Glas-Gärten, Schneelawinen und die Explosion Mount St. Helens' –

Roadtrip Nordwesten USA I.

3. Juli 2022

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Am Gletscherpunkt auf Mount Rainier - 360-Grad-Bergblick

„Zehn Stunden?“, ächze ich, als ich die Ansage zur Fahrzeit von unserem Navi lese.

„Na, irgendwann wollen wir ja mal am Pazifik ankommen“, erwidert mein Freund, der mit seiner Sonnenbrille wie Joe Cool am Steuer sitzt und auch 17 Stunden nonstop bis Mexico City durchbrettern könnte. Wir sind auf einem dreiwöchigen Roadtrip durch Washington, Oregon, Kalifornien und Idaho. Und manchmal vergesse ich, wie groß die USA sind. Immer noch.

 

Nachdem wir Yellowstone durchquert haben, versuche ich, ein bisschen zu schlafen, bis mein Freund mich aufweckt, nur um mir aufgeregt einen ollen Berg zu zeigen, der mal Teil einer Mine war. Na toll. Nach weiteren 1600 Jahren erreichen wir die Grenze zu Idaho. „Hurra, in zwanzig Minuten sind wir am Campingplatz!“, jubiliere ich, während mein Hintern so platt ist wie eine Waffel.

 

„Du weißt schon, dass wir gerade in eine neue Zeitzone gefahren sind?“, fragt mein Freund vorsichtig. „Pacific Time ist eine Stunde hinter uns zurück.“

Das macht dann also offiziell noch eine Fahrstunde mehr. Ich flipp aus.

 

Als wir endlich zum Sonnenuntergang unser Zelt aufschlagen, beginnt der Trip erst richtig. Auf dem ersten Teil unseres Camping-Abenteuers durch den Nordwesten der USA nehme ich euch mit zu einem spektakulären Wasserfall mit Murmeltier, in eines der surrealsten und buntesten Museen der Welt, auf eine Schneeschuhwanderung mit Lawine und zu dem Ort, an dem 1980 Mount Saint Helens explodiert ist.

Palouse Falls – von Eiszeitfluten geschaffen

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Palouse Falls - von einer Eiszeitflut geschliffen

Unser erstes Ziel ist Palouse Falls in Washington State. Weil ich es nicht mag, meine Reiseziele vorab totzugooglen, nur um später von der Realität enttäuscht zu sein, habe ich keine Erwartungen. Ein Wasserfall in einem Hügel. Das ist alles, was ich ungefähr weiß.

 

Als wir ankommen, reißt vor unseren Augen ein grün-brauner Canyon auf, der sich in engen Windungen in einer sonst flachen Landschaft aus Kornfeldern verliert. In mehreren Ebenen fallen braune Basaltsäulen zu der 115 Meter tiefen Schlucht ab. Während rechts von uns Menschen, klein wie Ameisen, auf einer Aussichtsplattform stehen, donnert links von uns der Palouse Wasserfall 60 Meter in einen ausgewaschenen Felskreis. Ich schaue wie eine Eule hin und her, doch es ist unmöglich, all die riesige, wunderschöne Landschaft in einem Blick zu sehen. Von wegen Wasserfall im Hügel!

 

Auf einem Vorsprung sitzt ein Murmeltier und putzt sich unbeeindruckt. Es wohnt an einem Ort, bei dem jedem Landschaftsmaler vor Begeisterung der Pinsel wegfliegen würde.

Der gesamte Canyon ist vor ungefähr 13.000 Jahren entstanden. Also fast so lange, wie unsere Fahrzeit gestern. Durch eine Flut gigantomanischen Ausmaßes. In der Eiszeit haben manchmal große Eisschilde sehr viel Wasser angestaut. Wenn sie gebrochen sind, donnerte eine Wassermenge Richtung Pazifik, die zehnmal so schnell floss wie die Fließgeschwindigkeit aller Flüsse auf der ganzen Welt zusammen. Zack, war da auf einmal ein Canyon eingeschliffen!

