Wilder Westen: Fünf Wahrheiten über mein Leben im Cowboyland.

12. Dezember 2020

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Wilder Westen: Fünf Wahrheiten über das Leben im Cowboyland

„Wie nennt man einen Cowboy ohne Pferd? – Sattelschlepper.“ Ho ho ho. Vermutlich gibt es genauso viele dämliche Klischees und Witze über Cowboys, wie abgedroschene Sprüche über Blondinen. Aber stiefelt man im wilden Westen nicht jeden Abend gepflegt mit der Knarre unter dem Arm in den Saloon, um sich zehn Liter Whisky reinzuschütten, während der Indianer draußen das verdammte Pferd klaut?

 

Dadurch, dass mein Freund Amerikaner ist, hat sich der wunderbare Umstand ergeben, dass ich jedes Jahr mehrere Monate in den USA verbringe. Und zwar im Cowboy-Staat Wyoming. Mitten im Wilden Westen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle mal ein bisschen Licht in unsere von Karl May, Clint Eastwood und Django Unchained zerschossene Vorstellung dieses Landstrichs bringen. Laufen hier wirklich alle mit Kanone und Lasso rum? Reiten wir auf dem Pferd zum Walmart und sitzt abends tatsächlich jeder sternhagelvoll in der Bar? Fünf Wahrheiten über das Land der Cowboys – nicht nur für Europäer zum Nachdenken und Schmunzeln. Mein Leben im Wilden Westen von Wyoming.


Wo liegt eigentlich dieses Wyoming?

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Wyoming - ein Rechteck im Wilden Westen

1. Der Wilde Westen ist voller Cowboys

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Kühe unterwegs im Wilden Westen

Es gibt Orte auf dieser Welt, die sind ganz schön durch die Filmindustrie gespoilt. Der Wilde Westen gehört dazu. Denn die meisten Western beziehen sich entweder auf eine längst vergangene Zeit oder machen Kasse mit Klischees.

Erst mal: Cowboy bedeutet nichts anderes als „Viehhirte“. Voll uncool – klingt so nach Schafsherde bei Maria und Josef. Ist aber so.

 

Die Blütezeit des Cowboytums liegt zwischen 1860 und 1880. Weil damals in Texas Millionen Kühe wild herumeierten, brauchte man Leute, um das Viechzeugs einzufangen. Davon waren etwa ein Viertel Afroamerikaner, die zwar keine Sklaven mehr waren, aber auch weder Arbeit noch Besitz hatten. So viel schon mal zum Lasso schwingenden, weißen Mann. Der Job war außerdem kein wildes Abenteuer, sondern pure körperliche Plackerei mit täglich über 12 Stunden auf dem Pferd, Reparaturen aller Art auf der Ranch und Gefahren durch Diebe und Mörder. Dann doch lieber Steuerberater werden.

 

Am meisten vergleichbar mit den damaligen Cowboys sind heute die Rancher. Landwirte. Für Touristen gibt es Veranstaltungen wie Rodeos, die die Cowboyzeit aufleben lassen. Auch das nachbarschaftliche Miteinander der Menschen und die Architektur in Wyoming erinnern an die Ära der Cowboys.

► Ja, der Wilde Westen hat immer noch ein paar „Cowboys“. Allerdings zwei Arten, die nicht mehr viel mit dem Filmklischee zutun haben: Entweder Arbeiter, die auf Farmen den Ranchern helfen und Vieh treiben, aber zugleich moderne Pick-up Trucks fahren, oder Rodeo Cowboys, die ihr Können in Shows zeigen.

2. Wilder Westen: Viele Knarren und ständige Schießereien

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Achtung, hier wird scharf geschossen - auch auf Schilder

In Wyoming wird das Recht, eine Waffe zu besitzen, als Grundrecht angesehen. In der Verfassung des Bundesstaates heißt es: „The right of the citizens to bear arms in defense of themselves and the state shall not be denied.”

