„Was, vier Monate?“, ruft mein Papa entsetzt, während er beinahe ein Stück Flammkuchen auf eine Ente schleudert.
Es ist Herbst 2016, wir sitzen in einem Biergarten in Oberhausen und ich habe gerade meine allererste Langzeitreise gebucht. Vier Monate kommen uns beide in diesem Moment vor wie vier Unendlichkeiten. Ich bin aufgeregt wie ein Schnitzel, während mein Papa mich schon mit einem Sargnagel im Kopf am Highway liegen sieht.
Was damals als einmaliger Lebenstraum geplant war, ist zu meinem Lebensstil geworden. Das Reisen hat mich nicht mehr losgelassen. Vor allem das Vielreisen und Langzeitreisen.
Als ich im Sommer 2021 nach Costa Rica fliege, fragt mein Papa mich, für wie lange.
„Zwei Wochen“, sage ich.
„Och, nur? Warum denn nicht wenigstens einen Monat?“
Ich muss lachen.
Oft und lange unterwegs zu sein, verändert nicht nur einen selbst und die Menschen um einen herum, sondern auch die Art, wie man lebt und reist, das Gefühl von Zuhause, den Freundeskreis und den Blick auf die Welt. Ein kleiner Einblick mit praktischen Tipps am Ende für alle, die eine längere Reise planen.
Mein Papa ist ein guter Seismograf, wenn etwas seltsam ist. Er hat dann immer diesen Blick, der unausgesprochen fragt: Biste scheel?
Als ich letztens für fünf Monate verreist bin, hatte ich einen Rucksack und einen Mini-Koffer dabei. „Und wo ist der Rest?“, fragt er und wirft mir diesen Blick zu.
Da ist kein Rest. Während ich vor zehn Jahren neben einem Rucksack und einer fetten Umhängetasche noch einen riesigen Wandschrank auf Rollen für einen dreitägigen Trip nach Berlin geschleift habe, hat sich mein Gepäck durch das viele Reisen extrem verringert. Und nee, ich werfe das nicht unterwegs im Landeanflug aus dem Flugzeugfenster. Ist ja keine Luftbrücke hier.
Je länger man unterwegs ist, desto mehr wird Gepäck zur Last. Und je mehr man von einem Ort zum anderen reist, umso mehr merkt man, wie wenig man überhaupt braucht, um glücklich zu sein. Früher hatte ich mehrere Paare Schuhe dabei, Kleider, Make-Up, Schmuck, große Flaschen Shampoo und ganz viel Kram, den ich aus dem Alltag zu Hause gewohnt war und für unverzichtbar hielt.
Heute wasche ich dieselben Shirts mehrfach – und manchmal auch mit Handwasch-Seife in dubiosen Motel-Spülbecken. Ich bin von Mode-Statements auf praktische Sachen wie winddichte, ultraleichte Hosen, die man mit Reißverschluss von lang in kurz verwandeln kann, umgestiegen. Macht das Teil gleichermaßen komfortabel bei 35 Grad im Regenwald und bei null Grad im Schnee. Und von Shampoos, Deos und Cremes gibt es oft Mini-Varianten in der Drogerie. Mit denen man überraschend lange auskommt.
Also: Viele und lange Reisen bedeuten nicht viel Gepäck, sondern eher weniger.
Seit rund fünf Jahren reise ich etwa sechs Monate im Jahr. Nicht immer am Stück. Manchmal aber schon. Die Millionen-Dollar-Frage ist: „Wann bist du denn mal wieder zu Hause?“
Eine Frage, die mich immer öfter nachdenklich macht. Ja, wo ist denn dieses Zuhause eigentlich? Und was ist es? Oft denken wir, das müsste ein fester Ort sein. Ein Gebäude. Eine Stadt. Eine Adresse.
Ich glaube aber, Zuhause ist immer da, wo man sich gut fühlt.
Natürlich bedeuten mir die Menschen, die ich seit meiner Kindheit kenne, besonders viel. Nach einer langen Reise zu ihnen zurückzukommen, ist definitiv „Zuhause“. Auch das Haus meiner Großeltern, wo ich aktuell wohne, ist ein echter Feel-Good-Ort. Da hatte ich als Kind einen selbstgebauten Sandkasten, hab Fußball gespielt und zu Ostern hat Oma überall Ostereier versteckt. Einmal sogar in der Waschmaschine. Ich erinnere mich noch, wie mein Opa ihr deshalb einen Vogel gezeigt hat und meinte: „Du bist doch bekloppt!“ Ich glaube, ich bin mit ihr verwandt.
Zuhause sind für mich aber auch die USA, wo mein Freund lebt. Zuhause ist ein Airbnb im Dschungel oder ein winziges Hotelzimmer in Tokio oder mein Gästezimmer bei einer Freundin in St. Louis oder ein Zelt in der Wüste. Je mehr ich unterwegs bin, desto leichter fällt es mir, mich fix irgendwo ein bisschen einzurichten. Zuhause ist da, wo ich glücklich bin. Und von diesen Orten gibt es überraschend viele in der Welt.
Und genauso, wie es viele dieser Orte gibt, gibt es auch viele dieser Menschen. Viel zu reisen, bedeutet nicht, einsam zu sein, sondern eher, viele Menschen kennenzulernen. Menschen, die einem guttun. Die einem überraschende Sichtweisen, Lebensweisen, Traditionen und Geschichten zeigen. Die einen mitreißen und auf so unfassbar nahe Weise bereichern.
