneemobil, haben die Bisons gesehen und konnten dieses wahnsinnig schöne Fleckchen Erde mit dir zusammen genießen. VIELEN Dank dafür