Langsam fahre ich auf das Mauthäuschen zu und hypnotisiere den Ticketautomaten auf der linken Seite. Ich spüre den schelmischen Blick meines Freundes auf mir und würde am liebsten einen ollen Putzlappen aus dem Handschuhfach nach ihm werfen. Seit knapp zwei Wochen sind wir auf einem Roadtrip durch Kroatien und seit knapp zwei Wochen sorge ich an jeder Mautstation für Unterhaltung. Denn irgendwie schaffe ich es immer, ungefähr drei Meter von dem Schlitz entfernt anzuhalten, aus dem man die Karte für die Mautberechnung ziehen muss. Während ich also das Fenster herunterlasse und mein Arm mal wieder leer in der Luft rumfuchtelt, prustet mein Freund unauffällig zur Seite, irgendjemand hupt genervt und ich fühle mich wie eine Katze, die ihren Kopf durch einen zu engen Gartenzaun gesteckt hat.
Irgendwie schaffen wir es aber trotz meiner fatalen Unzulänglichkeit, die grandiosen Wasserfälle im Krka Nationalpark, einen Sonnenuntergang am Strand und die heimelige Altstadt von Split zu sehen.
Und wenn der Mietwagen dann „total schief“ (sagt mein Freund) oder „absolut noch irgendwie im Rahmen“ (sage ich) geparkt ist, warten auf unserem kleinen Balkon über den Dächern Splits immer ein Gläschen Wein mit Pizza oder selbstgemachten Nudeln. Es sind diese Sommernächte, an denen es um 22 Uhr noch nicht ganz dunkel und 30 Grad warm ist. Es sind diese Tage und es ist dieses Leben, das nie wiederkommt.
„Wo sind wir denn hier?!“, fragt mein Freund, während er langsam auf die kleine Tankstelle zusteuert. Allerdings nicht von der Hauptstraße aus wie alle anderen Autos, sondern von der Rückseite über einen schäbigen Hinterhof voller Schlaglöcher. Ich blicke auf das Navi, das er mir geschenkt hat. Keine Ahnung, das ist der offizielle Weg zur Autobahn. Sagt es. Wir rumpeln über eine Bordsteinkante auf die Tankstelle und biegen von dort aus auf die Hauptstraße ab.
„Sind wir jetzt etwa schon auf der Mautstraße?“, fragt mein Freund nervös und blickt sich um, während neben ihm die Autos mit hundert Sachen vorbeidonnern.
„Aber wir sind doch gar nicht an dem Häuschen vorbeigekommen, um ein Mautticket zu ziehen!“, erwidere ich. Mit dem Ticket wird am Ende an der Ausfahrt je nach gefahrenen Kilometern die Maut abgerechnet und gezahlt.
„Was, wenn wir das jetzt durch die Tankstellen-Aktion aus Versehen umfahren haben?“, ruft er und kriegt diesen paranoiden Blick, als wäre das FBI hinter ihm her.
„Dann hast du mir ein echt cooles Navi geschenkt“, sage ich fröhlich.
Nachdem wir uns eine Viertelstunde verrückt gemacht haben, wie wir das alles dem Typen vom Mauthäuschen am anderen Ende der Autobahn erklären, finden wir heraus, dass wir uns in der Tat noch gar nicht auf der Autobahn befinden, sondern bloß die Autos links und rechts von uns rasen wie beim Daytona 500 Rennen. Alles total kroatisch normal also.
Kurz darauf sind wir am Krka Nationalpark, der nur etwa eine Autostunde von Split entfernt liegt. „Krka“, sagt mein Freund und ich halte ihm abwehrend meine gekreuzten Zeigefinger entgegen, weil es klingt, als hätte er gehustet. „Was ist hier mit den ganzen Vokalen passiert?“, frage ich.
„Die haben die Kroaten den Franzosen geschenkt, die sie sinnlos an ihre Wörter angeklebt haben“, erklärt mein Freund. Blöde lachend stolpern wir in den Park. Wenn eines in einer Beziehung wichtig ist, dann dass beiden den gleichen, bescheuerten Humor haben.
Der Nationalpark ist 109 Quadratkilometer groß. Zwischen den unterschiedlichen Eingängen liegt teils bis zu eine Stunde Fahrt. Neben einigen Klosterruinen ist vor allem der Fluss Krka die Hauptattraktion, der sich durch einen langen Canyon windet und dabei über sieben Brücken – Quatsch! – Wasserfälle in tiefere Ebenen stürzt. (Sorry, dummer Peter-Maffay-Witz).
Über hölzerne Boardwalks laufen wir zwischen hohem Schilf und glasklarem, türkisen Wasser bis zum Skradinski Buk, dem schönsten Wasserfall des Parks. Dort kann man sogar schwimmen. Natürlich habe ich meine Schwimmsachen zu Hause verdödelt. Doch auch ohne Badehose ist der Anblick der breiten, weißen Kaskaden, die in die Tiefe donnern, einfach beeindruckend.
Am Nachmittag suchen wir mehrere Stunden lang in sengender Hitze den Roski Slap Wasserfall. Irgendwann finden wir heraus, dass er im Sommer mangels Wasser versiegt. Tolle Wurst. Ich stecke mein glühendes Gesicht in den Fluss. Dann fahren wir heim.
Da der Krka Nationalpark so riesig ist, lohnt sich ein zweiter Tag auf jeden Fall. Nachdem ich am Mauthäuschen angemerkt habe, dass mir eine Grillzange als verlängerter Arm helfen könnte, das Ticket aus dem schon wieder dreihundert Meter entfernten Schlitz zu ziehen, parken wir an einem staubigen Straßenrand im Park.
