Wenn New York eine knallrote Chilischote mit gelbem Mais und violetten Bohnen ist, dann ist Washington D.C. die weiße, kalte Milch, die man im Anschluss trinkt. Bodenständige Säulen, massive Fassaden, polierte Messingschriftzüge. Die Metro zischt dahin, Teppich in den Gängen, die Sitze wie Ledersessel. Angenehm rascheln die hellgrünen Blätter der Baumkronen im Park im sanften und fast subtropischen Wind. Das ist die Stadt, in der „The Mall“ keine Einkaufsmeile ist und vermutlich sogar George Washingtons Klo Begeisterung hervorruft.
Mit dem Greyhound-Bus fahre ich von New York rund fünf Stunden – mit Stau – über die Interstate 95 nach Washington D.C. Vorbei an Philadelphia und Baltimore führt eine Strecke, die in etwa so spannend ist wie die Autobahn zwischen Bielefeld und Brandenburg. Es nieselt. Als ich in Washington ankomme, spüre ich sofort die veränderte Atmosphäre, die meine Airbnb-Gastgeberin später sehr treffend als „professional“ bezeichnet. Nett sind die Leute hier ebenfalls aber auf eine andere und distanziertere Weise als in New York.
Mich zieht es – wie schon in New York beim MoMa – in die National Gallery of Art. Sie ist so extrem riesig, dass ich eine Viertelstunde brauche, bis ich ungefähr weiß, wo ich bin, wo ich hin will und wie ich heiße. Dazwischen drehe ich zwanzig Mal die Karte um 180 Grad und laufe fünf Mal sinnlos zehn verschiedene Gänge rauf und runter, ohne auch nur ein einziges Werk zu sehen. Als ich dann aber endlich klarkomme, entdecke ich Monets, Rembrandts, van Goghs und extrem beeindruckende amerikanische Maler, wie Thomas Cole, von denen ich leider bisher kaum etwas gehört habe.
Etwas weniger beeindruckend ist das Weiße Haus. Es ist recht klein, extrem abgeschirmt mit Scharfschützen auf dem Dach und wirklich nur – auch wegen der momentanen
Bewohner – einen kurzen Spaziergang wert.
(Edit: Gestern war ich allerdings bei der Spring Garden Tour, wo man die Gärten des Weißen Hauses besichtigen darf. Der Garten des Präsidenten ist bloß zwei Mal
im Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich – was ein Glück, dass ich gerade hier bin!). Doch dafür entschädigt mich das unfassbar große und weiße Kapitol! Zwischen pinken Blüten bricht es
hervor und thront über der gesamten National Mall. Man kann es sogar besichtigen, muss sich dafür aber mehrere Monate im Voraus online anmelden, was ich verpasst habe.
Nun besteht Washington scheinbar nur aus dieser unendlichen Grünfläche und seinen Memorials – aber dem ist nicht so. Sowohl der Stadtteil Georgetown, als auch Old Town Alexandria (in direkter Nachbarschaft zu meiner Wohnung) sind wunderschöne, alte Stadtteile, die mit ihren Backsteinbauten, Blumen, kleinen Cafés und niedlichen Details ein bisschen an Norddeutschland mit einem Hauch von Amsterdam und Paris erinnern. Leider fahren auf fast allen Straßen Autos und es ist recht wuselig.
Völlige Stille gibt es auf dem Arlington Cemetery. Allerdings nicht am Grab von John F. Kennedy, wo nicht nur die ewige Flamme brennt, sondern auch ein ewiger Besucherstrom dem toten Präsidenten die Schweißperlen auf die vergängliche Stirn treibt. Als Kriegsgegner betrachte ich lange die endlosen Reihen weißer Grabsteinen gefallener Soldaten und spüre wieder einmal die extreme Sinnlosigkeit vom Kampf um Territorien und menschlichen Hass. Vielleicht ist der Friedhof von Arlington damit das für mich persönlich bedeutendste und einprägsamste Memorial von allen.
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