Grollend laufen die dunkelblauen Wellen vom offenen Pazifik auf die schwarze Lavaküste zu. Die Sonne steht wie ein leicht verblasster Untersetzer aus Kork knapp über dem Horizont, verschleiert durch dünne Wolken. Dann macht es „Fummp!“ und durch ein drei Meter weites Loch im Boden direkt vor mir quillt schäumende Brandung, schießt über die Klippen, fast bis vor meine Füße und verschwindet dann unter dem Geklapper tausender Muscheln wieder in dem Loch, als hätte es jemand eingesaugt.
Thor’s Well („Thors Brunnen“) ist ein faszinierendes, aber auch bedrohliches Naturphänomen direkt am Highway 101 in Oregon. Am schönsten ist es bei voller Flut und im Sonnenuntergang. Also wenn die Wellen besonders heftig und mit unvorhersehbaren Steigerungen an die Küste schlagen und es anschließend so dunkel ist wie mit einer Funzel in der Abstellkammer. Ich stelle mein Stativ trotzdem auf. Ganz nah an der steinigen Kante des Lochs. Mein Magen fährt Aufzug wie das Wasser innerhalb des Wells. Aber was sind wir, wenn wir immer einen Schritt hinter unserer Angst herlaufen?
Hier kommt der zweite Teil unseres Reiseberichts über unseren 7.000 Kilometer langen Roadtrip durch Washington, Oregon, Kalifornien und Idaho. Springt mit uns ins Auto und kommt mit von Thor’s Well zu einem Buntglas-Strand, zum tiefsten See der USA in einem Vulkankrater und zu pechschwarzen Lavabäumen.
„Uuuah!“, rufe ich halblaut, als sich die nächste Welle immer höher und massiver vor der Küste auftürmt. Neben mir an Thor’s Well steht ein Asiate mit seiner Kamera. Asiatisch-ruhig und gefasst. Ich fühle mich eher, als würde ich gleich kopfüber schreiend von einem Karnevalswagen in Köln-Wahn springen. Unvorhersehbare, große Wellen machen mir Angst. Immer schon. Genau wie die Sneaker Waves am Reynisfjara Beach in Island im März.
Ich halte mich an meinem Stativ fest. Wird schon. Atmen.
Die Welle donnert auf das Lavagestein und drückt eine riesige Ladung Wasser durch das Loch. Ich löse die Kamera aus und schaue mich um. Keine gute Idee. Hinter uns laufen aufgrund der steigenden Flut diverse Rinnen und Pfade zu.
Ich erinnere mich an den bärtigen Wattführer im Nordseeurlaub 1997: „Und dann war der Weg abgeschnitten und die Touristen sind ertrunken, ho ho ho.“
Es ist laut, die Gischt sprüht und das magere, goldene Sonnenlicht zieht sich über das Meer wie Spinnweben. „Es ist so schön hier“, sage ich zu meinem Freund, der für mich den Ozean des Todes im Auge behält, während ich mit zittrigen Fingern fotografiere. „Ich will weg.“
Nach etwa 20 Minuten und immer höheren Flutwellen, falte ich zeitgleich mit zwei anderen Fotografen mein Stativ zusammen. Selbst der Asiate scheint nun dezent nervös zu sein. Mut ist gut. Aber gesunder Menschenverstand schadet auch nicht.
Thor’s Well liegt am Cape Perpetua in der Nähe der Stadt Yachats in Oregon. Geologen glauben, dass das Loch mal eine Lavahöhle war, bei der die Decke eingestürzt ist. Das Loch soll etwa sechs Meter tief sein. Ich hab’s nicht getestet.
Von Thor’s Well aus passieren wir entlang des Highway 101 eine Seelöwenhöhle und landen schließlich in Kalifornien, wo einem die gebratenen Zitronen in den Mund fliegen und Sprit so teuer ist wie ein Kleinflugzeug (für amerikanische Verhältnisse – in Deutschland würde man bei den niedrigen Preisen vor Freunde einen Autokorso veranstalten). Wir sind auf dem Weg zum Highschool-Freund meines Partners, der in Nordkalifornien lebt. Die beiden kennen sich seit der sechsten Klasse (also als die Erde noch halb mit Eis bedeckt war) und leben inzwischen 1.700 Kilometer voneinander entfernt, telefonieren aber regelmäßig. Auf diesem Trip wollen wir ihn besuchen.