„Du könntest auch einfach mal etwas näher an den Automaten ranfahren“, gibt mein Freund schlau zu bedenken.
„Halt die Klappe“, sage ich diplomatisch. „Dafür fährst du bei hundert Stundenkilometern immer noch im dritten Gang.“ (Anmerkung der Redaktion: Mein Freund ist Amerikaner und fährt normalerweise nur Automatikwagen).
Im nördlichen Teil des Krka Nationalparks verstecken sich der Manojlovac Wasserfall, der mit 60 Metern der höchste im Park ist, und der Rosnjak Wasserfall. Es heißt oft, dass man an beide Wasserfälle nicht gut rankommt. Aber beim Manojlovac Wasserfall kann man einen ätzenden Serpentinenweg hinuntersteigen (wir hatten 37 Grad) und sich an einer Ruine vorbei zu einer paradiesischen Zwischenkaskade des Wasserfalls durchkämpfen, wo man sogar seine Beine ins grüne Wasser halten kann. Und beim Rosnjak Wasserfall findet man unten am Fuß der Fälle einen kleinen See mit einem umgelegten Baumstamm, auf den man sich wunderschön hinsetzen kann. Vor allem, wenn man in Schweiß ertrinkt und stirbt. August ist übrigens wegen der Hitze nicht die geilste Reisezeit für Kroatien, doch war für uns die einzige Möglichkeit, uns trotz der Corona-Grenzschließungen zu sehen.
Nach der ganzen Plackerei machen wir uns am nächsten Tag auf zum Strand. Unsere Vermieterin hat uns die kleine Stadt Omiš empfohlen, die etwa dreißig Minuten südlich von Split liegt. Wir ergattern einen Parkplatz direkt am Meer, weil ich einer Familie am offenen Kofferraum ihres Wagens zubrülle: „Ey, fahren Sie gerade weg?“ und wir dann so lange den Blinker setzen und alles blockieren, bis die Lücke tatsächlich frei wird. Ein Roadtrip durch Südeuropa ist lehrreicher als fünfzig Stunden in einer Fahrschule in Wuppertal.
Die Hafenstadt hat ein historisches Zentrum mit engen Gassen, krümelnden Ziegeldächern und Katzen. Wir machen einen wunderbaren Spaziergang Hand in Hand durch leere Straßen mit buckeligem Pflaster. Am Abend sitzen wir mit selbstgemachten Sandwiches aus Brie, Rucola und schwarzen Oliven am Pier und schauen auf den Sonnenuntergang. Ich lehne mich an die Schulter meines Freundes und wir blicken auf das orangefarbene Wasser direkt vor uns. Es ist unglaublich schön, mit jemandem unterwegs zu sein. Aber vor allem auch einfach mal zu sein. Irgendwo zu sitzen, mit jemandem, der das gleiche empfindet und sieht wie man selbst. Der nicht die Scheuklappen aller aufhat, die grölend mit Pommes und Bier über den vollen Strand stolpern. „Sarah, Leben mit dir ist wunderbar. So besonders. Leben mit dir ist wie ein Gedicht“, sagt mein Freund. Seit wir zusammen sind, weiß ich, dass es so einen Scheiß nicht nur im Film gibt. Ich sehe ihn an. „Ja, Shakespeare“, sage ich. „Leben mit dir ist das Beste, das mir je passiert ist.“
Weil wir keinen Bock auf coronaverseuchte Restaurants haben, kochen wir abends immer selbst. Doch einmal machen wir vorher einen Abstecher in die Altstadt Splits. Die ist viel schöner als die von Zagreb und sehr groß. Eine beige Kirche thront über dem Hafen mit den Segelschiffen und ein riesiger Platz mit roten Arkaden eröffnet sich vor uns wie ein Ballsaal unter offenem Himmel. Wir machen ein Eis to go klar (Lavendel-Haselnuss-Eis, geil!) und bummeln durch die engen Gassen über Treppenstufen vorbei an Weingeschäften und Kunsthandwerk.
Später sitzen wir auf unserem Balkon mit dem kleinen Holztisch. Es ist dunkel und so warm, als hätte jemand den Backofen aufgelassen. Ich habe meine Beine auf den Knien meines Freundes liegen. In der Ferne leuchten die Lichter der Stadt, rechts neben uns sind die Berge.
Es war eine fantastische Zeit in Kroatien. Eigentlich hatte ich den ganzen Sommer bei meinem Freund in den USA verbringen wollen, doch durch Corona waren und sind alle Grenzen dicht. Deshalb mussten wir eine Lösung in einem Drittland finden, um uns zu sehen. Genau jetzt entscheidet Deutschland eine Ausnahmeregelung für unverheiratete, binationale Paare, die es zugelassen hätte, dass mein Freund direkt zu mir nach Deutschland hätte kommen können. „Jetzt ist es zu spät, jetzt sind wir hier“, sage ich nachdenklich.
„Naja“, meint mein Freund dann. „Jetzt haben wir stattdessen ein wunderschönes Land gesehen. Kroatien.“
„Ja“, sage ich. „Komisches Leben. Es hat doch irgendwie immer alles einen Grund.“
Unser filmreifes Zusammentreffen in Kroatien nach vier Monaten Trennung könnt ihr nachlesen unter Lovestory im Drittland: Wie ich meinen Freund trotz Grenzschließungen wiedergesehen habe. Unsere Abenteuer an den Plitvicer Seen und in einem schrägen Cottage auf dem kroatischen Land findet ihr unter Mit dem Bleifuß von türkisen Kaskaden zu Draculas Cottage - Roadtrip Kroatien.