Yellowstone: Am Offenen Herzen der Erde.

13. Juli 2017

Grand Prismatic im Yellowstone National Park
Extrem wunderschön: Grand Prismatic

You want it darker, we kill the flame”. Leonard Cohens tiefe Stimme erfüllt das Auto. Direkt neben uns donnert ein dunkelblauer Strom dahin. Überschlägt sich, spaltet sich an spitzen, gelben Felsen und stürzt dann ins Nichts. Hinter der nächsten Kurve dampft es. Aus einem türkisblauen Krater steigen heiße Wolken auf. Als wir anhalten und ich hineinblicke, ist es, als würden all meine Worte und Gedanken in seine endlose, klare Tiefe stürzen. Eine Operation am offenen Herzen der Erde. Neben mir steht mein Gastgeber und lächelt mild. Er ist 70 und rennt mir auf einem 3000 Meter hohen Berg davon. Yellowstone. Ein Blick auf die Welt, der meinen Blick auf die Welt für immer verändern wird.

 

Für drei Tage lebe ich jetzt in Cody, einer kleinen Westernstadt in Wyoming vor den Toren des Yellowstone National Parks. Bei Paladin. Er ist 70 Jahre alt, hat lange graue Haare, ein verschmitztes Grinsen, trägt einen Ranger-Hut und besitzt unendliches Wissen über den Park. Kennengelernt habe ich ihn über Couchsurfing, wo er einen Platz in seinem großen Holzhaus anbietet. Seine Frau wandert nicht mehr. Doch seine Energie reicht vermutlich noch für die nächsten 200 Jahre – also lädt er Reisende zu sich ein und erkundet mit ihnen die Umgebung.

Old Faithful - Der erste Geysir meines Lebens

Geysir Old Faithful im Yellowstone National Park
Extrem zuverlässig: OId Faithful
Als wir losfahren, läuft Bob Dylan auf seinem MP3-Player. How does it feel to be without a home. Like a complete unknown, like a rolling stone.

Kurz darauf landen wir bei Old Faithful. Der wohl zuverlässigste Geysir aller Zeiten, der pünktlich wie ein deutscher Beamter ausbricht. Nur etwas spektakulärer. Erst faucht es. Dampf steigt auf. Dann auf einmal sprudelt es. Und plötzlich schießt Wasser in den blauen Himmel. Wie ein Springbrunnen. Nur eben ohne eine von Menschen gebaute Maschine. „Nachts schalten sie den aus“, juxt Paladin. Wir lachen. Wir lachen viel. Er hat ein tiefes Verständnis von Natur, Kraft und Lebendfreude. Er kann 16 Stunden am Stück Auto fahren, stürmt voller Begeisterung steile, staubige Hänge ohne Befestigung hinauf und nimmt mich mit. Über meine Grenzen hinaus. Ich ächze, stolpere, fluche. Und finde die ultimative Freiheit in reißenden Strömen und auf Berggipfeln, auf denen ich Schnee und fast den Himmel berühre.


Grand Canyon, Nationalparks USA

Naturwunder Mammoth Hot Springs

Terrassen der Mammoth Hot Springs im Yellowstone National Park
Fast wie Schnee: Die Mammoth Hot Springs

Am zweiten Tag fahren wir zu den Mammoth Hot Springs. Die vielen, kleinen Terrassen sehen aus, als wären sie aus Eis. Doch sie bestehen als Kalk. Heiße Quellen plätschern an ihnen herunter. Ich atme eine Wolke ein, die nach fauligem Ei riecht, weil ich meinen Mund nicht mehr zubekomme. All das befindet sich auf der Welt, in der wir leben. Es ist von einer Schönheit, die einen zur Verzweiflung treibt, weil es keine Worte gibt, um sie zu beschreiben. Eine Reise durch Yellowstone ist eine Reise in die Geschichte unserer Entstehung. Nicht im Museum, nicht in einer Dokumentation, sondern so heiß, donnernd und real, dass man vergisst, zu atmen. (Was vielleicht auch besser ist wegen der Sache mit dem fauligen Ei.)

Am dritten Tag nimmt Paladin mich mit auf den Gipfel des Mount Washburn. Auf 3115 Meter Höhe. Unterwegs werfen wir Schneebälle, lachen über Bison-Scheiße und plötzlich vergesse ich, wie anstrengend die Wanderung ist, und bin oben. Der Wind fegt um die kleine Ranger-Station auf der Spitze des Felsens. Ein Streifenhörnchen flitzt um die Ecke. Unten im Tal liegt blau glitzernd der Yellowstone Lake, der große Canyon und ein endloser Teppich aus Tannen.

Beartooth Highway - Eine Traumstrasse

Bloggerin am Schild des Staates Wyoming
Traumstraßen, Traumland: Verliebt in Wyoming

Nachmittags fahren wir über den Beartooth Highway. Eine der schönsten Straßen der Welt. Schneefelder ergießen sich in kleine Täler, bunte Wildblumen klammern sich an Abgründe und der Asphalt windet sich traumhaft auf und ab. Auf dem Bergpass hagelt es. Paladin leiht mir eine viel zu große, karierte und warme Jacke, in der ich wie ein Uhu aussehe.

 

Am Abend essen wir im kleinen Bergdorf Red Lodge. Danach fahren wir in den Sonnenuntergang zurück nach Cody. Am Himmel explodieren Sonnenstrahlen, rosa Wolken und dunkelblaue Schichten aus Schatten und Sturm. You want it darker, we kill the flame. Ein Bild von Caspar David Friedrich ist dagegen eine lahme Bleistiftskizze. Ich lehne mich in meiner Uhu-Jacke zurück. Keiner sagt etwas. Aber es ist kein peinliches Schweigen, sondern die unglaubliche Stille eines Moments, der mehr als perfekt ist. Yellowstone. Als ich am nächsten Tag weiter muss, lache und heule ich über eine Stunde lang im Auto, obwohl ich wieder ganz alleine bin.

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