Seattle: Böden und Pflanzen aus Glas

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Nicht geheuer: die schrägen Glaspaneele auf der Space Needle in Seattle

Vom Naturwunder ins Verkehrschaos nach Seattle. Der Scheibenwischer knattert im dritten Gang, während Lastwagen im Sprühnebel auf ihrer Spur hin- und herschwanken. Nach zweieinhalb Monaten in der Stille von Island und Wyoming merke ich mal wieder, wie wenig Bock ich noch auf Großstädte habe.

 

Am nächsten Tag, zu Fuß, sieht das Ganze schon anders aus. Wir laufen zur Space Needle, die zur Expo 1962 in nur 407 Tagen hochgezogen wurde. Oben kann man sich zum einen gegen eine schräge Glaswand Richtung Skyline lehnen oder auf einem sich drehenden Glasfußboden stehen. Skeptisch berühre ich die gekippten Paneele. Was, wenn der Scheiß einfach abbricht, während ich mich dagegenlehne? 184 Meter auf Seattle runterzuknallen wäre jetzt nicht gerade mein Tageshighlight. Nach mehreren Anläufen schaffe ich es, meinen Rücken gegen die schrägen Fenster zu pressen. Mir ist flau.

Dann doch lieber der rotierende Glasfußboden. Da kann man sich vielleicht noch an einer Wandsäule festhalten, wenn der fliegende Teppich unter einem abkackt.

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Unglaubliche Glaskunst im Chihuly Glass and Garden in Seattle

Apropos Glas. Es gibt ein Kombi-Ticket für die Space Needle und das Chihuly Garden and Glass Museum. Da stehen bestimmt schöne, kleine Glaskunstwerke in Vitrinen, denke ich.

 

Als wir den ersten, komplett schwarzen Raum betreten, haben wir allerdings einen Palouse-Falls-Moment. Statt kleiner Vitrinen, erstreckt sich eine riesige, leuchtend blaue Säule aus wirren Glasarmen von der spiegelnden Plattform im Boden bis weit unter die unendliche Decke. Quallen, Muscheln und Seesterne verstecken sich in den Tentakeln. „Woah, crazy shit!“, rufe ich laut. Im nächsten Zimmer befindet sich die Persian Ceiling. Eine durchsichtige Decke, die über und über mit bunten Glaskunstwerken gefüllt ist, von innen leuchtet und den Raum in Regenbogenfarben erstrahlen lässt. Ich raste aus. Alice im Chihulyland!

Von dort geht es zu einem magischen Garten, Booten mit surrealen Glasformen und monströsen Kronleuchtern, die zu Hause mein ganzes Wohnzimmer ausgefüllt hätten.

Draußen erwartet uns ein Gewächshaus, das mit Glasblumen überbordet und ein echter Garten, aus dem neben natürlichen Blumen Glaspflanzen wuchern. Leute, wenn ihr nur einmal im Leben nach Seattle kommt – geht in dieses Museum! Es ist mind-fucking-blowing.

Schneeschuhwanderung mit Lawine am Mount Rainier

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Auf Schneeschuhen am Mount Rainier wandern

Am Horizont von Seattle türmt sich ein riesiger Berg auf. Genauer gesagt ein Vulkan, der bei einem Ausbruch große Teile der Stadt vernichten würde. Mount Rainier. Obwohl es schon Juni ist, liegt hier noch wie verrückt Schnee. Die Hälfte des Mount Rainier Nationalparks und fast alle Wanderwege sind deshalb gesperrt. Tolle Wurst. Zum Glück hat mein Freund eine Idee: „Wenn wir nicht normal wandern können, dann leihen wir uns halt Schneeschuhe aus!“

 

Ich bin sofort dabei. Ich habe noch nie eine Schneeschuhwanderung gemacht und ich will in meinem Leben ganz viele Dinge machen, die ich noch nie zuvor gemacht habe.

 

Im Tal beschaffen wir uns Schuhe, die aussehen wie eine Mischung aus Rollschuhen für Grundschulkinder und abgebrochenen Skiern. Damit marschieren wir Richtung Berg. Vulkan. Was auch immer. Hauptsache, das Teil bricht nicht ausgerechnet jetzt aus.

