Eine dünne Nebelschicht liegt über den Spitzen der Golden Gate Bridge, als ich San Francisco im Morgenlicht verlasse. Es geht zurück nach Hause. Irgendwie. Ein seltsames Gefühl. Aber noch liegt ein Monat vor mir. Ein Monat in der wilden Natur des Nordens der USA. Blaue Seen, Schnee, dunkelgrüne Tannen, heiße Quellen. Ein Monat, in dem ich versuche, komplett ohne Motels auszukommen und möglichst oft privat zu übernachten. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben bei Couchsurfing angemeldet.
Rot schimmert die Rinde der uralten und riesigen Bäume in den Muir Woods. Der Nationalpark befindet sich kurz hinter San Francisco. Ein Bach plätschert, wirft Schaum auf. Moos hängt von kahlen Ästen wie Lametta. Schließlich flüchte ich vor brüllenden Touristen auf einen weniger genutzten Weg und wandere zwei Stunden fast allein durch die wunderschönen kalifornischen Redwoods.
Nun ja. Oder auch nicht so ganz. Mein nächster Stopp ist Carson City in Nevada am unglaublich klaren und blauen Lake Tahoe. Hier übernachte ich wieder mit Couchsurfing. Doch als ich am nächsten Tag um sieben Uhr morgens vor die Tür gesetzt werde, weil der Host keine Gäste in seiner Wohnung duldet, während er arbeitet (ohne mir das vorher mitzuteilen), bin ich doch – wie man in Deutschland so schön diplomatisch sagt – irritiert. Doch wie immer hat alles im Leben einen tieferen Sinn. Denn so treffe ich am See die Familie Dunford aus Salt Lake City. Wir verbringen den Tag zusammen, gehen kayaken und am Ende laden sie mich zu sich nach Salt Lake City ein, da ich dort in wenigen Tagen vorbeikommen werde. Meine zweite Nacht in Carson City verbringe ich dann übrigens spontan in einem Motel. Ich war wohl einfach zu irritiert.
Der Weg nach Salt Lake City erscheint mir wie eine Vision. Schwarze und rote Bergumrisse spiegeln sich auf weißen Salzflächen, wo die Hitze Wasser suggeriert, das dann gar nicht da ist. Oder doch? Meile um Meile zieht sich der Highway durch diese apokalyptisch-interessante Landschaft. Ab und an unterbrochen von Sendemasten und flirrenden Gebäudeumrissen, die auch UFO-Landeplätze sein könnten. Die Wüste ist zurück. Willkommen in Utah!
Am letzten Tag fahren wir in den Wintersport-Ort Park City und wandern auf 3000 Metern Höhe zu einem Bergsee. Dort hängt ein Seil von einem Baum, mit dem man sich ins Wasser schwingen kann. Ich zögere. Ist das Wasser wohl kalt? Sind da nicht Felsen unter der Oberfläche? Claire springt. „Just do it!“, ruft sie dann und lacht hell. You only live once, denke ich, greife das Seil, nehme Anlauf und springe. Alles loslassen. So Vieles habe ich geplant für diese Reise – und jetzt am Ende lasse ich die Fäden aus der Hand gleiten. Kein Plan. Alles ist möglich. Ich grinse, als ich aus dem Wasser auftauche. Es ist nicht kalt und die Felsen sind weit weg. Am Abend gehe ich mit Claire in einen Yoga-Kurs. Zum ersten Mal in meinem Leben. Jetzt habe ich noch zwei Wochen auf meinem Weg nach Chicago. Zwei Wochen, um möglichst viele Dinge zum ersten Mal in meinem Leben zu tun. Im wilden Norden.
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