Im Klartext: „Das Recht, sich selbst und den Staat – aha? – zu verteidigen, wird nicht verweigert.“

 

Gewehre, Flinten und Pistolen sind frei verkäuflich, benötigen keinen Besitzschein, keine Erlaubnis und müssen auch nirgendwo registriert werden. Klingt ganz schön verrückt für den gemeinen Deutschen, der schon denkt, dass in der Bank laut „Scheiße!“ rufen fast sowas wie ein nuklearer Angriff ist.

 

Die ganzen Waffenerlaubnisse gelten übrigens nur, wenn man amerikanischer Staatsbürger ist oder eine Green Card (ständige Aufenthaltserlaubnis für die USA) besitzt. Das heißt, ich als Deutsche darf nicht einfach in den Knarrenshop latschen und mir das nächstbeste Sturmgewehr in der Farbe Pink mit Glitzer kaufen.

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Land und Leben verteidigen in den USA

Trotz der sehr freien Waffengesetze in Wyoming existieren Räumlichkeiten, in denen es generell verboten ist, eine Waffe zu tragen. Dazu gehören Gefängnisse, Gerichte oder Krankenhäuser.

 

Dann wiederum ist da die sogenannte „Castle Doctrine“, die einem das Recht gibt, jeden zu erschießen, der einem auf dem eigenen Anwesen als tödliche Gefahr erscheint. Was natürlich schon zu vielen Kontroversen geführt hat. Denn ab wann genau erscheint jemand als tödliche Gefahr? Ist das nicht einfach eine gute Gelegenheit, den blöden Nachbarn zu beseitigen, der jeden Sonntag diese stinkenden Fischbrötchen grillt?

 

Im Jahresdurchschnitt sterben in Wyoming mit seinen 500.000 Einwohnern übrigens etwa 110 Menschen durch Waffen. Rund 90 Prozent sind Selbstmorde, 10 Prozent sind Morde. Das lasse ich an dieser Stelle unkommentiert, aber es macht doch nachdenklich.

► Ja, im Wilden Westen haben sehr viele Menschen eine Knarre. Nein, es gibt trotzdem nicht dauernd Schießereien. Ich habe hier ehrlich gesagt noch keinen einzigen Schuss gehört und es ist so sicher in der Stadt, dass man nachts die Türen nicht abschließen muss. Vielleicht auch, weil jeder weiß, dass jeder eine Knarre hat und damit schießen darf.

3. Im Wilden Westen reitet man ein Pferd

Wilder Westen Wyoming: Pferde und Cowboys
Viel Platz für viele Pferde in Wyoming

Tatsächlich leben in Wyoming viele Pferde. Aber auch Kühe, Bisons, Rehe, Elche, Berglöwen und Bären. Und Eichhörnchen. Eichhörnchen sind wichtig. Ich liebe Eichhörnchen. Ich schweife ab.

Auf etwa 500.000 Einwohner kommen in Wyoming 1,3 Millionen Kühe und 99.000 Pferde. 6.000 Pferde sind Wildpferde. Laut Federal Bureau of Land Management soll die Population auf 3.000 begrenzt bleiben, weshalb jedes Jahr die Hälfte der Pferde zusammengetrieben und in andere Bundesstaaten verschifft wird. Pferdelasagne, hust.

 

Viele Wanderwege in den Bergen sind sogenannte „Horse Trails“. Menschen hier lieben es, auf einem Pferd einen Pfad entlangzureiten. Einfach so aus Spaß. Dann sind da noch die Jäger, die während der Saison mit Pferden auf die Jagd nach Wild gehen.

 

Der klassische Cowboy, der auf dem Pferd zum Saloon reitet, existiert dagegen nicht mehr wirklich. Die Amis lieben ihr Auto, das in Wyoming meist in Form eines Pick-up Trucks auftritt, von denen es nach meiner Ansicht ebenfalls eine Überpopulation gibt. Er fährt damit selbst zum Briefkasten um die Ecke. Etwas Exotisches wie Fußgänger sieht man eher selten.

Ja, im Wilden Westen reiten ein paar Leute und Touristen manchmal noch aus Spaß in der Freizeit mit dem Pferd. Ansonsten haben die Pferde unter der Motorhaube eindeutig das Zepter übernommen.

4. Der Wilde Westen und das abendliche Besäufnis im Saloon

Saloons und Architektur im Westen der USA
Gibt es noch den echten Saloon im Wilden Westen?