Ich fühle mich, als hätte ich Moonboots an den Füßen. Allerdings mit ziemlich viel Schwerkraft. Schneeschuhe sorgen dafür, dass man nicht so sehr einsinkt und dass man mehr Grip hat. Aber davon abgesehen macht es das Laufen auf Schnee nicht wahnsinnig einfacher.

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Wir haben es bis zum Gletscherpunkt geschafft! Allerdings ist es warm... Lawinengefahr

Irgendwann erreichen wir unser Tagesziel: den Gletscherpunkt. Die Aussicht von hier ist unglaublich. Von einem rauen Gerölltal bis zum Gipfel von Mount Rainier.

 

Auf dem Weg zurück höre ich plötzlich ein Grollen. Ich drehe mich um, und sehe eine Wand aus Schnee vom Gipfel abbrechen. Für einen Moment vergesse ich, zu atmen. Eine Lawine. Ich schaue mich um und hinunter auf meine Schneeschuhe. Damit wegzulaufen, ist sinnlos. Und wohin überhaupt? Die Lawine rollt weiter und mein Herz rast. Mir ist so heiß, dass ich mir am liebsten Schnee in den Nacken schütten würde. „Was machen wir jetzt?!“, rufe ich.

Mein Freund deutet auf eine kleine Anhöhe und zuckt mit den Schultern „Aber zwischen uns und der Lawine liegt ja auch noch das Gerölltal“, versucht er mich zu beruhigen. Ich starre bloß die weiße Wand an. Die langsamer und langsamer wird und schließlich ausläuft. Ich bin erleichtert. Doch meine Hände zittern noch für eine ganze Weile.

Mount Saint Helens: Der Berg, der einfach explodierte

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Mount Saint Helens 2022, immer noch eine Marslandschaft der Zerstörung

Was für eine Macht die Natur über uns hat, spüren wir auch, als wir bei Mount Saint Helens landen. Dem berühmten Vulkan, der 1980 in Washington explodierte. Ein Ort, den ich immer schon einmal in echt sehen wollte.

 

Nun sind wir da. An der Johnston Ridge. Der Stelle, an dem der Wissenschaftler David Johnston am Morgen des 18. Mai 1980 mit seinem Funkgerät stand und schrie: „Vancouver, Vancouver, this is it!“ Er sah aus nächster Nähe, wie Mount Saint Helens seitlich ausbrach und seine gesamte Spitze in die Luft schleuderte. Sekunden später erreichte ihn die Druckwelle und er war tot.

Die zerrüttete Landschaft mit den tiefen Furchen und Canyons, ohne Bäume, durchzogen von Schlammtälern und Felsbrocken, die einmal zur Bergspitze gehört haben, ist gespenstisch. Der Krater klafft offen direkt vor uns. Monumental. Ich habe Gänsehaut bei der Vorstellung, was hier 1980 abgegangen ist.

 

Im extrem guten Museum direkt an der Ridge sind Augenzeugenberichte zu lesen. Von einer Familie, die in einem kleinen Wald in der Nähe des Vulkans gezeltet hat und nur überlebte, weil sie ein schützender Hügel vor der pyroklastischen Wolke gerettet hat. Von einem Mann, der versucht hat, seine Frau mit gebrochener Hüfte an den Haaren aus den reißenden Schlammfluten zu ziehen, denn durch die enorme Hitze schmolzen damals alle Gletscher am Berg auf einmal. Oder von einem Bauarbeiter, um den herum es auf einmal schwarz wie die Nacht wurde. Als er wieder sehen konnte, entdeckte er die verkohlten Leichen seiner Kollegen um sich herum.

 

Der Nordwesten der USA ist wild, voller Vulkane, voller Schnee und voller Wunder. Der erste Teil unseres Roadtrips hat uns eindrucksvoll gezeigt, wie winzig wir Menschen sind – nicht nur an der Kante eines Canyons, sondern so ganz allgemein auf dieser großen Welt in einer unberechenbaren Natur.

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