Die Herbstsonne reflektiert wie die Flamme eines Windlichts im roten Weinglas. Ich greife zu der knisternden Tüte mit den Salzstangen. Die heißen hier in den USA sinnigerweise „Brezelsticks“. Dabei weiß doch jeder, dass eine Brezel ein pikantes oder süßes Gebäck in Form eines symmetrisch verschlungenen Teigstrangs ist (Wikipedia says so).
Es ist der 7. November 2020. Wir sitzen auf der Terrasse meines Freundes und feiern. Vier Tage nach den Wahlen steht Joe Biden als neuer Präsident der USA fest. Es war wie ein Krimi. Ein richtig schlechter. Wo sich der Täter selbst ins Knie schießt und die Polizei dümmer ist als ein halber Meter Feldweg.
Um 9:44 Uhr schaue ich auf mein Handy, als CNN bekannt gibt, dass Biden genug Wahlleute eingesackt hat, um das Rennen zu machen. Ich komme gerade vom Klo und bleibe mitten im Flur stehen. Ich bin so aufgeregt, dass ich meinem Freund einen Screenshot der Meldung über WhatsApp schicke, anstatt einfach schnell in Real Life die Treppe zum Wohnzimmer raufzugehen. Ich habe so viele Gedanken auf einmal. Über ein Land, das meine zweite Heimat geworden ist. In dem in den letzten Jahren so viel aus dem Ruder gelaufen ist. Aber das scheint es nicht nur hier, sondern irgendwie weltweit. Und ich frage mich: Könnt ihr Menschen einfach mal aufhören, scheiße zu sein?
„Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der nicht danach strebt, zu spalten, sondern zu vereinen. Einer, der nicht rote und blaue Staaten, sondern die Vereinigten Staaten sieht. Ich strebe dieses Amt an, um die Seele der Nation wieder aufzubauen […] und Amerika wieder zu einem Land zu machen, das in der Welt respektiert wird.“ Ja, Joe Biden sieht ein bisschen so aus, als hätte man ihn gleich neben dem Grab von Nofretete gefunden. Er ist ungefähr so taufrisch wie ein drei Tage alter Donut aus der Mikrowelle – aber was er in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg sagt, könnte nicht wichtiger und richtiger sein.
Was ist kaputt mit den Menschen? Ich starre die Brezelsticks an. Warum wollen wir überhaupt etwas spalten? Warum tapezieren wir die Kommentarspalten online mit Hass, warum begegnen wir anderen mit der Offenheit einer vernagelten Brettertür und der sozialen Intelligenz einer funzeligen Glühbirne? Den Menschen gibt es jetzt schon seit ein paar Jahrtausenden und ich schäme mich zutiefst, dass wir immer noch Kriege führen und Hass schüren. Um Reviere, um Glaubensrichtungen, äußere Erscheinung, darum, wen wir lieben und wo wir leben. Sind wir wirklich so unterbelichtet, dass wir nach all der Zeit immer noch nicht verdammt noch mal friedlich gemeinsam auf diesem Planeten leben können, bevor er in absehbarer Zeit wegen unserer unermesslichen Blödheit sowieso in Flammen aufgeht?
Manchmal setze ich mich hin und versuche mir vorzustellen, wie der gemeine Hassmensch so tickt. Ich stelle mir vor, meine Nachbarin wäre Buddhistin, mit einer Frau verheiratet und hätte eine dunkle Hautfarbe. Dann würde ich an meinem Fenster stehen und außer mir sein, weil sie an einen anderen Gott glaubt als ich, ein anderes Liebesleben führt als ich und anders aussieht als ich.
Ich brech zusammen. Habt ihr echt so ein scheißlangweiliges Leben, so wenig Vertrauen in euren eigenen Glauben, so schlechten Sex oder so ein mieses Selbstbewusstsein, dass euch das so dermaßen kratzt, was andere tun?
Ganz ehrlich: Meine Nachbarin könnte in ihrem Garten ein goldenes Einhorn anbeten, einen Harem heiraten und ihre Haut könnte aus Echsenschuppen bestehen – ich habe gar keine Zeit, mich mit sowas zu beschäftigen. Denn glücklicherweise ist mein eigenes Leben so interessant, dass ich mir keine Sorgen darum machen muss, was andere tun oder wie sie gerade aussehen. Wenn ich außerdem mal kurz davon Abstand nehmen würde, dass ich der Nabel der Welt bin, dann könnte mir sogar der Gedanke kommen, dass sie mich genauso „anders“ findet, wie ich sie. Denn davon auszugehen, dass man selbst der Maßstab aller richtigen Dinge ist, ist ungefähr so intelligent, wie auf einer Sandbank Schlittschuh zu laufen.
