„Oha“, denke ich, während ich den silbernen Karabinerhaken in der Hand halte und seltsame Gurte lose um meine Beine baumeln. „Es wird mal wieder Zeit, sich zu blamieren.“
Mein Freund und ich sind zwei Wochen lang auf einem Roadtrip durch Costa Rica. Und seit er mir von seinem Zipline-Abenteuer in Ecuador berichtet hat, konnte ich nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie es wäre, an einem dünnen Seil hoch über den Urwald zu rattern.
Jetzt ist es also so weit. Fantastischerweise habe ich nur die Hälfte der Anweisungen des Guides verstanden, stehe auf einer winzigen Holzplattform, die höher ist als der Everest und muss daran denken, wie ich meinem Lehrer in der 7. Klasse mal aus Versehen einen Volleyball an die Waffel gepfeffert habe, weil ich ein absoluter Totalausfall bin, sobald es um Sport geht.
Wie wir dieses Abenteuer gemeistert haben, warum wir 15 Kilometer bei sengender Sonne und 90 Millionen Prozent Luftfeuchtigkeit durch den Dschungel gewandert sind, was der Schrankenwärter mit der Waffe wollte und wo wir ein kleines bisschen Yellowstone-Feeling mitten im Regenwald gefunden haben: jetzt hier im zweiten Teil meines rasenden Reiseberichts über unseren Roadtrip durch Costa Rica!
Ich liege in der Hängematte an unserem Airbnb und versuche wild, ein Worddokument vom Handy meines Freundes zu versenden. Vor ein paar Tagen hat mein Laptop mitten auf einer abgelegenen, karibischen Halbinsel beschlossen, seinen Geist auszuhauchen und jetzt geht aufgrund von Starkregen das W-Lan im Airbnb nicht. Erfreulicherweise bin ich digitale Nomadin und freie Texterin und muss gerade jetzt einen Artikel für einen Kunden schreiben und rausschicken. Danke, Karma, ich verstehe.
Also habe ich den Text nun auf dem Laptop meines amerikanischen Partners geschrieben, sende das Dokument per Bluetooth an sein Handy, das ein Restvolumen an mobilen Daten frei hat, und fuchtele damit auf der Suche nach Empfang wild auf der Terrasse herum. Arbeiten hart am Limit. Wusstet ihr übrigens, dass amerikanische Tastaturen kein Ö, Ü, Ä oder ß haben? Ich sag's nur.
Nachdem die Herausforderung gemeistert ist, beschließe ich, etwas Entspanntes zu tun und google den nächsten Nationalpark, den wir uns anschauen wollen. Rincón de la Vieja. Auf einmal zeigt Google News mir Fotos von einem Asche spuckenden Vulkan mit dem fröhlichen Hinweis „vor zwei Tagen“. Ich bin augenblicklich total unentspannt.
„Guck mal, da fahren wir morgen hin“, sage ich und halte meinem Freund die News unter die Nase.
Der Rincón de la Vieja Vulkan stößt öfter mal Asche aus. Allerdings war der neuste Ausbruch der stärkste seit 25 Jahren. „Ist der Nationalpark noch offen?“, fragt mein Freund leicht beunruhigt.
Ich schaue nach. Ist er. Wir fahren hin. Das miese Karma ist ja jetzt aufgebraucht.
Gleich hinter dem riesigen Baum mit den meterhohen Wurzeln, die aussehen wie Drachenfüße, riecht es verdächtig nach faulen Eiern. Der Rincón de la Vieja National Park hat nicht nur einen Vulkan, sondern auch alle möglichen geologischen Aktivitäten, die dazugehören: Fumarolen (Gase und Wasserdämpfe, die aus Erdspalten quellen), Schlammtöpfe (bubbelnde, heiße Matschlöcher) und Thermalquellen (siedende, bunte Wasserquellen, die wegen Schwefelwasserstoff und Sulfiden nach faulem Ei stinken).
Wir blicken über den dunkelgrünen tropischen Wald, aus dem mysteriöse Dampfsäulen emporsteigen. „Das ist Yellowstone im Dschungel!“, ruft mein Freund voller Begeisterung.
Wir wandern zu orange-silbernen Quellen, einem blubbernden Matsch-See mit gelben Sprenkeln, die ihn wie ein riesiges Spiegelei erscheinen lassen, und zu gähnenden Felslöchern, aus denen heißer Wasserdampf braust. Tanzend verfängt er sich zwischen den rötlichen Baumstämmen und wird durch Sonne und Schatten in einzelne Streifen geschnitten.
Auf dem Weg zurück vom Nationalpark zum Airbnb poltern wir mit dem Auto eine schmale Straße mit Schlaglöchern hinunter, an deren Ende ein Schrankenwärter steht, den wir schon am Morgen fürs Parken am Nationalpark bezahlt haben. Zusätzlich zum Eintrittsticket.
„Wenn wir noch mal irgendwo Wegegeld zahlen müssen, dann fahren wir morgen nicht ein zweites Mal in den Park“, sagt mein Freund gespielt mürrisch.
„Dann brechen wir einfach durch die Barriere und rasen davon“, erkläre ich.
„Ich weiß nicht. Der Typ hatte eine Waffe“, erwidert mein Freund skeptisch.
Ich glubsche. „Echt?“ Dann überlege ich kurz. „Vielleicht bezahlen wir dann einfach was-auch-immer er sagt, fahren langsam durch die offene Schranke und dann rasen wir davon!“
Damit wäre dann auch meine Karriere als Bankräuber gestorben.