Wir Deutschen sind oft so distanziert und kühl. In anderen Kulturen öffnen Menschen, die fast nichts haben, noch um Mitternacht weit die Tür und laden einen selbstlos ein.
Das sind dann keine Freundschaften, bei denen man sich gemeinsam im Club besäuft, sondern Freundschaften, die dankbar machen.
„Freunde? Du hast den doch nur einmal gesehen!“, könnte man jetzt sagen. Aber manchmal gibt einem die kurze Begegnung mit einem Fremden in der New Yorker U-Bahn, dem Mönch in den Bergen oder dem warmherzigen Gastgeber im Airbnb mehr, als jahrelange Bekanntschaften, die nur noch aus Gewohnheit vor sich hinplätschern.
Ziemlich cool finde ich es ja auch, Menschen von Instagram oder Blogs mal persönlich zu treffen. Das habe ich erst letztens wieder zwischen zwei Flügen bei einem neunstündigen Aufenthalt in Seattle gemacht. Durch all diese Menschen wird die Fremde kleiner und die Welt größer. Aber zugleich auch näher.
Das Seltsamste nach einer längeren Reise ist immer der Geruch in der Wohnung. Kennt ihr das? Das ist irgendwas zwischen Ägyptergrab und der Butze aus Jumanji. Meistens reiße ich deshalb erstmal sämtliche Hüttenfenster auf. Dann will ich am liebsten das Gepäck abbrennen, weil ich überhaupt keine Lust habe, es auszupacken. Ein guter Trick ist, sein ganzes Zeug vor der Heimreise einmal zu waschen. Braucht man das immerhin später nicht mehr machen. Anschließend stehen Essen und Schlafen ziemlich hoch auf der Hitliste. Wobei ich bei Zeitverschiebungen durch den Jetlag meist die ersten drei Nächte erstmal Mittsommer feiere. Bis mindestens drei Uhr. Herrlich.
Ansonsten fühlt sich die Rückkehr nach jeder Reise unspektakulärer an. Für ausreichend Entertainment bei der Ankunft sorgt immer mein Papa, der entweder am falschen Terminal steht oder das Auto nicht mehr wiederfindet (running gag!). Dann gibt’s Tiefkühlpizza und anschließend einige Tage Auszeit von irgendwelchen Pflichten, um Freunde und Familie zu besuchen.
Gerade, wenn man länger weg war, lauern danach aber ganz geballt Arbeit, Arztbesuche, Reparaturen am Haus und Briefe vom Sparkassenberater (Boah hallo, ich bin gerade nach 5 Monaten wieder zurück und habe echt keinen Nerv, ausgerechnet jetzt meine Altersvorsorge zu optimieren!).
Und wenn ich dann irgendwann einfach mal auf der Couch sitze, mit einem Tee und ein paar Fotos vom letzten Trip, kommt heimlich mein Papa um die Ecke: „Wann bist du eigentlich wieder weg?“
Bestimmt gibt es noch viele weitere Tipps. Wenn du magst, kannst du mir dazu was in die
Kommentare schreiben. Leinen los!
Mehr dazu, warum und wie ich so viel reisen kann, findest du in meinem Artikel Digitale Nomadin: Ja verdammt, ich arbeite! Tacheles über Geld, Zeit und Reisen.
SquirrelSarah (Mittwoch, 03 Januar 2024 14:40)
Hallo Jochen,
entschuldige die lange Antwortzeit. Ich hatte mal wieder Kuddelmuddel im Leben - mein Opa ist leider kurz vor Weihnachten verstorben.
Wie schön, dass du mich/uns gefunden hast. Für mich hat sich an meinen alten Freundschaften eigentlich nichts geändert, obwohl viele Reisende anderes berichten. Ich kenne meine Freunde aber auch seit über 20 Jahren und seit der frühsten Kindheit - vielleicht kann uns deshalb nichts erschüttern, auch nicht, dass ich oft und/oder lange weg bin. Im Gegenteil, ich habe im Ausland sogar neue Freundschaften geknüpft. Manche sind natürlich reine "How are you"-Freundschaften auf WhatsApp geworden, andere Menschen habe ich aber sogar schon mehrfach erneut in ihrer Heimat besucht. Ansonsten habe ich wirklich tolle Leute und Gleichgesinnte über Instagram kennengelernt, von denen viele inzwischen mehr sind als bloß "Follower". Einige habe ich daraufhin auch schon im echten Leben besucht, wenn ich zufällig in der Nähe war.
Auseinandergegangen sind vielleicht Bekanntschaften, die schon vor meinem Reiseleben eher sporadisch waren. Da kam dann irgendwann von beiden Seiten kein großes Interesse mehr, weil die Freundschaft vorher schon nicht so stark war und man dann doch zu sehr in verschiedenen Welten lebt, um das fortzuführen.
Wie geht es euch da?
Liebe Grüße und gute Fahrt!
Sarah
Jochen (Dienstag, 12 Dezember 2023 09:33)
Wir sind aktuell auch Langzeitreisende mit einem Wohnmobil. Auf der Suche nach Gleichgesinnten bin ich auf eure Seite gekommen. Aktuell suche ich Infos wie es anderen Reisenden geht die lange unterwegs sind. Dabei interessiert mich, wie es mit den Freunden in der Heimat aussieht. Gehen Freundschaften auseinander und neue kommen, oder bleiben echte Freunde?