Dazwischen liegt allerdings noch der Glass Beach. Etwas, das ich schon lange sehen wollte. Ein Strand, der aus bunten, weich geschliffenen Glassteinchen besteht.
Wir sind allerdings vorgewarnt, dass sich inzwischen einige Schlaubären am „Sand“ bedient haben. Säckeweise. Und es deshalb nicht so bunt ist wie früher.
Stimmt auch. Als Erstes bin ich enttäuscht, denn der Strand sieht fast braun aus. Bei näherer Betrachtung, und vor allem wenn man mit den Händen gräbt, findet man jedoch tausende von bunten Glasstücken. Wunderschön!
Leider ist der Ursprung des Glass Beach das Gegenteil von wunderschön. Das Glas stammt aus Jahrzehnten, in denen achtlos Müll an die Küste gekippt wurde. Die Deponie ist inzwischen geschlossen und das Gebiet gesäubert, doch das Glas kommt immer noch angeschwemmt. Ist der Glass Beach also nun schön oder nicht? Und warum müssen wir immer alles besitzen und mitnehmen, was wir schön finden, und können es nicht für andere Besucher oder Generationen in Frieden lassen?
Nach einem mehrtägigen Stopp beim alten Schulfreund meines Freundes, richtig gutem Essen, Sightseeing und gemütlichen Momenten in seinem großen, blumigen Garten, machen wir uns auf in die Kälte. Moment, ist nicht Mitte Juni? Was ist mit Sommer ey?
Da können die Berge nur lachen. Der Crater Lake National Park in Oregon liegt auf fast 1.900 Metern. Als wir unser Zelt am Broken Arrow Campground aufbauen, habe ich das Gefühl, der Laden sollte lieber Broken Weather Campground heißen, denn es tanzen Schneeflocken in der Luft. Nach 30 Grad in Kalifornien. Uff. Ich stampfe in Handschuhen und Mütze zum Klohäuschen.
Nachts geht es runter bis auf zwei Grad. Und als wir im Nationalpark ankommen, sind sämtliche Wanderwege tief verschneit. Hoffentlich sehen wir den scheiß Lake überhaupt bei dem Nebel!
Um Wanderern wenigstens etwas Spaß zu ermöglichen, hat der National Park Service einen Teil des (wegen Schnees) gesperrten East Rim Drive geräumt, an dessen Ende es angeblich einen spektakulären Blick auf den Kratersee geben soll. Ausschließlich für Fußgänger und Radfahrer.
Wir steigen aus dem Auto. Sofort schießt uns der Schnee wie kleine Seenadeln horizontal in die Augen. Die Sichtweite ist null. Klasse. Ich überlege, umzukehren. Aber etwas hält mich davon ab. Was, wenn das ein Test der Natur ist. Dass nur derjenige den spektakulären Blick bekommt, der dem Wetter trotzt? Mein Freund sieht mich fragend an.
„Ich will da jetzt hin!“, sage ich fest.
Acht Kilometer durch beißenden Wind, Schneeregen und Frost. Vier hin, vier zurück.
Immer wieder versucht die Sonne, durch den Nebel zu brechen. „Na, komm schon”, sage ich und machen wilde Armbewegungen. Eine Art Sonnentanz, nur dass meine Füße zu kalt sind dafür.
Als wir schließlich am Endpunkt des Trails ankommen, ist die Sicht immer noch minimal. „Ich esse jetzt ein Butterbrot und dann klart es auf“, sage ich laut. Mein Freund denkt, ich wäre vollkommen bekloppt. Andererseits kennt er das ja.