Der Saloon. Ein mystischer Ort. Wo man spät am Abend auf seinem Barhocker sitzt, Whiskey runterstürzt, die Knarre auf dem Tresen, bereit, wüst über Politik und Sport zu debattieren, wenn man nicht schon zu blau ist.

 

Überraschung: Der Begriff Saloon kommt gar nicht aus dem Wilden Westen. Den haben die Amerikaner von den Franzosen und Deutschen geklaut, die im 18. Jahrhundert das Wort „Salon“ benutzt haben.

Ein Saloon war auch nicht einfach eine Kneipe, sondern konnte vom einfachen Holzverschlag bis zu protzigen Häusern mit Theaterbühne reichen.

Warum rede ich in der Vergangenheit? Ganz einfach – die meisten Saloons sind während der Prohibition verschwunden. Die Prohibition war zwischen 1920 bis 1933 und gilt als die Zeit, in der Alkohol in den USA verboten war. Ja, verboten. Komplett. Und ihr denkt, wir hätten 'ne Diktatur, weil wir im Aldi 'ne Maske tragen müssen, während wir drei Kästen Krombacher aus dem Laden schleppen.

 

Egal jetzt. Den eigentlichen Saloon, wie wir ihn uns vorstellen, gibt es im Wilden Westen bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht mehr. Dafür aber Avocado-Hipster-Cafés, Thai-Grills und Steakhouses.

Nein, hier geht man nicht jeden Abend in den Saloon und lässt sich volllaufen. Natürlich existieren diverse Bars, an denen man sich einen halben Liter Wodka mit Diesel reinziehen kann. Doch die meisten Menschen glotzen hier abends Netflix auf der Couch. Voll 21. Jahrhundert!

5. Wilder Westen – romantische Sonnenuntergänge über der Prärie

Sonnenuntergänge im Wilden Westen, reiten in den Sonnenuntergang
Traumhafte Sonnenuntergänge über der Prärie

Prärie ist vereinfacht gesagt Steppe. Und davon haben wir hier viel. Genauso viel wie Berge und unendliche Weiten. Hier kann man stundenlang wandern, ohne eine Seele oder ein Haus zu sehen. Es ist wahrscheinlicher, auf einem Kuhfladen auszurutschen, als auf dem schleimigen Gelaber seiner Mitmenschen.

 

Und weil hier keine Bauten den Horizont verdecken und kaum künstliches Licht die Nacht verschmutzt, haben wir grandiose Sonnenuntergänge und fabelhafte Sternenhimmel. Hinzu kommt, dass der Ort, in dem mein Freund und ich leben, über 300 Sonnentage im Jahr hat. Bevor jetzt jemand zu neidisch wird: Im Oktober hatten wir Schneesturm und minus 21 Grad. Sonnig heißt nicht warm. Seid gewarnt.

 

Wer also dreißig Jacken, Skiunterwäsche (lange Unterhosen nennen wir hier „Long Johns“), Mütze und Winterstiefel bis zum Kinn mitbringt, kann den oft starken Winden hier draußen trotzen und die fabelhaftesten Himmelspanoramen sehen.

Ja, es gibt wahnsinnig viele, romantische und bunte Sonnenuntergänge über der Prärie im Wilden Westen.


Wilder Westen – viele Gerüchte, viele Klischees. Die Geschichten sind entweder immer noch wahr oder entstammen einer realen Vergangenheit. Die war allerdings bei Weitem nicht so glorreich, wie sie uns im Kino vorgegaukelt wird.

Ansonsten leben wir hier genauso so im 21. Jahrhundert wie Menschen in New York, Berlin oder Tokio. Manchmal kacken in der Prärie die mobilen Daten ab oder mitten auf der Straße steht eine Kuh. Das war aber auch beinahe schon die ganze Wildheit, die hier abgeht. In meiner zweiten Heimat, dem Cowboyland Wyoming.

 

Mehr über die Wildnis und Schönheit des Landes findest du in meiner Liebeserklärung Ich bin raus! Tausche verrückte Welt gegen weite Wildnis.

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