Am nächsten Tag sind wir zurück im Rincón de la Vieja National Park. Nachdem wir brav unsere 1.200 Colones – die Costa Ricanische Währung – bei der Schranken-Mafia abgedrückt haben. Was übrigens nur knapp zwei Euro sind.
Wegen der vulkanischen Ausbrüche sind die Wanderwege zum Krater leider schon länger gesperrt. Trotzdem gibt es neben dem Rundweg am Vortag noch einen weiteren Pfad. Zu zwei versteckten Wasserfällen. Die fünf Kilometer lange Strecke zum ersten Wasserfall ist steinig und steil. Zum Glück sind es nur 37 Grad und 90 Millionen Prozent Luftfeuchtigkeit. Mein Freund steppt, wie immer völlig unbeeindruckt vom Klima des Todes, den grünen Hügel zwischen den rötlichen Vulkansteinen hinauf, während ich einen blauen Vogel fotografiere und versuche, Atem zu schöpfen. Mein Kopf ist knallrot, meine Lungen platzen und meine Augen brennen. Scheiß Wasserfälle, ey.
Als wir nach 10.000 Jahren endlich ankommen, stecke ich mein Gesicht in das eiskalte, türkise
Wasser. Mir doch gerade egal, ob irgendein tropischer Krebs kommt und mir die Nase abbeißt.
Dann picknicken wir mit den Füßen im Wasser und ich sage aus unerfindlichen Gründen: „Lass uns doch auch noch zu den anderen Wasserfällen gehen.“
Die sind noch mal fünf Kilometer weit entfernt. Außerdem schließt der Park um 15 Uhr. Wir müssen uns beeilen. Wir stapfen also durch den Dschungel, dieses Mal zum Glück nicht einen Berg hinauf. Aber ich frage mich, warum ich ausgerechnet heute die gloriose Idee hatte, mein schweres Teleobjektiv mitzuschleppen.
Als wir an den anderen, fantastischen Wasserfällen ankommen, die von schroffen Felsen in einen grünen Pool stürzen, weiß ich es. In den Bäumen über uns raschelt es. Dann sehe ich den Affen. Wie er zu uns herunterschaut und geradezu zu winken scheint. Ich starte eine Paparazzi-Aktion.
Dann müssen wir aber dringend los, damit uns niemand im Nationalpark einschließt. Wir rasen noch einmal fünf Kilometer zurück und ich fühle mich wie in der Wüste Gobi. Unser Trinkwasser ist fast aufgebraucht und ich stolpere mehr, als zu wandern.
Als wir um 10 Minuten vor Exitus durch den Ausgang zum Auto hechten, krieche ich beinahe auf allen Vieren.
„Ich hol uns mal ein bisschen Soda!“, ruft mein Freund fröhlich und verschwindet zum Kiosk. Ich glaube, er macht noch einen Halbmarathon, wenn er 105 ist. Ich dagegen bin soeben offiziell gestorben.
Oder auch nicht, denn sonst würde ich jetzt nicht auf dieser kleinen Holzplattform 8.000 Meter über dem Dschungel stehen, in Gurte und Karabiner gewickelt, um an 13 Leinen insgesamt 3,5 Kilometer über den Nebelwald zu zippen.
Wir sind in Monteverde, im Selvatura Adventure Park, wo wir auf große Zipline-Tour gehen. Mein Freund ist bereits elegant über das erste Kabel gezippt, während einer der Guides meine Karabiner einklinkt. Ich fuchtele ein bisschen sinnlos mit meiner Hand herum, während ich mich nicht wirklich erinnere, was ich jetzt tun muss.
Dann gibt der Guide mir einen sanften Stups, ich rufe „huuaah!“ und schon zwiebel ich am Seil entlang über die Bäume. Weil ich denke, dass ich am Ende bremsen muss, halte ich mich etwas ungeschickt am Kabel fest und bleibe beinahe drei Meter vor der nächsten Plattform in der Luft hängen. Einer der Guides sagt etwas, das ich nicht verstehe, weil ich zum Glück kein Spanisch spreche, aber er grinst. Vermutlich war es Guck mal, die bekloppte Kuh! oder so.
Mir doch egal. Jetzt weiß ich, wie es geht, und es macht einfach gigantomanischen Spaß, an einem dünnen Seil über riesige Farne, Wolkenfetzen und violette Blüten in dichten Baumkronen zu schießen.
Ganz am Ende der Ziplines wartet noch eine Besonderheit auf uns. Der ein Kilometer lange Superman-Flug. Dazu werden wir am Rücken angegurtet, sodass man mit dem Kopf voran an der Zipline entlangschießt. Gerade in diesem Moment verdichtet sich der Nebel. Als ich mich von der Plattform abstoße, mache ich eine Faust und grinse. Dann tauche ich kopfüber ins weiße Nichts ein. „Holy shit!“, rufe ich. Gefolgt von: „Was mache ich hier schon wieder?“
Kurz vor der Plattform am anderen Ende werde ich sehr langsam und verrecke – schon wieder – ein bisschen in der Luft. Einer der Guides muss mir entgegenklettern, um mich abzuschleppen. Mein Freund sitzt bereits auf einer Wartebank und schüttelt den Kopf. „Nirgendwo kann man mit dir hingehen“, sagt er. Dann lachen wir laut und er nimmt mich in den Arm.
Am nächsten Tag fahren wir zurück nach San José. Von dort aus fliegen wir gemeinsam zu meinem Freund in die USA.
Mehr über den ersten Teil unseres Roadtrips durch Costa Rica erfahrt ihr im Beitrag Wilde Karibik, bunte Tukane und Brüllaffen bei Nacht – Roadtrip Costa Rica I.