Und als der letzte Happen Butterbrot mit der letzten Schneeflocke garniert in meinem Mund verschwindet, passiert es. Der Himmel reißt auf. Das unglaublich blaue Wasser in dem monumentalen, 9,5 Kilometer (!) breiten Krater schimmert wie ein Ultramarin-Kristall. Mittendrin erhebt sich von kleinen Wellen umschlossen Wizard Island. Ein junger Vulkankrater, der in dem alten Krater neu wächst. Wie eine Insel. Es ist ein unfassbares Naturwunder und weder mit den Augen, noch mit der Kamera zu greifen. 600 Meter tief ist der Crater Lake und damit der tiefste See in den Vereinigten Staaten. Die Vorstellung, dass er sich in einem Vulkankegel befindet, der 1.900 Meter hoch aufragt, ist unglaublich.
Fast so unglaublich wie der klare Himmel, der auf einmal über dem See leuchtet. Als wir zurückgehen, ziehen Wolken rein. Als wäre es ein Fenster gewesen. Das nur in diesem einen Moment da war. Als Belohnung für die Schneewanderung. Kann es sein, dass Dinge wirklich passieren, wenn wir sie uns stark genug wünschen und bereit sind, Schwierigkeiten dafür auf uns zu nehmen?
Talking about Craters: Eine unserer letzten Stationen auf unserem Roadtrip sind die Craters oft the Moon in Idaho. Ich bin etwas vorsichtig mit meinen Erwartungen, denn manchmal sind Namen größer als das, was am Ende dahintersteckt. Mondkrater auf der Erde – das könnte gerade in den USA ein PR-Gag sein.
Dann betreten wir ein fast 3.000 Quadratkilometer großes Gebiet, das praktisch schwarz ist. Erstarrte Lava, bei der man noch die Fließrichtung erkennen kann, aufgebrochene Vulkanhügel, die wie zerstörte Asphaltstraßen aussehen und kleine Spatter Cones, aus denen mal Lavaklumpen geflogen sind.
Wenn das nicht der verdammte Mond auf Erden ist, dann weiß ich es auch nicht!
Wir versuchen, alle vorhandenen Trails auf einmal zu begehen und jedes Mal tut sich ein neuer Blick auf die surreale Landschaft auf.
Besonders beeindruckend sind im Juni die vielen, bunten Wildblumen, die scheinbar auf schierer Asche wachsen, während mein Basilikum zu Hause trotz Halbschatten, Wasserfühler und frischer Erde nach zwei Wochen abkackt. Wie machen die das?!
Am Nachmittag begeben wir uns in die Wildnis der Craters of the Moon. Ein Gebiet, das unter besonderem Schutz steht und in dem weder gebaut noch gerodet oder planiert werden darf. Wo die Natur, einfach Natur ist, ohne dass Menschen sie ruinieren dürfen. Ein einziger, vier Kilometer langer und dünner Wanderpfad führt ein Stück weit in das Areal. Dort entdecken wir Lava-Bäume! Mehrere, schwarze „Steinrohre“ ragen schwarz aus der Erde.
Lava-Bäume entstehen, wenn fließende, heiße Lava auf Baumstämme trifft. Die Hitze lässt das Wasser, das in den Stämmen gespeichert ist, zu Dampf werden, was die Lava minimal abkühlt, sodass sie beginnt, rund um den Stamm zu härten. Der Baum brennt dann durch die Hitze trotzdem ab, aber die Lava hinterlässt eine Art Form von ihm. Ist unsere Welt nicht unfassbar toll?!
Mehr zum ersten Teil unserer Reise durch den Nordwesten der USA mit den Palouse Falls, Seattle, dem Mount Rainier National Park und Mount Saint Helens findet ihr hier: Glas-Gärten, Schneelawinen und die Explosion Mount St. Helens' – Roadtrip Nordwesten USA I.
Mehr zu unserem Campingtrip durch den Südwesten der USA mit Utah, Arizona, New Mexico und
Colorado im vergangenen Jahr gibt’s hier: Abenteuertrip USA 2021.
SquirrelSarah (Samstag, 03 Februar 2024 19:41)
Hi Peter,
eulenmäßig spät gesehen den Kommentar. Danke trotzdem fürs Lesen. :)
Sarah
Don Pedro (Sonntag, 17 Juli 2022 10:10)
Toller Bericht, Sarah. �
Bin wieder voll dabei.�✌️