Manche würden nun sagen, dass aber die Feindschaft schon seit Jahrhunderten besteht und historisch begründet ist. Toll! Dann kann ich ja jetzt dem Typen am anderen Ende der Straße endlich einen Spaten über den Schädel zu braten. Weil schon sein Ur-Ur-Großvater meinem Ur-Ur-Großvater einen Spaten übergebraten hat. Der Grund, warum das passiert ist, liegt zwar schon 150 Jahre zurück und hatte komplett andere Umstände als unsere aktuelle Lebensrealität, aber scheiß drauf – Hauptsache ich kann irgendwo draufhauen und es mit Geschichte rechtfertigen. Merkste selbst, wie dumm das ist, ne?
Die Logik, warum sich in Kriegen Menschen umbringen, die sich noch nie zuvor begegnet sind und sich nie gegenseitig persönlich etwas Böses getan haben, hat sich mir übrigens noch nie erschlossen.
Ja, „die Franzosen“ haben meinen Großvater damals während eines Transports in offenen Güterwaggons während der Kriegsgefangenschaft von Brücken aus mit Steinen beworfen. Was genau haben jetzt ich und ein im Jahr 2000 geborener Franzose mit der ganzen Scheiße zu tun? Richtig – gar nichts!
Weiterhin ist mir nicht klar, wieso eine unterschiedliche Hautfarbe immer noch eine riesige Sache ist, während eine andere Augenfarbe offenbar noch nie ein Grund zu rassistischem Gülle-Ausfluss war. Aber ich kann eines garantieren: Menschsein bedeutet nicht, wie ein Vollhonk gröhlend mit einem Knüppel in den Wald zu ziehen, sondern dem anderen aufrecht mit Würde, Respekt und Verständnis entgegenzutreten. Ich muss nicht alles gut finden und übernehmen, aber ich sollte in der Lage sein, andere ihr Leben leben zu lassen, und wenn nötig die Größe haben, als erster die Hand auszustrecken.
Ziemlich einfach bringt es die Goldene Regel auf dem Punkt: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Kann doch nicht so schwer sein, oder?
Übrigens: Je mehr Vorurteile Menschen gegenüber anderen Menschen, Kulturen, Glaubensrichtungen, Lebensstilen oder Ländern haben, desto weniger haben sie oft von genau diesen Dingen in ihrem Leben gesehen und erlebt. Liebe Wutknubbel da draußen: Macht doch mal eine Reise! Und zwar nicht vorm Fernseher oder Computer in eurer Facebook-Bubble. Als Journalistin und Vielreisende habe ich bisher drei Kontinente und zahlreiche Länder gesehen, bei Mormonen gelebt, Amische besucht, mit Muslimen gefeiert und mit Buddhisten in einem Tempel meditiert. Neugier schafft Wissen, Verständnis und vor allem einen ruhigen Geist, der sich nicht mehr über alles aufregt – schon gar nicht darüber, wie jemand anderes denkt, glaubt oder liebt.
Ich räume die Tüte mit den Brezelsticks weg. Langsam wird es kalt und morgen soll es schneien. Ich weiß, dass Joe Biden nicht die Rettung des Abendlandes ist, doch es ist ein gutes Gefühl, nach Jahren voller Hassgeschnodder und Lügen endlich ein paar Worte der Versöhnung zu hören. Ja, es sind nur Worte. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Wieso also nicht mit so etwas einfachem wie ein paar Worten. Kostet nichts, tut nicht weh und macht diese Welt ein kleines bisschen weniger scheiße.
Don Pedro (Donnerstag, 18 März 2021 17:57)
Sarah, Du hast mit Deinen Ansichten zum Thema Hass gegenüber Anderen den Nagel auf den Kopf getroffen.
Die, die sich so garstig und gefährlich dumm benehmen, sind durch jahrzehntelange Indoktrinationen aus dem System so geworden. Vermutlich leuchtet im Herzen derer immer noch ein kleines Licht der umfassenden Liebe, mit dem sie auf die Welt gekommen sind. Nur erinnern sie sich nicht mehr daran und lassen ihren Unmut über sich und die Welt an Anderen aus.
Ich merke es des Öfteren an mir selbst, wenn ich anfange an Anderen herumzukritisieren, anstatt mich selbst zu reflektieren.
Zu erkennen, dass ich selbst mein Erschaffer für Glück, Liebe, Zufriedenheit, Gemeinwohl und Frieden bin, ist die größte Herausforderung im Leben.
Die "Transsurfing"-Methode von Vadim Zeland, mit der ich mich seit Kurzem beschäftige, ist eine Möglichkeit, seine eigene Realitätssicht/erlebte Wirklichkeit zu steuern und damit Frieden zu säen.
Wenn das nur Jeder machen würde .............